Die Kamera, die nicht knipsen will

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Nein, dieses Foto gibt es schon: Die "Camera restricta" nimmt dem Knipser ein Stück weit die Motivwahl ab.
Nein, dieses Foto gibt es schon: Die "Camera restricta" nimmt dem Knipser ein Stück weit die Motivwahl ab.
Philipp Schmitt (22) aus Großrinderfeld studiert Interaktionsdesign in Schwäbisch Gmünd.
Philipp Schmitt (22) aus Großrinderfeld studiert Interaktionsdesign in Schwäbisch Gmünd.
 
Schmitts obskure Kamera besteht aus einem schlichten Gehäuse, in dem sich ein Smartphone versteckt. Fotos: Philipp Schmitt
Schmitts obskure Kamera besteht aus einem schlichten Gehäuse, in dem sich ein Smartphone versteckt. Fotos: Philipp Schmitt
 
41 Bilder von diesem Motiv gibt es schon. Da will "Restricta" nicht noch eins machen.
41 Bilder von diesem Motiv gibt es schon. Da will "Restricta" nicht noch eins machen.
 
Das Smartphone ist das Herz von Philipp Schmitts Kamera.
Das Smartphone ist das Herz von Philipp Schmitts Kamera.
 
Die "Camera restricta" wird es nie zu kaufen geben. Schmitts Konzept ist ein Kunstprojekt.
Die "Camera restricta" wird es nie zu kaufen geben. Schmitts Konzept ist ein Kunstprojekt.
 

Der Student Philipp Schmitt hat einen Fotoapparat erfunden, der sich bisweilen weigert, den Auslöser zu aktivieren. Denn Allerweltfotos mag "Restricta" gar nicht. Der Großrinderfelder will damit zeigen, wie sehr die Technik bereits den Menschen beherrscht.

Autohersteller sprechen von "Assistenzsystemen" und sagen auch da nur die halbe Wahrheit: Denn gerade beim Auto ist es offenkundig, dass die Technik drauf und dran ist, den Menschen zu beherrschen. Und nicht nur der Hackerangriff auf einen Geländewagen klingt wie eine Mischung aus Science Fiction und "Zauberlehrling": Werden wir die Geister je wieder los, die wir riefen?

Das sind Fragen, die Philipp Schmitt umtreiben. Er ist 22, stammt aus Schönfeld (Gemeinde Großrinderfeld) aus dem fränkischen Main-Tauber-Kreis unweit von Würzburg. Schmitt studiert in Schwäbisch Gmünd Interaktionsgestaltung, eine junge Disziplin, die sich mit den Schnittstellen zwischen Mensch und Maschine beschäftigt. Das sind im einfachsten Fall Dinge wie ein Lichtschalter oder aber komplexe Oberflächen wie der Touchscreen eines Computers.

Wie viel Technik braucht der Mensch und: wie wenig Mensch die Technik? Aus dieser Überlegung heraus hat Schmitt die "Camera Restricta" entwickelt, erst einmal eine technische Spielerei, wie er sagt, wie auch die Anspielung auf die allererste einfache Kamera überhaupt nahe legt, die Camera obscura.


Zu Ende gedacht

Andererseits hat Schmitt mit dem Gerät eine Entwicklung zu Ende gedacht, deren auffälligstes System eine wahre Bilderflut ist, die jede Sekunde durch die Netzwerke rauscht. Die allgegenwärtige Technik und ihre Vernetzung macht vieles leichter, schneller, schafft aber auch Gefahren und Abhängigkeiten, erleichtert Kontrolle, Zensur und Fremdsteuerung. Das Konzept "Restricta" soll zum Nachdenken anregen; nicht nur beim Fotografieren, wie Schmitt sagt. Aber gerade beim "Zeichnen mit Licht" ist die Gefahr der Manipulation groß: Bilder werden manipuliert, Bilder manipulieren unser Denken.

