Mit 502 Euro im Monat muss ein Bürgergeldbeziehender auskommen. Mit einem neu veröffentlichen Online-Rechenspiel möchte die Diakonie Deutschland greifbarer machen, was das heißt.
In der Debatte über das Bürgergeld werden Betroffenen oft mit Vorurteilen und falschen Behauptungen konfrontiert. Mit dem am Mittwoch (25. Oktober 2023) veröffentlichen Online-Spiel "Bürgergeld-Bingo" wollen die Diakonie Deutschland, die Selbstorganisation von Menschen mit Armutserfahrung Armutsnetzwerk e. V., der evangelische Verband Kirche-Wirtschaft-Arbeitswelt und der kirchliche Dienst in der Arbeitswelt Bayern zur Versachlichung der Diskussion beitragen.
In dem Spiel können Interessierte ausprobieren, was es heißt, mit dem Bürgergeldsatz auszukommen. Sie müssen ihre Ausgaben so einschränken, dass der aktuell geltende Regelsatz von 502 Euro eingehalten wird. Nur wer das schafft, für den heißt es "Bingo". Hier kannst du das Spiel selbst ausprobieren. Fährt man mit dem Mauszeiger über die einzelnen Kategorien, erscheinen dort Beispiele, was genau unter Ausgaben für etwa "Ernährung" oder "Wohnen & Energie" zu verstehen ist. Ratsam ist es, zuerst mit den unverzichtbaren Kosten (Strom, Versicherungen und Lebensmittel) zu beginnen und anschließend mit den restlichen Ausgaben zu kalkulieren.
502 Euro im Monat: nach Miete und Heizkosten - alles was bleibt
"Wir erleben täglich, wie von Armut betroffene Menschen zur politischen und medialen Zielscheibe werden. Entgegen dem Bild von der sozialen Hängematte ist das Leben mit weniger als dem Existenzminimum in Wirklichkeit ein belastender Zustand. Das wollen wir ganz konkret erfahrbar machen", erläutert Maria Loheide, Vorständin Sozialpolitik der Diakonie Deutschland.
Philip Büttner vom Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt Bayern hat das Spiel konzipiert. Er möchte "mit ein paar Mausklicks einen Perspektivwechsel ermöglichen und den Mangel nachvollziehbar machen." Lange Erklärungen würden wenig helfen, so Büttner. "Wer aber einmal selbst ernsthaft versucht, mit 502 Euro im Monat die nötigsten Ausgaben zu bestreiten, wird merken, wie schnell sie oder er ins Minus gerät. Wer sich gesund ernähren, die Stromrechnung bezahlen und ein Minimum an Mobilität und sozialer Teilhabe genießen will, kommt mit dem Geld nicht aus."
Jeden Euro umzudrehen und dann zu entscheiden, wo noch am ehesten gekürzt werden kann, das sei für in Armut Lebende bittere Realität, so Jürgen Schneider vom Armutsnetzwerk. "Wer mit dem Bürgergeld lebt, kann nicht wählen, was er oder sie will. Wir können entscheiden, was wir uns jeden Tag sparen, damit wir etwas Anderes, was wir brauchen, wenigstens zum Teil finanzieren können. Das heißt zum Beispiel: keine neue Hose, damit ich dann nicht noch mehr als ohnehin am Essen sparen muss."
Weniger Populismus - weniger Patentrezepte - weniger Fake News zum Bürgergeld
Gudrun Nolte vom evangelischen Verband Kirche-Wirtschaft-Arbeitswelt kritisiert: "Es wird oft über Bürgergeldbeziehende gesprochen, als wären sie eine fremde und schwer bewegliche, homogene Gruppe. Aber wir haben es nicht mit anonymen Wesen, sondern mit Menschen zu tun, mit Erwerbstätigen und Erwerbslosen, mit Alleinerziehenden, mit Kindern und Jugendlichen, die täglich darum kämpfen, durchzukommen. Wir hoffen, dass wir mit unserem Spiel einen Anreiz geben, sich etwas besser in deren Lage hineinzuversetzen."
Die Wirtschaftswissenschaftlerin Irene Becker verweist auf die Mängel der Regelbedarfsermittlung: "Da ist zunächst eine statistische Vergleichsgruppe, die selbst im absoluten Mangel lebt. Die so ermittelten Ausgaben werden dann noch willkürlich gekürzt. Jetzt kommt zwar eine Erhöhung des Bürgergeldes, die aber lediglich inflationsbedingte Verluste der Vorjahre ausgleicht."