Opfer müssen eine Lobby haben

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Ein letztes Mal packt Inge Stumpf vom Weissen Ring ihr Informationsmaterial für die Sprechstunde im Bad Brückenauer Rathaus aus. Die 74-Jährige beendet in diesen Tagen ihr Engagement für den gemeinnützigen Verein.Rolf Pralle
Ein letztes Mal packt Inge Stumpf vom Weissen Ring ihr Informationsmaterial für die Sprechstunde im Bad Brückenauer Rathaus aus. Die 74-Jährige beendet in diesen Tagen ihr Engagement für den gemeinnützigen Verein.Rolf Pralle

Sie war in Brückenau vier Jahre lang das Gesicht des Weissen Rings. Jetzt zieht sich Inge Stumpf zurück. Am Mittwoch fand ihre letzte Sprechstunde statt.

"Es hat sich gelohnt", blickt Inge Stumpf durchaus zufrieden auf ihre wahrlich nicht einfache ehrenamtliche Arbeit zurück. "Aber es reibt einen mir der Zeit doch auf", hat die heute 74-Jährige mehrfach festgestellt. "Ich bin mit viel Leid konfrontiert worden". Denn das Engagement beim Weissen Ring, der sich seit 1976 die Unterstützung von Kriminalitätsopfern und die Verhütung von Straftaten auf die Fahnen geschrieben hat, ist sehr komplex. "Da gilt es, eine gesunde Mischung von Einfühlungsvermögen und Durchsetzungskraft an den Tag zu legen", so die Erfahrung der rüstigen Seniorin.

Zum Weissen Ring ist Inge Stumpf im Frühjahr 2014 über die Kreisstelle Bad Kissingen und deren Leiterin Ulrike Lemaire gekommen. Bereits nach ein paar Monaten hatte sie die Idee, in Bad Brückenau eine eigene Beratungsstunde anzubieten. In Bürgermeisterin Brigitte Meyerdierks (CSU) habe sie sofort eine "begeisterte Fürsprecherin" gefunden, die auch die passenden Räumlichkeiten im Rathaus am Marktplatz zur Verfügung stellte. In den ersten Jahren gab es die Angebote sogar zweimal im Monat, ab Mitte 2016 wurde die Zeit dann auf die Hälfte reduziert. "Zum Bekanntwerden des Weissen Rings in der Rhön waren diese Termine sehr hilfreich", resümiert die 74-Jährige.

Kein Geheimnis macht Inge Stumpf daraus, dass bei den Betroffenen aus ganz unterschiedlichen Gründen stets eine gewisse Schwellenangst festzustellen war, bevor sie den Weg zur Sprechstunde ins Rathaus gefunden haben. Für dieses Verhalten der Kriminalitätsopfer zeigte sie aber immer großes Verständnis. "Viele sind sehr ängstlich. Wichtig war daher, dass die Leute wussten, dass sie vor Ort eine kompetente Ansprechpartnerin haben, die sich ihrer Sorgen und Nöte annimmt". Auch für die Ehrenamtliche selbst sei die Arbeit schon sehr belastend gewesen: "Man leidet ein Stück mit den Opfern mit".

Kontaktaufnahme oft anonym

Breiten Raum nahmen für die Mitarbeiterin des Weissen Rings neben der monatlichen Sprechstunde die Telefongespräche mit den Betroffenen ein. "Für viele war es einfacher, mich erst einmal anonym anzurufen, zumal meine Nummer ja regelmäßig im Veranstaltungskalender der Zeitung veröffentlicht wurde. Dann wurden eben Einzeltermine vereinbart". Die Kanäle der Kontaktaufnahme waren Inge Stumpf dabei völlig egal: "Hauptsache, ich konnte helfen. Und das habe ich stets gern gemacht. Denn die Opfer müssen eine Lobby haben".

Viele Fälle hat Inge Stumpf bis zum Schluss betreut, also bis zur Verurteilung der Täter. In diesem Zusammenhang weist sie darauf hin, dass es für Opfer oder Geschädigte immer wichtig sei, umgehend Anzeige bei der Polizei zu erstatten: "Dann bekommt man ein Aktenzeichen und kann ganz anders reagieren, als wenn die Dinge erst auf die lange Bank geschoben werden." Ein Außenstehender könne sich nur schwer vorstellen, wie breit des Spektrum der Straftaten war, die die Helferin bei ihrer zeitraubenden Tätigkeit kennengelernt hat: "Das reichte von Betrug über Körperverletzung bis hin zur sexuellen Gewalt in der eigenen Familie". Da sei es dann immer ganz wichtig gewesen, erst einmal eine gewisse Vertrauensbasis zu den Betroffenen aufzubauen, "bevor weitere Schritte unternommen werden konnten".

Inge Stumpfs Engagement ging aber weit über die regelmäßigen Sprechstunden und die telefonische Beratung hinaus. Um den Weissen Ring und dessen Arbeit bekannt zu machen, hielt sie beispielweise Vorträge für unterschiedliche Altersgruppen: "Ich war sowohl in den Schulen als auch beim Seniorenbeirat". Die Themen der Referate wurden speziell für die jeweilige Zielgruppe ausgearbeitet.