Ehemalige Bewohner und deren Nachfahren besuchten das Gelände, wo das 1938 für den Truppenübungsplatz abgesiedelte Dorf Rothenrain, stand.
"Was war das für ein schöner Tag!" sagte Rosa Weiglein, als sie sich wieder auf den Weg nach Hause, nach Aub bei Bad Königshofen machte. Ein paar Stunden hatte sie ihren Geburtsort Rothenrain wiedersehen dürfen. Für ein paar Stunden flanierten beim ersten Rothenrainer Treffen über 100 Besucher durch die alte Dorfstelle, sowohl waschechte Rothenrainer als auch deren Familien und Nachkommen besichtigten die alte Heimat, die nun im Truppenübungsplatz liegt.
1927 geboren verbrachte Rosa Weiglein als jüngstes von vier Kindern "eine wunderschöne Kindheit" in Rothenrain. "Wir haben die Natur unwahrscheinlich genossen," erzählt sie. Ein wahrhaftes "El Dorado" war für Rosa Weiglein Rothenrain im Winter. "Bei Eis und Schnee sind wir mit den Holzschuhen durch die Landschaft geschubbert, also gerutscht."
Da kamen die Tränen
Auf dem Anfahrtsweg, der über ihren Lieblingshang die "Hohe Stieg" führte, kamen ihr die Tränen. Nahe am Waldrand hatte sie gewohnt, das wusste sie noch. "Und diese Fichte" kannte sie auch noch, als sie abseits der "Hohen Stieg" treffsicher das Schild mit dem Bild ihres Elternhauses in den matschigen Boden rammte. "Im Wald hat unser Vater immer die Ostereier versteckt."
Zahlreiche Geschichten fallen der rüstigen 89-Jährigen ein, und auch den ausgetretenen Pfad hat sie wiedererkannt, wo sie mit den Nachbarskindern Wettrennen abhielten, bis die Strümpfe löchrig waren.
Die Absiedelung 1938 "war ein großer Schock für die Eltern und den ganzen Ort", erinnert sich Rosa Weiglein. Gebäude und Waldstücke wurden aber "gut vergütet", Felder nicht so gut. "Die Landwirte haben gelitten", erzählt sie. Ihre hellen Augen blicken über den Kleinen Auersberg: "Es bedeutet mir sehr, sehr viel, dass ich das nochmal erleben darf," sagt sie. Und: "Mein Leben war überhaupt sehr schön, aber dass ich in Rothenrain geboren bin, dafür bin ich meinen Eltern sehr dankbar."
Hier wohnte der Großvater
Alle Besucher besichtigten das ehemalige Dorf, besonders die Bilder der Häuser, die an den Originalplätzen aufgestellt waren. Die Geschwister Ute und Rolf Möller befanden sich auf der Suche nach dem Haus ihres Großvaters Albin Möller. Dieser hatte den Kindern auch viel von der Zeit in Rothenrain erzählt. Mit Skiern war er zur Schule unterwegs, zu Fuß hatten die Rothenrainer Kinder den Weg ins Kino in Bad Brückenau zu bewältigen. Während der langweiligen Zeit des Kühe-Hütens hatte sich der Großvater selbst das Schnitzen beigebracht - und später seinen Enkeln viele Spielsachen geschnitzt. Ihm fiel es sehr schwer, die Heimat zu verlassen. Ute und Rolf Möller berichten: "Die Großeltern gingen erst, als die Wehrmacht schon Schießübungen hinterm Haus abhielt."
Wildfleckens Bürgermeister Gerd Kleinhenz fragte sich, welchen Verlauf die Geschichte wohl genommen hätte, wenn Rothenrain nicht dem Truppenübungsplatz hätte weichen müssen. Das auf 630 Höhenmetern gelegene Dorf würde zu Wilflecken gehören, Kleinhenz wäre somit der "höchste Beamte Unterfrankens", sagte er. Er hieß sechs "waschechte Rothenrainer" herzlich willkommen und sagte großen Dank an den Geschichtskreis und Walter Kömpel, die das erste Rothenrainer Treffen organisiert hatten, und an die Bundeswehr, die die Genehmigung für dieses Treffen erteilt hatte.
Heimatbuch in Arbeit
Walter Kömpel war seit Januar diesen Jahres mit der Organisation des Rothenrainer Treffens beschäftigt. Historische Informationen hatte der Oberbacher schon längst zusammen. Die Herausforderung bestand im Ausfindig-Machen der ehemaligen Bewohner und deren Nachkommen. Zusammen mit Stefan Helfrich hatte Walter Kömpel zahlreiche Kontakte gesammelt. Eine Fülle an Informationen und auch Bildern sind so bereits gesichert. Sie werden ein Teil des Heimatbuches über Rothenrain sein, das der Heimatforscher im kommenden Jahr fertig stellen will. Natürlich wird das Rothenrainer Treffen ein Kapitel einnehmen, doch: "Heute wurde so viel erzählt, das muss ich erst sortieren," gibt sich Walter Kömpel zurückhaltend über das Ausmaß an neuen Informationen.
Die alte Glocke vom Handy
Diakon Christian Kubatko rief mit dem Glockenläuten der alten Rothenrainer Glocke zur Andacht. Zwar hängt die Glocke inzwischen in Weißenbach, aber mit einer Handy-Aufnahme und Lautsprecher ertönte sie durch das ehemalige Dorf. Dort, wo einst die Kirche gestanden hatte, verlas Kubatko einen Spruch, der bei der Renovierung der Kirche sichtbar geworden war: "Denn er hat den Engeln befohlen über dir, dass sie dich behüten auf all deinen Wegen". Dieser Psalm habe für die Rothenrainer eine große Bedeutung. Er erinnere sie daran, dass alle einen Schutzengel haben. Die musikalische Begleitung übernahmen Gerd Kleinhenz, Josef Heil und Rothenrainer Nachfahren.
Historie 1557 war Rothenrain von zwölf Oberbacher Bauern zur Sicherung der fuldisch-würzburgischen Grenze gegründet worden. Die Familien mussten zunächst die Kirche in Bischofsheim besuchen, bis ein Bittgesuch Gehör fand und in
Oberbach eine Kapelle genehmigt wurde, die 1590 zu einer Kirche umgebaut wurde. 1738 stand dann auch in Rothenrain ein Gotteshaus, das den heiligen Schutzengeln gewidmet wurde. Allerdings kam nur einmal pro Woche der Oberbacher Kaplan zu Gottesdiensten nach Rothenrain. Im 30-jährigen Krieg ging die Bevölkerungszahl drastisch zurück. Von 16 Hofstellen waren nach 1642 nur noch drei vorhanden. Gegen 1720 wanderten viele Rhöner nach Ungarn und Nordamerika aus, zu schlecht waren die Zeiten in der kargen Rhön. 1802 erhielt Rothenrain ein Schankrecht, 1834 wurde das Schulhaus gebaut, ab 1864 hatte Rothenrain eine ordentliche Wasserversorgung. 1921/22 gab es im Dorf die erste Stromversorgung, allerdings nur über einen 45-PS-Dieselmotor. 1832 hatte Rothenrain circa 250 Einwohner, bei der Absiedelung 1938 nur noch 186.