Die Träume sprechen deutsch

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Anna Kramlich (hinten, stehend) unterrichtet Flüchtlingskinder in der Übergangsklasse. Wenn die Deutschkenntnisse von Ibrahim, Raed, Spase, Emy, Elisabeth, Ayat, Satiria, Ipek, Fadi, Abdulah, Amar und Mohamed besser sind, können die Kinder in die DAZ-Klasse und dann in ihren Regelklassen bleiben. Foto: Stephanie Elm
Anna Kramlich (hinten, stehend) unterrichtet Flüchtlingskinder in der Übergangsklasse. Wenn die Deutschkenntnisse von Ibrahim, Raed, Spase, Emy, Elisabeth, Ayat, Satiria, Ipek, Fadi, Abdulah, Amar und Mohamed besser sind, können die Kinder in die DAZ-Klasse und dann in ihren Regelklassen bleiben.  Foto: Stephanie Elm

In einer DAZ-Klasse werden Flüchtlingskinder gezielt und intensiv gefördert.

"Guten Morgen, Frau Herré!" - "Guten Morgen, Raul, wie geht es dir heute?" Das Ritual am Anfang der DAZ-Stunde (Deutsch als Zweitsprache) ist obligatorisch und wird von Mittelschulleiterin Birgit Herré mit Handschlag absolviert. So kommt man schon mal ins Gespräch. Die Flüchtlingskinder praktizieren die deutsche Sprache, und Herré gewinnt einen Eindruck von der individuellen Tagesform ihrer Zöglinge. Das ist wichtig, denn fern der Heimat und den Freunden lasten auf den Jugendlichen ganz besondere Probleme. So viel Normalität wie möglich soll stattfinden. Da darf auch schon mal der heiß geliebte und aus der Heimat mitgebrachte Fußball mit in den Klassenraum.

Die Kinder in der DAZ-Klasse sind die Fortgeschrittenen. Sie haben in den letzen zwei Schuljahren an einer provisorischen Übergangsklasse teilgenommen und die Basis für die DAZ-Klasse geschaffen. Nun kann Sprache im Vergleich mit den verschiedenen Muttersprachen verstanden und gelernt werden. Für sieben Stunden pro Woche verlassen die Flüchtlingskinder ihre Mitschüler in den Regelklassen und lernen intensiv Deutsch. Birgit Herré hat ihre Schützlinge bereits im vergangenen Jahr in der Übergangsklasse begleitet und kann feststellen: "Sie haben rasante Fortschritte gemacht. Je jünger sie sind, umso schneller geht es."

Sehr individuelle Entwicklungssprünge machten die Kinder. Ein einheitlicher Unterricht ist gar nicht möglich. Abhängig vom sprachlichen Lernprozess muss Unterricht - fast spontan - entwickelt werden. Was Eltern von Grundschulkindern oft zu hören bekommen, gilt für diese Kinder doppelt: Sie werden da abgeholt, wo sie stehen. Das betrifft nicht nur den Wissenstand, sondern auch die Vergangenheit, die ganz persönliche Situation.

Anna Kramlich, Fachlehrerin für Deutsch als Zweitsprache und Russisch, hat in diesem Schuljahr die neue Übergangsklasse übernommen. Es sind 14 Kinder, zwischen 11 und 15 Jahre alt, lernbegierig und aufmerksam. Sie wollen Deutsch lernen, damit sie ihre Träume verwirklichen und ihre Ziele erreichen können. Sotiria, 15 Jahre alt, und seit drei Monaten in Bad Brückenau, möchte Erzieherin werden, Raed, 13 Jahre und aus Syrien, Lehrer. Aber manchmal schweift der Blick ab und geht ins Leere. Dann wissen Anna Kramlich und Birgit Herré, dass die Heimat der Kinder plötzlich ganz nah ist, obwohl sie geographisch weit entfernt in einer deutschen Schule sitzen.


Abschiebung ist Alltag

Die Kinder kommen aus Rumänien, Weißrussland, Syrien, Afghanistan, Bulgarien, Griechenland, Ukraine, manche von ihnen sind alleine nach Deutschland gekommen. Manche sind anerkannt, bei anderen läuft das Asylverfahren, aber sie alle haben schon Mitschüler und Freunde verabschieden müssen, die abgeschoben wurden. "Das ist einerseits für sie befremdlich, andererseits für alle Alltag", berichtet Birgit Herré. Auch darüber muss man sprechen, auch das ist Thema im Unterricht.

Unterricht in der Übergangsklasse und der DAZ-Klasse läuft nicht so wie in anderen Klassen. Die erste Aufgabe der Lehrerinnen war es, die Kinder an teils komplett andere Schulregeln zu gewöhnen, damit Unterricht überhaupt möglich wurde. "Anfangs haben die Kinder in der Stunde getrunken und gegessen", berichtet Anna Kramlich. Nach drei Schulstunden in ihren Regelklassen treffen sich die Kinder für weitere drei Schulstunden bei Anna Kramlich. Für Deutsch und Mathematik gibt es in der Übergangsklasse Extra-Zeit und Aufmerksamkeit. Interkulturelle Probleme gibt es nicht, jeder wird mit seiner Individualität angenommen. Obwohl sie elf Jahre und älter sind, hatten manche in ihrem Heimatland noch nie eine Schule besucht. Erst an der Mittelschule in Bad Brückenau haben sie lesen und schreiben gelernt. Die Kommunikation im Unterricht ist ausschließlich Deutsch. "Welche Sprache sprichst du gerade, das hat hier keiner verstanden", sagt Anna Kramlich sanft, aber bestimmt in Richtung eines ihrer Schüler.


Ungeduld bringt gar nichts

Geduldig wiederholtes Abfragen von Rechtschreibung und Bedeutung der behandelten Wörter ist grundlegend für die DAZ-Klasse und den endgültigen Übergang in eine Regelklasse. "Kommunikation auf Deutsch ist sehr wichtig", so Birgit Herré. "Sie lernen miteinander und voneinander." Fehler, das macht Anna Kramlich klar, sind nicht schlimm und werden von den Schülern untereinander verbessert.

Seit September dieses Schuljahres gibt es die Übergangsklasse in dieser Form. In den vergangenen zwei Jahren hat die Mittelschule verschiedene Modelle ausprobiert. In einer großen DAZ-Klasse waren Anfänger, Fortgeschrittene und Analphabeten unterschiedlichen Alters zusammen unterrichtet worden. "Es gab so leider nicht so große Fortschritte", bedauert Birgit Herré. Nun sind die Deutsch-Anfänger und Fortgeschrittenen in unterschiedlichen Klassen. "So kann man ganz anders unterrichten." Zudem kümmert sich eine weitere Kollegin separat um die Kinder, die noch nicht lesen und schreiben können.

Übergangsklassen werden für Schülerinnen und Schüler angeboten, die als Quereinsteiger in das bayerische Schulsystem eintreten und nur geringe oder gar keine Deutschkenntnisse haben. Die Grundlage für den Unterreicht in der Übergangsklasse stellt der Lehrplan Deutsch als Zweitsprache dar. Durch stark differenzierte Unterrichtsformen sollen die Schülerinnen und Schüler besonders in der deutschen Sprache gefordert und gefördert werden und bei entsprechendem Lernfortschritt in der deutschen Sprache in die entsprechende Jahrgangsstufe der Regelklasse zurückgeführt werden.
Quelle: Kultusministerium Bayern