"Restricta" hat die Zensur eingebaut: Schmitt integrierte ein Smartphone in ein Kameragehäuse, das er im 3D-Drucker designt hatte. Das handelsübliche Mobilfunkgerät hat Internetzugang, verfügt über GPS-Navigation und hat, natürlich, eine Kamera. Die von Schmitt entwickelte Software scannt bei der Motivsuche die Umgebung und gleicht das angepeilte Objekt mit den Daten gängiger Online-Fotosammlungen ab.


Brandenburger Tor? Nein!

Gibt es von dem Motiv bereits zu viele Bilder, gibt die Software den Auslöser nicht frei. 30 Mal Brandenburger Tor geht vielleicht noch, beim 31. Versuch sagt Restricta strikt Nein.

"An sich ist das Konzept natürlich Unfug", gibt Schmitt zu. Der Gag, der den Nutzer auch noch durch lautes Knacken wie bei einem Geigerzähler nerven würde, ist mehr Kunst als praxistauglich; und doch ist diese Technik allgegenwärtig und genau so verwendbar: "Im Prinzip könnte man überall Zonen einrichten, die mittels elektronischer Signale Foto- und Filmaufnahmen verhindern."

Dass der Student mit seinem Konzept den Nerv der Zeit getroffen hat, zeigt das enorme Echo auf seine "obskure Kamera". Das Video, das die eigenwillige Maschine vorstellt, wurde bereits 250.000 Mal aufgerufen (http://philippschmitt.com). Was den wenigsten auffällt: Bei Schmitts Restricta funktionieren das Smartphone, GPS und die Software. "Aber Fotos machen kann man damit gar nicht." Da sieht man, dass man sogar mit nicht gemachten Fotos Meinungsbilder erzeugen kann!


Freiheit für Fotografen

Im Sommer hat sich das Europaparlament mit einem Vorstoß aus dem Rechtsausschuss zur Verbesserung des Urheberrechts beschäftigt. Diese Novelle hätte die Panoramafreiheit eingeschränkt, das Recht, öffentliche Gebäude und Kunstwerke zu fotografieren, ohne dafür - bei privater Nutzung - die Erlaubnis des Inhabers der Rechte einzuholen. Das EU-Parlament blieb beim Recht auf das freie Bild - vom Eis ist die Kuh aber noch nicht. Über ein neues Urheberrecht wird weiter verhandelt.

Viele Hobbyfotografen wissen es sicher nicht, und im Zeitalter des Smartphones ist ja längst fast jeder ein Fotograf und die Flut der sekündlich produzierten Bilder ebenso unüberschaubar wie die Rechtslage: Auch Bauwerke und Kunst können urheberrechtlich geschützt sein. Allerdings sieht das deutsche Urheberrecht Ausnahmen vor, wenn es um Fotos und Videos geht. Die sogenannte Panoramafreiheit erlaubt es in Deutschland, solche Architektur ohne Genehmigung zu fotografieren oder aufzuzeichnen und das Material auch zu veröffentlichen und kommerziell zu verwerten.

Andere Länder haben abweichende und teils sehr viel schärfere Regeln. Wer etwa in der Türkei Urlaub macht und ein Militärgelände oder eine Polizeiwache fotografiert, macht sich strafbar. Andere Länder in Europa wie etwa Frankreich haben Urheberrechtsexperten zufolge keine der deutschen Panoramafreiheit vergleichbare Regelung. Das führe in der Praxis aber nicht dazu, dass etwa Facebook-Nutzer Abmahnungen oder Zahlungsaufforderungen für gepostete Urlaubsbilder aus Paris erhalten. Rechteinhaber forderten Lizenzzahlungen vor allem dann, wenn Motive mit ihren Bauwerken zum Beispiel als Postkarte verkauft oder ähnlich verwertet werden.
Und: Selbst wenn das Recht auf Panoramafreiheit nicht gilt, gibt es in vielen Ländern andere Regelungen, die zugunsten des Fotografen greifen könnten. Wird beispielsweise ein Selfie (Selbstporträt) vor einem geschützten Bauwerk aufgenommen und verbreitet, gilt das Gebäude in der Regel als "unwesentliches Beiwerk". Mitentscheidend ist, ob die Schutzfrist für ein Gebäude (in der Regel 70 Jahre) noch besteht. Beispiel Eiffelturm: Die Schutzfrist am Bauwerk selbst ist abgelaufen, nicht aber die an der nächtlichen Lichtinstallation. Nur Nachtfotos des Eiffelturms könnten also Urheberrechte verletzen.

