Ein frostiges Meer voller Meerrettich

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Kren in seiner ganzen Pracht: Gerhard Schmidt präsentiert eine frisch geerntete scharfe Wurzel. Fotos: Diana Fuchs
Kren in seiner ganzen Pracht: Gerhard Schmidt präsentiert eine frisch geerntete scharfe Wurzel.  Fotos: Diana Fuchs
Mit Schmackes werden die Krenwurzeln auf den Anhänger geworfen.
Mit Schmackes werden die Krenwurzeln auf den Anhänger geworfen.
 
Morgendliche Feldarbeit.
Morgendliche Feldarbeit.
 
Andreas Schmidt sitzt vor dem mannshohen Wurzelhaufen und trennt die dicken von den dünnen Stangen.
Andreas Schmidt sitzt vor dem mannshohen Wurzelhaufen und trennt die dicken von den dünnen Stangen.
 
Nur langsam wird der Wurzelberg kleiner.
Nur langsam wird der Wurzelberg kleiner.
 
Gerhard Schmidt putzt und sortiert.
Gerhard Schmidt putzt und sortiert.
 
 
Die erste Fuhre wird in die Scheune gefahren.
Die erste Fuhre wird in die Scheune gefahren.
 
Wichtig: Immer schön parallel fahren....
Wichtig: Immer schön parallel fahren....
 
Und immer schön ziehen...
Und immer schön ziehen...
 
Kren in seiner ganzen Pracht.
Kren in seiner ganzen Pracht.
 
Und immer schön ziehen...
Und immer schön ziehen...
 
Kochen mit Kren: Marga Schmidt weiß, wie das Gemüse am besten schmeckt.
Kochen mit Kren: Marga Schmidt weiß, wie das Gemüse am besten schmeckt.
 
Und immer schön ziehen...
Und immer schön ziehen...
 
Da fliegen die grob geputzten Kren-Stangen in die Schubkarre.
Da fliegen die grob geputzten Kren-Stangen in die Schubkarre.
 
Da fliegen die grob geputzten Kren-Stangen in die Schubkarre.
Da fliegen die grob geputzten Kren-Stangen in die Schubkarre.
 
Krenblätter im Winter
Krenblätter im Winter
 
Und immer schön ziehen...
Und immer schön ziehen...
 

Für das schärfste Gemüse der Region legen sich die fränkischen Kren-Anbauer bei Wind und Wetter kräftig ins Zeug. Und "Geburtenkontrolle" betreiben sie dabei auch noch.

D er Acker ist lang und von Raureif benetzt. Die gefrorenen Tropfen funkeln wie Diamanten auf den immer noch grünen Blättern, die sich an die kalte, braune Erde schmiegen. Es ist still hier draußen neben den Karpfenteichen, rund einen Kilometer von Biengarten entfernt. Biengarten ist ein kleines Dorf im Landkreis Erlangen-Höchstadt. Ein kleines, aber richtig scharfes Dorf.

Hier ist man ständig mit Kren beschäftigt - und das schon seit über 100 Jahren. Kren, hochdeutsch Meerrettich, heißt in Franken meist nur "Kree" oder "Gree". Von Unwissenden wird er ausschließlich mit dem so genannten Hochzeitsessen in Verbindung gebracht: Rindfleisch mit Meerrettich und Nudeln (je nach Region auch mit Klößen oder Weißbrot). Dabei steckt in den Gemüsewurzeln doch viel mehr als nur eine Fleischbeilage. Ein Esslöffel Meerrettich hat genauso viel Vitamin C wie eine ganze Zitrone.
Kren ist außerdem ein guter Lieferant für Kalium und Magnesium, Kalzium und Phosphor, wirkt antibakteriell und heißt im Volksmund deshalb auch "Penicillin aus dem Garten". Er regt den Stoffwechsel an, reguliert die Verdauung und aktiviert das Immunsystem. Kurz gesagt: Kren ist gesund. "Aber halt auch eine Geschmackssache", sagt einer, der es wissen muss: Gerhard Schmidt, Krenbauer aus Biengarten, der schon zum Frühstück sein Brot mit Tafelmeerrettich bestreicht.

An diesem Wintermorgen hat der 62-Jährige, wie jeden Tag seit Wochen, seine Gummistiefel angezogen und ist rausgefahren, aufs Feld. Er wartet auf seine "Buben" Christian (39) und Andreas (35) sowie auf eine Handvoll Erntehelfer. Zwei Treckermotoren durchbrechen die morgendliche Stille. Die Bulldogs postieren sich nebeneinander am Ackerrand. Langsam fahren sie an. Plötzlich setzt ein metallisches Pochen ein; ganz schön laut. Es klingt wie der Herzschlag eines Riesenroboters. Tatsächlich kommt das gleichmäßige Rütteln von einem Schüttelrost, den die Schmidts wie einen Pflug an einen der Traktoren angehängt haben. Die Metall-Zähne graben sich so tief in den Boden hinein, dass sie die Meerrettichwurzeln lösen. Die bis zu einem halben Meter langen Stangen mit zahlreichen Seitenwurzeln lassen sich nun aus der Erde ziehen. Diese Arbeit erledigen vier, fünf Helfer, die dem Schüttelrost wie treue Gefährten folgen, sich immer wieder bücken und die Ernte mit Schmackes auf den nebenher fahrenden Bulldog-Anhänger schmeißen.

