"Massaker" : Frauen schildern Messerattacke auf Kleinkinder

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Ein Mann greift in einem Park in Aschaffenburg eine Kindergartengruppe an - ein Kind und ein Helfer sterben. Vor Gericht schildern die Erzieherinnen ihre Erinnerungen an den Tag der Tat.

Update vom 17.10.2025: Erzieherinnen berichten vom Tag der Messerattacke in Aschaffenburg

Unbehagen, ein eigenartiges Gefühl, Angst: Zwei Betreuerinnen von Krippenkindern in Aschaffenburg, die gezielt von einem Messerangreifer attackiert wurden, haben vor Gericht von den dramatischen Momenten berichtet. "Er war im Wahn und er war sehr schnell und er wusste, was er tut. Ich sag' immer, ich habe ein Stück Krieg gesehen", sagte eine 59 Jahre alte Betreuerin am zweiten Tag des sogenannten Sicherungsverfahrens vor dem Landgericht Aschaffenburg.

Bei dem Verfahren (Az.: Ks 104 Js 668/25) geht es weniger um die Bestrafung des Angeklagten, der laut einem psychiatrischen Gutachten psychisch krank ist. Vielmehr versucht die Strafkammer, neben dem Tatgeschehen vor allem zu klären, ob der 28-Jährige bei dem Angriff vor rund neun Monaten überhaupt wusste, was er tat, oder möglicherweise schuldunfähig war.

Die 59-Jährige wirkte bei ihrer Aussage sehr gefasst. Dank einer Therapie und viel Unterstützung von Polizei und Eltern gehe es ihr verhältnismäßig gut, sagte sie. An den Tattag am 22. Januar erinnerte sich die Frau sehr gut. "Es war ein ganz normaler Arbeitstag, mit relativ wenigen Kindern." Fünf Mädchen und Jungen habe sie an dem sonnigen Mittwoch (22. Januar 2025) mit ihrer Kollegin betreut. Vor dem Mittag seien sie mit den Zweijährigen in den nahegelegenen Park namens Schöntal gegangen, um Vögel zu beobachten.

Erzieherinnen haben "geschrien wie die Bekloppten"

"Ungefähr auf der Hälfte des Weges stand der Beschuldigte", sagte die 59-Jährige. "Wir sind an ihm vorbeigelaufen, und da merkte ich schon, dass er hinter uns herlief." Der Afghane sei auffällig mit einer hellblauen Jacke bekleidet gewesen. "Ich habe mich sofort unwohl gefühlt. Als wir an dem kleinen Teich waren, stand er auch hinter mir. (...) Ich hab' mich nicht mehr getraut, umzudrehen. Ich habe mich bedrängt gefühlt, und ich hatte richtig Angst."

Die Erzieherinnen wollten daher nach eigenen Angaben zügig den Park verlassen. "Wir sind nicht mehr weit gekommen", sagte die andere Betreuerin, 48 Jahre alt. "Ich hab' dann nur bemerkt, wie jemand ganz schnell am Wagen vorbei wollte." Sie habe gedacht, er wolle den Kindertransportwagen, in dem die fünf Kleinkinder angeschnallt saßen, überholen. "Aber leider war dem nicht so."

Der 28-Jährige habe ein Messer gezogen und mehrfach auf einen Zweijährigen eingestochen. Die Frau sprach von einem Massaker. "Ich war dann so fassungslos, bis ich kapiert habe, was da passiert. (...) Das war entsetzlich." Ihre Kollegin sagte: "Wir haben geschrien wie die Bekloppten."

Kommt der Angeklagte dauerhaft in eine geschlossene Psychiatrie?

Nach Erkenntnis der Ermittler stellte sich die 59-Jährige dann dem Angreifer entgegen, ihre Kollegin schob den Wagen mit den Kindern weg. Der Beschuldigte stieß die 59-Jährige allerdings zu Boden, sie brach sich ein Handgelenk.

Die Frauen - beide haben braune, lockige Haare - arbeiten auch dank ihrer Therapien mittlerweile wieder in der Kinderkrippe. "Wir haben es aufgearbeitet. Wir waren im Schöntal, dass da nichts offen bleibt", sagte die 59-Jährige. Mit den Kindern gingen sie allerdings nicht mehr in den Park.

Bei dem Angriff starb neben dem zwei Jahre alten deutschen Jungen marokkanischer Herkunft auch ein 41-jähriger Deutscher, der den Kindern helfen wollte. Ein zweijähriges Mädchen aus Syrien wurde wie ein weiterer Helfer (damals 72, deutsch) durch Messerstiche verletzt. Das Verfahren soll in der kommenden Woche fortgesetzt werden. Die Staatsanwaltschaft strebt eine dauerhafte Unterbringung des Beschuldigten in einer geschlossenen Psychiatrie an.

Ursprungsmeldung vom 16.10.2025: Messerstecher von Aschaffenburg vor Gericht  - "Teufel im Kopf"

Der Fall hatte weit über die Region hinaus für Entsetzen gesorgt: Zwei Erzieherinnen wollen mit ihren kleinen Schützlingen an diesem sonnigen Tag einen Pfau im Aschaffenburger Park Schöntal beobachten. Doch binnen Sekunden verändert sich ihr Leben dramatisch: Wuchtige Messerstiche, immer wieder, treffen zwei zweijährige Krippenkinder, die angeschnallt in einem Transportwagen sitzen und sich nicht wehren können. Auch das Eingreifen zweier mutiger Männer und einer Betreuerin kann den Messerstecher nicht stoppen.