Die Regelungen in Europa sind so uneinheitlich und auch unübersichtlich, dass die EU eine Harmonisierung anstrebt; daher kam es im Sommer zu der kontroversen Debatte, da einer von mehreren hundert Änderungsanträgen die Verschärfung des Urheberrechts in diesem Bereich vorsah.



Das Bild und das Recht

Menschen Die wichtigste Grundregel für den Fotografen ist: Das Recht am eigenen Bild fordert, dass man einen Menschen um seine Einwilligung bittet, bevor man ihn ablichtet. Das gilt grundsätzlich, nicht nur, wenn das Bild für kommerzielle Zwecke genutzt werden soll - und das fängt schon beim Klassenfoto in der Schule an.

Ausnahmen Wer an einer öffentlichen Veranstaltung teilnimmt, etwa als Zuschauer in einem Fußballstadion, verliert ein Stück weit sein Recht am Bild. In diesen Fällen muss man es hinnehmen, dass das Bild auch veröffentlicht wird (weil es unmöglich wäre, jeden Besucher um Erlaubnis zu fragen). Anders ist es, wenn ein Fotograf oder Kameramann gezielt einzelne Personen "abschießt".

Prominente Persönlichkeiten müssen es sich gefallen lassen, dass sie fotografiert und gefilmt werden, wo immer sie öffentlich auftreten. Selbst wenn die Bilder peinlich sein sollten, ein Minister also etwa in der Nase bohrt, wird das Persönlichkeitsrecht durch ein Foto nicht verletzt. Aber: Die Privatsphäre ist auch bei "Promis" heilig; Paparazzi, die durch Schlüssellöcher oder über Zäune hinweg fotografieren, machen sich strafbar.

Facebook Täglich werden mit Smartphones Millionen private Fotos aufgenommen und sogleich über soziale Netzwerke verbreitet. Diese technischen Möglichkeiten haben die Grenze zwischen Freiheit und Schutz von Rechten verschwimmen lassen; private Fotos sind kein Problem, Facebook ist aber eine kommerzielle Plattform und die Weiterverbreitung der Fotos hier für jeden nahezu unbegrenzt möglich. Deshalb will der Gesetzgeber reagieren.

Urheberschutz Wer fotografiert und Persönlichkeitsrechte verletzt, macht sich strafbar. Doch auch der Urheberschutz ist ein Gut, dessen Schutz im Internetzeitalter immer schwieriger wird: Fotografen oder Kameraleute, die viel Geld für ein Spitzenfoto ausgeben müssen (etwa, um eine Foto-Erlaubnis zu erhalten), müssen immer öfter feststellen, dass ihre Werke anonym oder unter anderem Namen vervielfältigt werden. In so einem Fall steht dem Fotografen Schadenersatz zu. gf


Kommentar

Die Flut der Bilder

Bilder wurden zu allen Zeiten manipuliert, und sie werden zur Manipulation eingesetzt: Wer etwa an Martin Luther denkt, hat automatisch das Bild mit der Mütze vor Augen. Dabei existiert von dem Reformator gar kein Porträt, das als historisch gilt. Bilder waren schon immer PR!

Die moderne Zeit hat das Phänomen nicht geschaffen, aber eine neue Quantität. Was heute ständig produziert und publiziert wird, ist nicht zu überschauen, und mit der Masse wird die Gefahr größer, ein falsches Bild zu bekommen.

Die Wirkung der Bilder kann ein Segen sein; der tote Bub am Strand hat der Diskussion über Flucht und Asyl eine neue Richtung gegeben. Aber man darf sich nicht abhängig machen von den Bildern. Die Bilder von den Kriegsschauplätzen dieser Welt etwa erreichen uns erst, nachdem sie die Mühle der Zensur durchlaufen haben. Sie sollen manipulieren!