Weiße Atemwölkchen steigen gen Himmel. Alina, Christians Frau, richtet sich kurz auf und wischt sich mit dem Handrücken über die Stirn. Die Arbeit ist auf die Dauer schon anstrengend, doch Alina mag sie. "Ich mach' das gern", sagt sie und bückt sich schon wieder nach der nächsten Wurzel, die aus dem Boden spitzt.

Ihr Schwiegervater Gerhard Schmidt ist froh, dass nicht nur seine Frau Marga, die beiden Söhne und Tochter Marion, sondern auch die zwei Schwiegertöchter und andere Verwandte stets kräftig mit anpacken, um "Marga's Kren" im Frühjahr zu setzen, im Sommer zu hegen und zu pflegen, im Herbst und Winter zu ernten und das ganze Jahr über zu vermarkten. "Solche traditionellen Familienbetriebe gibt's ja fast nicht mehr." Insgesamt existieren in der "Schutzgemeinschaft Bayerischer Meerrettich" nur rund 100 Kren-Bauern. "Für die großen Hersteller lohnt es gar nicht, extra Maschinen für den Kren-Anbau herzustellen. Wir sind deswegen auf Eigenkonstruktionen oder Maschinen aus anderen Branchen angewiesen."

Nach gut einer Stunde ist der erste Hänger voller Wurzeln. Daheim auf dem Hof werden sie in der Scheune abgekippt - ein Riesenberg Wurzelchaos. Die Schmidts und ihre Erntehelfer ziehen Stühle heran, binden sich Schürzen um und zücken dann jeder ein Messer. Damit werden die Gemüsestangen unter anderem von ihrem "Kondom" befreit, einer Plastikhülle, die verhindert, dass sich unkontrolliert Seitenwurzeln bilden. Dann wird sortiert: Die dicksten und glattesten Stangen sind für den Frischemarkt, die rauheren und dünneren werden zu tafelfertigem Kren verarbeite. Von jeder Wurzel - insgesamt ernten die Schmidts 70 000 pro Jahr - wird ein rund 40 Zentimeter langer Seitentrieb aufgehoben. Diese "Fechser" werden im Frühjahr wieder in die Äcker gesteckt, damit aus ihnen neue Krenstangen wachsen.

"Ganz früher gab es noch bayerische Kren-Sorten", erzählt Gerhard Schmidt. "Aber mit der Zeit sind die quasi ausgestorben." Durchgesetzt haben sich ausländische Sorten, vor allem aus dem Osten und Norden Europas, etwa aus Dänemark. "Kren ist ganz schön pilzanfällig. Wir machen zusammen mit dem Amt für Landwirtschaft und dem Erzeugerverband Feldversuche, um herauszufinden, welche Sorten mit dem Klima bei uns auf Dauer am besten zurecht kommen."

Apropos Klima: Kren braucht viel Wasser. Da war der heiße, trockene Sommer heuer eine Herausforderung. "Wir haben viermal beregnet", erzählt Gerhard Schmidt. "Zum Glück liegen unsere Karpfenteiche gleich nebenan." Für die Zukunft überlegt die Großfamilie, einige der Teiche tiefer zu legen, um auch in sehr trockenen Jahren stets genügend Wasser für den Kren parat zu haben. Denn eines ist klar: Bei den vier Hektar Meerrettich-Fläche soll es nicht bleiben. "Wir wollen weiter expandieren."

Die Selbstvermarktung soll ausgebaut werden, die vor rund 20 Jahren begonnen hat - auch weil die "Jungen" es so wollten, wie Gerhard Schmidt betont. "Ich habe sie nie gedrängt, in den landwirtschaftlichen Betrieb einzusteigen. Es hat sich aber dann doch so ergeben. Und das freut mich natürlich. Andreas hat sogar seine Meisterprüfung über den Kren geschrieben."

Mittlerweile leben drei Generationen auf und von dem Hof. "Da muss mer zamhalt'", stellt Andreas klar. Gemeinsam wird der mannshohe Wurzelberg auch tatsächlich rasch kleiner. Um die Mittagszeit ruft Marga aus dem Küchenfenster herüber: "Aufwärmen! Essen ist fertig!" Das lassen sich die Fleißigen nicht zweimal sagen. Sie verlassen die kühle Scheune, ziehen die Gummistiefel aus, waschen sich die Erde von den Händen und folgen dem herzhaft-würzigen Duft in die Küche. Marga tischt dampfende Klöße, Fleisch und Meerrettichsoße auf. Gerhard Schmidt reibt sich die Hände und freut sich sichtlich: "Na, dafür lohnt sich doch jede Arbeit."



Margas Spezialrezept

Meerrettichsüppchen (4 Personen):


Zutaten: 1 Liter Gemüsebrühe,
1 kleine Zwiebel,
40 g Butter,
100 g Gemüsekren,
1 rohe Kartoffel gerieben,
100 ml Sahne,
2 Eigelb,
Salz, Pfeffer, heller Essig

Zubereitung:
Zwiebel in Butter glasig dünsten. Kren und Kartoffel zugeben, mit Brühe aufgießen, 10 Minuten kochen, dann pürieren. Eigelb und Sahne verrühren und langsam unterrühren. Nicht mehr kochen.