Nach wenigen Augenblicken sind der 2 Jahre alte deutsche Junge marokkanischer Herkunft und der 41 Jahre alte, deutsche Helfer tot. Das 2-jährige Mädchen aus Syrien, der weitere Helfer (damals 72, deutsch) und eine Erzieherin (59, deutsch) überleben schwer verletzt. Neun Monate später steht der mutmaßliche Täter vor dem Aschaffenburger Landgericht. Er ist 28 Jahre alt, afghanischer Flüchtling, polizeibekannt und vermutlich psychisch krank - paranoide Schizophrenie lautet die Diagnose.

Für Verteidiger Jürgen Vongries ist es die "Tat eines Wahnsinnigen". Der Beschuldigte habe damals Stimmen gehört und könne sich an die Attacke am 22. Januar nur diffus erinnern. Die Opfer habe der 28-Jährige zufällig ausgesucht, warum sei unklar. "Genau diese Frage werden wir nicht beantworten können." Sein Mandant sei ein sehr kranker Mensch. Dem psychiatrischen Gutachter sagte der Verdächtige nach Angaben seines Anwalts, er habe das rund 30 Zentimeter lange Küchenmesser aus seiner Flüchtlingsunterkunft in Alzenau (Landkreis Aschaffenburg) mitgenommen, weil er Angst etwa vor den islamistischen Taliban gehabt habe, sagt Vongries. "Er habe einen Teufel im Kopf gehabt, der viel mit ihm geredet habe." 

Messerstecher von Aschaffenburg litt an Schizophrenie

"Der Beschuldigte litt bei Begehung der vorbezeichneten Taten an einer paranoiden Schizophrenie, aufgrund derer seine Fähigkeit, das Unrecht der Tat einzusehen, aufgehoben war", fasst es Oberstaatsanwalt Jürgen Bundschuh zu Beginn des sogenannten Sicherungsverfahrens zusammen. Die Staatsanwaltschaft möchte mit Blick auf die in einem ersten forensisch-psychiatrischen Gutachten angenommene Schuldunfähigkeit erreichen, dass der Afghane dauerhaft in einem psychiatrischen Krankenhaus unterkommt. Denn laut Gutachter ist die Erkrankung des 28-Jährigen nicht nur vorübergehend ist - es könnten ohne Behandlung "mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit" weitere, auch hochaggressive Taten folgen.

Es ist der 22. Januar 2025, ein kalter, aber sonniger Mittwoch. Der Migrant stromert durch den Innenstadtpark - mit dem Messer, wie Ermittler später rekonstruieren. Er fragt mehrere Männer nach Drogen und Zigaretten. "Außerdem führte der Beschuldigte Selbstgespräche", sagt Oberstaatsanwalt Bundschuh. Zu selben Zeit sind die zwei Betreuerinnen mit fünf Krippenkindern in dem Park. Der Afghane bemerkt die Gruppe und folgt ihr. Als die Frauen mit den allesamt etwa zwei Jahre alten Jungen und Mädchen den Pfau ansehen wollen, spielt der 28-Jährige mit seinem Handy laut Musik ab. "Weil ihnen die Situation unangenehm war und sie dem Beschuldigten aus dem Weg gehen wollten", entscheiden sich die Frauen, den Park zu verlassen, sagt Bundschuh. "Sie nahmen aber nicht an, dass er ihnen etwas antun wolle."

Kurz danach kommt es zum Angriff - unvermittelt und ohne Vorwarnung. "Bei seinem Übergriff war es dem Beschuldigten von vornherein darauf angekommen, die beiden Kinder zu töten bzw. ihnen schwere Verletzungen zuzufügen", erläutert der Oberstaatsanwalt. Erst als immer mehr Passanten auf die dramatischen Szenen aufmerksam werden, flüchtet der Verdächtige. Rund zwölf Minuten nach dem ersten Notruf wird der Mann in der Nähe von Bahngleisen widerstandslos festgenommen. Das blutverschmierte Messer liegt nicht weit weg. "Blutige Hände und Blut an der Jacke", beschreibt ein Polizist dem Gericht die Situation.

Hätte die Tat verhindert werden können? Viele Fragen sind noch offen

Die Staatsanwaltschaft wirft dem Verdächtigen Mord, versuchten Mord, Totschlag, versuchten Totschlag, Bedrohung sowie Körperverletzungsdelikte vor. "Es steht völlig außer Zweifel, wer der Täter gewesen ist", sagt der Kriminalbeamte. Aber die Frage nach dem Warum könne er nicht beantworten. "Es war überhaupt nicht vorhersehbar, es gab keine Trigger, wir wissen nicht warum. Ich kann Ihnen kein Motiv nennen", sagt er auf eine entsprechende Frage des Vorsitzenden Richters. Der Beschuldigte habe keines der Opfer gekannt. "Das waren absolute Zufallsopfer gewesen", erklärt der Polizist und ergänzt: "Das hat die ganze Stadt, das hat das ganze Land erschüttert."

Der ausreisepflichtige 28-Jährige war vor der Tat wegen mehrerer Delikte polizeibekannt und vorübergehend in Psychiatrien - auch damals hieß es laut den Ermittlern schon, er könne paranoid schizophren sein. Dennoch lagen die Voraussetzungen für eine längere Unterbringung des Mannes in einer Psychiatrie nicht vor. In dem Sicherungsverfahren geht es neben der Gewalttat im Park auch um einen Vorfall am 29. August 2024 in der Flüchtlingsunterkunft in Alzenau. Damals soll der Mann seine Freundin gewürgt und verletzt haben. Für das Sicherungsverfahren sind bis zum 30. Oktober sechs Verhandlungstage angesetzt.

Vorschaubild: © Karl-Josef Hildenbrand (dpa)