Ein Fenster für die Seele

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Grete Krassa-Dienstbühl pflegt seit 70 Jahren den deutschen Sprachenreichtum. Am Freitag, 4. November, liest sie aus ihrem Werk in der Galerie "Form & Farbe" in Bad Brückenau. Foto: Stephanie Elm
Grete Krassa-Dienstbühl pflegt seit 70 Jahren den deutschen Sprachenreichtum. Am Freitag, 4. November, liest sie aus ihrem Werk in der Galerie "Form & Farbe" in Bad Brückenau.  Foto: Stephanie Elm

Seit 70 Jahren hat sich Grete Krassa-Dienstbühl der Sprachpflege verschrieben. In einer Lesung am 4. November sagt sie uns, was sie noch sagen will.

Das kleine Zimmer im Kurstift ist ausgestattet mit einer erlesenen Auswahl an Möbelstücken, Andenken, Büchern, Bildern. Was Grete Krassa-Dienstbühl aus dem Haus, das sie und ihr Ehemann Horst über 50 Jahre zusammen bewohnt hatten, mitnehmen konnte, ist nicht viel. In ihrem Kopf ist dafür umso mehr. "Mein Kopf ist voller Gedanken," sagt die 83-Jährige.
Diese Gedanken müssen in Worte gefasst werden: "Was sich anstaut, muss man mal ausspucken können", sagt die Literatin. "Die Seele muss ein Fenster haben." Die Sprache, die die Gedanken und Impressionen ausdrücken soll, fliegt Grete Krassa-Dienstbühl ebenso zu, wie die Eindrücke selbst. "Es kommt einfach, das Bild und das Wort." Seit circa 70 Jahren hat sich Grete Krassa-Dienstbühl der Sprachpflege und dem deutschen Sprachreichtum verschrieben.


Gedichte statt SMS-Kürzel

Grete Krassa-Dienstbühl pflegt eine Sprache, die man heute fast unmodern nennen kann. Unmodern in einer modernen Zeit, die zu schnell und zu oberflächlich vergeht. "Dieses Gepixel setzt sich nicht im Gehirn fest, es gibt keine bleibenden Eindrücke", klagt Krassa-Dienstbühl über das Handy- und Fernseh-Zeitalter. "Dabei hat das menschliche Gehirn doch die besten Ressourcen!" Die Impressionen, die sie in ihrem Leben erfährt, möchte sie mit einer lebendigen Sprache auf den Leser und Zuhörer überschwappen lassen. "Im Sprachbild muss zu erkennen sein, was das Gedicht ausdrückt", fasst die Schriftstellerin ihre Meinung über gepflegte Sprache zusammen. "Ich bin sehr der Schöpfung zugetan."
Ein weiterer großer Themenkomplex ist die "Mitmenschlichkeit, das Leben liegt im 'Wir'." Die Sprache ist die "Wesenheit" der Menschen: "Durch den ganzen Wahn der Werbung und der Medien wissen die jungen Leute gar nicht, was sie nötig haben. Weil sie es nicht haben!" Emojis und abgehackte SMS-Nachrichten sind blass und leer, verglichen mit gepflegtem Deutsch, der Sprache der Dichter. "Sprache ist kostbar für die Verständigung" sagt Grete Krassa-Dienstbühl. "Leider verliert sie an Kontur."


Erstes Gedicht mit zehn Jahren

In ihrem Werk "Was ich Dir noch sagen wollte..." schreibt sie: "Es werden unzählige neue Wörter geboren, die nichts vom Verstehen zeigen, die nichts im Raum lassen, was Hoffnung und Farbe gibt." Die Autorin möchte ein "Echo der Zeit, der Menschen und der Gefühle sein." Akzentuiert werden die Impressionen in den Vordergrund gestellt. In der Lesung wird die Sprache noch fassbarer: "Der Rhythmus im Werk entspricht dem Gefühl."
Den Drang, sich sprachlich auszudrücken, hatte Grete Krassa-Dienstbühl schon lange. Mit zehn Jahren verfasste sie ihr erstes Gedicht. 1933 wurde sie im österreichischen Gresten geboren. Da ihre Großeltern Juden waren, wurde die Familie nach dem Zweiten Weltkrieg von den russischen Besatzern ausgewiesen. Nach acht Tagen waren sie in Fulda angelangt.


