Geschichten aus den letzten 90 Jahren

3 Min
Er ist der älteste Einwohner von Speicherz: Emil Breitenbach wird am Freitag, 30. September, 90 Jahre alt. Foto: Stephanie Elm
Er ist der älteste Einwohner von Speicherz: Emil Breitenbach wird am Freitag, 30. September, 90 Jahre alt.  Foto: Stephanie Elm

Mit Emil Breitenbach feiert am Freitag, 30. September, der älteste Einwohner von Speicherz Geburtstag. Er wird 90 Jahre alt und hat einiges zu erzählen.

Bei Lehrer Max Troll lernte Emil Breitenbach in seiner Jugend alles übers Sähen, Düngen und Ernten. Denn er besuchte nach acht Schuljahren für weitere zwei Jahre die Landwirtschaftsschule in Kothen. Tierhaltung und -pflege war kein Thema, "Tiere hatten wir ja schon auf dem Hof", erzählt er. "Über Maschinen lernten wir nichts, die hatten wir nicht", so der Speicherzer über das Dorfleben in den 30er Jahren.
"Und dann war Krieg". Nur wenige Tage nach seinem 17. Geburtstag wurde Emil Breitenbach im Oktober 1943 für vier Monate zum Arbeitsdienst einberufen. Gleich danach kam er zur Wehrmacht und zur Militärausbildung nach Würzburg. Mit einer Kompanie wurde er im September 1944 nach Frankreich beordert. Doch wurden sie "auf ganzer Front zurückgedrängt". Emil hatte großes Glück, er überstand den Einsatz ohne Verletzungen. "Viele aus der Kompanie waren verwundet, tot oder in Gefangenschaft."


Bombardierung Würzburgs

Bis Würzburg war er mit seinen Kameraden zurückgedrängt worden. Im März 1945 sollte er zu einem Einsatz in Finnland, doch dazu kam es nicht mehr. Am 16. März wurde Würzburg von den Amerikanern bombardiert. "Wir waren in der Kaserne beim Abendessen. Wir flüchteten durch die offenen Fenster und warfen uns in die Schützengräben. Am nächsten Morgen hieß es dann: Aufräumen", erinnert sich Breitenbach. Auch diesen Vorfall hat er unverletzt überstanden. Im April kam er in amerikanische Gefangenschaft. Bis Ende Juli 1945 war er in Langenzenn bei Nürnberg gefangen.
Danach ging er zurück nach Speicherz. Nun hieß es: "Sich eine Existenz aufbauen, und zwar schnell", beschreibt Emil Breitenbach die Notwendigkeit, ohne Ausbildung zu Geld zu kommen. Mit Landwirtschafts- und Waldarbeit hatte er ein Einkommen. Er lernte seine spätere Frau Elisabeth Wittmann kennen, die als Vertriebene aus Ungarn in Speicherz als Haushälterin arbeitete.


Frankfurt war zu teue

rEin Jahr ging Emil Breitenbah als Hilfsarbeiter in einer Teerkolonne nach Frankfurt. Später wechselte er zu den Gummiwerken in Fulda und heiratete am 29. Mai 1954 seine Elli. 1957 kam Sohn Roland auf die Welt, vier Jahre später Tochter Silvia.
1959 zog die kleine Familie nach Mülheim bei Frankfurt und Elli wollte "ein Häuschen bauen. Aber um Frankfurt waren die Bauplätze zu teuer." Also bauten Emil und Elli in Speicherz. Damals kostete dort der Quadratmeter gerade mal 1,50 Mark. "Heute hört sich das nach nichts an, aber damals war es auch noch viel", erinnert sich der Speicherzer. Die Erschließung musste er selbst vornehmen. "Mit Hand aufgegraben, Rohre und Anschlüsse gelegt und wieder zugeschüttet." In der Schulstraße waren sie die zweite Familie, die dort baute. Inzwischen sind "einige Nachbarn hinzugekommen."


Zusammenhalt war früher größer

Emil Breitenbach arbeitete von 1960 bis zu seinem Renteneintritt 1987 bei der Will Bräu im Drucktankkeller. Gerne geht er spazieren, interessiert sich für Nachrichten und liest Zeitung. Seit er 16 Jahre alt war, ist er bei der Freiwilligen Feuerwehr Speicherz, inzwischen als Ehrenmitglied. Bei Festen war Breitenbach stets aktiver Helfer.
Emil Breitenbach war ein uneheliches Kind, was damals zumindest in Speicherz kein Thema war. Seine Mutter verdiente als Dienstmagd in Oberbach und Wildflecken Geld. Emil wuchs bei seinem Vater und seinen fünf Stiefgeschwistern in Speicherz auf und gehörte wie selbstverständlich dazu. Diese Kindheit war wohl der erste Eindruck von Zusammenhalt - ein Wert, dem er aus vergangenen Zeiten nachtrauert. "Früher war es schöner!", findet er. "Es gab viel mehr Zusammenhalt, die Jugend war daheim und hat geholfen."
Gerne erinnert sich der Jubilar an die Spinnstuben, die die Frauen im Wechsel bei sich zuhause organisiert haben. Die Männer sind mitgegangen und haben "geredet und gekartet". Damals "hatte ja keiner Geld für die Wirtschaft." Das änderte sich in den 60er und 70er Jahren. "Da ging´s schon mal zum Karten ins Wirtshaus. Dann kamen die Fernseher und dann ist alles auseinandergefallen."
Gibt es an der modernen Zeit wirklich nichts Positives? "Autofahren - das ist das Einzige, was heute besser ist", gibt Emil Breitenbach augenzwinkernd zu. Rückblickend beschreibt er sein Leben als "überwiegend gut". Wenn er es noch einmal leben könnte, würde er gerne eins ändern: "Ich würde einen Beruf lernen." Schlosser hätte er gerne werden wollen, doch der Krieg machte diesen Wunsch zunichte.
Seine Elli starb 2004. Sein Sohn wohnt im gleichen Haus, seine Tochter in der gleichen Straße, seine drei Enkel besuchen ihn oft. Zu seinem 90. Geburtstag geht's mit 30 Familienangehörigen in die Wirtschaft, am Samstag wird mit der Nachbarschaft weitergefeiert.