Was war der Grund der Auseinandersetzung? Vatan M., geständig und reuig, erklärte, er sei im Look beim Weg zum Rauchen von Lukas S. (17) angerempelt worden. Dann hätte er, um ein Hausverbot zu vermeiden, gesagt, "lass uns das draußen klären". Lukas wiederum behauptete das Gegenteil. Er sei von Vatan angerempelt worden. Daraufhin habe er davon seinen Kumpels erzählt und "Stress" erwartet. Vatan wiederum deutete das Gespräch der Gruppe, aus der heraus mit dem Finger auf ihn gezeigt wurde, als Drohung seinerseits und bat einen seiner Freunde, mit ihm nach draußen zu gehen. Vatan sei da - so sagte er vor Gericht - noch davon ausgegangen, den Zoff verbal zu regeln.
Einen Satz, den Richter Oberdorfer und die beiden Schöffen oft an diesem Tag von beiden Seiten hörten - und der jedes Mal mit einer hochgezogenen Augenbraue quittiert wurde. "Schon in meiner Jugend", so Oberndorfer, "hieß: ,Gehen wir raus', dass wir uns prügeln werden."
Das Messer, das Vatan unbemerkt von den Türstehern durch die Kontrolle schmuggelte, hatte er sich ein halbes Jahr vorher am Berliner Platz von Jugendlichen besorgt. "Ich wurde in der Vergangenheit angepöbelt und verprügelt, weil ich Flüchtling bin", sagte er vor Gericht. Er dachte, wenn er ein Messer besitze und es in prekären Situationen vorzeige, hätten die anderen Angst und würden von ihm ablassen. Ihm sei, sagte er vor Gericht, nicht bewusst, dass ein Butterfly-Messer mit einer Klingenlänge von 8,5 Zentimeter verboten sei. Allerdings hatte er in einem Gespräch mit dieser Zeitung kurz nach der Tat eingeräumt, zu wissen, dass es verboten sei. Der Richter: "Warum haben Sie sich kein defensives Mittel wie Pfefferspray besorgt?", fragte Oberndorfer, der mit jedem Jugendlichen einfühlsam umging. Antwort: "Ein Messer macht Angst. Ich wollte grundsätzlich niemanden abstechen." Oberndorfer: "Wollten Sie drohen?" - "Nein, mich wehren, anderen Angst machen."
Vatan M. spricht sehr gut Deutsch, 2016 wurde er von seinem Vater mit den beiden älteren Brüdern auf die Flucht nach Deutschland geschickt - dem Vater war ein Überleben der Jungen in Syrien zu unsicher. Drei Wochen war das Trio unterwegs. In Deutschland angekommen landete Vatan in Bad Kissingen, seine Brüder studieren in Coburg und Würzburg. In Bad Kissingen bekommt er Unterstützung durch eine ehrenamtlich arbeitenden Frau, er spricht sehr gut Deutsch, besucht die Fachoberschule in Schweinfurt.
"Gute Noten machen noch keinen reifen Menschen", führte Oberdorfer in seiner Urteilsbegründung aus. Er sah wie die Frau der Jugendgerichtshilfe Reifedefizite. Der Forderung der Staatsanwältin Isabell Simon, die gefährliche Körperverletzung unter Einsatz einer verbotenen Waffe mit einem Jahr und vier Monaten (auf Bewährung) zu ahnden, teilte er nicht. Er sah weitere Punkte, die für den Angeklagten sprechen: seine tatsächlich gute Integration, seine Psyche (er ist in psychologischer Betreuung, war nach einem Selbstmordversuch in einer psychotherapeutischen Einrichtung, nimmt Antidepressiva). "Ich bin überzeugt, dass wir Ihnen eine günstige Prognose stellen können", sagte Oberndorfer. An ihn und die jungen Männer im Publikum richtete er den Appell: "Vertragen Sie sich."
Eine junge Frau hob Oberndorfer oftmals hervor: Ludmilla Z. Die 19-Jährige war während der Prügelei mit dem Mut einer Löwin zwischen die Männer getreten und hatte sie ein ums andere Mal getrennt. "Meine Hochachtung. Sie haben Größe gezeigt." Und an Vatan gerichtet sagte Oberndorfer: "Dieser Frau sollten Sie danken - sie hat wohl Schlimmeres verhindert."