Impressionen auf Zettelbergen

"Es war eine Zeit voller Angst und Schrecken, wir waren so verarmt." Mehrmals mussten sie umziehen. Doch überall fühlten sie sich als "Fremdkörper". In der Handelsschule lernte sie Horst Dienstbühl kennen. Die beiden haben - modern ausdrückt - nicht lange gefackelt. Ihr erstes Date hatten sie in Bad Brückenau, den ersten Kuss ebendort. Ganz formal hielt Horst um Gretes Hand an, die beiden heirateten 1951. In Hettenhausen führten sie ein Uhrengeschäft, 1956 zogen sie mitsamt Geschäft, den Kindern und der Mutter nach Hünfeld. Horst erkrankte an Alzheimer, bis zu seinem Tod 2012 pflegte Grete ihn.
Das Leben bescherte Grete Krassa-Dienstbühl viele Beschwerlichkeiten und Strapazen, es blieb kaum Zeit für das Verfassen von Lyrik oder Prosa. Aber: "Ich hatte überall Berge von Zetteln." So spontan, wie die Worte zu den Impressionen auftauchten, mussten sie auch notiert werden.


Erstes Buch 1970

Im Laufe der Zeit hat Grete Krassa-Dienstbühl acht Publikationen zusammengestellt. Das erste Buch "Von Dir zu mir, von mir zu Dir" verdankt sie einer Freundin. Diese hatte 1970 ein Skript von Grete Krassa bei einem Wettbewerb zur Pflege der deutschen Sprache in Wien eingereicht. Grete Krassa befand sich unter den Besten, der Preis war die Verlegung des eingereichten Skripts.
Viele weitere Einsendungen wurden von den deutschen Verlegern abgelehnt. Doch Grete Krassa-Dienstbühl hat "hartnäckig weiter Skripte eingereicht". Die jüngste Veröffentlichung "Die Liebe hat viele Gesichter, doch bei Kindern hat sie nur eines" erfolgte 2003.
Etliche Lesungen führten sie nach Lugano, Innsbruck, Wien. Gedichte wurden vertont und in Predigt-Texten eingebaut. Ihr Gedicht zum Tode von Herbert von Karajan wurde im Wiener Rundfunk ausgestrahlt. Auch in Schulen wurde sie zu Lesungen geladen: "Ich habe keine akademischen Titel, keine Rhetorikkurse besucht, aber die Schüler waren fasziniert."
Den Erlös ihres ersten Buches sowie von Lesungen und Vorträgen spendete sie der Aktion Sorgenkind. Viele weitere Lesungen folgten. Deren Erlös sowie Spenden gingen in die von ihr und Bekannten ins Leben gerufene "Hünfelder Sorgenkinder"-Aktion. Dafür wurde Grete Krassa-Dienstbühl mit dem Bundesverdienstorden und außerdem mit der Ehrenmedaille der Stadt Hünfeld für 50 Jahre dichterisches Wirken geehrt.
Ihr dichterisches Werk wirkte auch auf Hans Dietrich Unger von der Galerie "Form & Farbe". Bereits im vergangenen Jahr war ihm ein Buch von Grete Krassa-Dienstbühl in die Hände gefallen. Auch weitere Werke hat er von ihr gelesen. "Sie sind ehrlich und haben eine angenehme Sprache" fühlt sich der Galerist von dem Werk angesprochen. Hans Dietrich Unger möchte nun weiteren Literatur-Begeisterten die Gelegenheit geben, Lyrik und Prosa von Grete Krassa-Dienstbühl kennen zu lernen.

Zur Info:
Termin Am Freitag, 4. November, liest Grete Krassa-Dienstbühl um 19 Uhr aus ihren Erzählungen und Gedichten. "Mit der Sprache schauen" ist der Titel ihrer Lesung in der Galerie "Form & Farbe" in der Bahnhofstraße 19.