Neue Intendantin spricht über ihre Konzepte am E.T.A.-Hoffmann-Theater

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Sibylle Broll-Pape vor ihrer neuen Wirkungsstätte, dem Bamberger E.T.A.-Hoffmann-Theater Fotos: Barbara Herbst
Sibylle Broll-Pape vor ihrer neuen Wirkungsstätte, dem Bamberger E.T.A.-Hoffmann-Theater Fotos: Barbara Herbst
 
 
 
 

Sibylle Broll-Pape wird ab der Spielzeit 2015/16 das E.T.A.-Hoffmann-Theater leiten. Die Intendantin gründete 1991 das freie Prinz-Regent-Theater in Bochum mit 100 Plätzen und führte es ab 1995. Ihre Entscheidung, einen Großteil des künstlerischen Personals nicht zu übernehmen, führte zu Protesten in der Stadt.

Wie gefällt es Ihnen denn in Bamberg?
Mir gefällt es sehr gut, vieles ist aber noch sehr neu. Natürlich ist schon ein Unterschied zwischen Bamberg und Bochum. Bamberg ist viel schöner als Bochum, aber auch kleiner.

Was hat Sie vom Ruhrgebiet nach Franken gezogen?
Die Größe des Theaters, das etwas Überschaubares hat. Und ich kann richtig in und mit und für die Stadt Theater machen. Das war eigentlich der entscheidende Punkt für mich. Ich möchte nicht unbedingt in einer riesigen Stadt das zehnte Theater machen, ich möchte hier mit den Leuten zusammenarbeiten und meine Vision vom Stadttheater erfüllen. Das geht, glaube ich, hier ganz gut, weil ich das Gefühl habe, die Bamberger engagieren sich schon sehr für ihr Theater, sie gehen ja auch sehr viel dorthin. Darauf kann man ja wahnsinnig gut aufbauen. Das interessiert mich.

Hat Sie auch etwas fortgetrieben aus Bochum?
Nein. Aus Bochum hat mich nichts fortgetrieben. Ich bin auch ehrlich gesagt ein bisschen schweren Herzens gegangen. Das ist auch klar, weil ich dort das Theater mit aufgebaut habe. Es fällt einem schon schwer, so ein Projekt dann zu verlassen. Auf der anderen Seite habe ich eine sehr gute Nachfolgerin gefunden, wir sind gerade in der Übergabe, und das ist eigentlich auch ganz schön, zu merken, dass es weitergeht, sich weiterentwickelt.

Womit haben Sie denn das letzte halbe Jahr in Bamberg verbracht?
Ich habe sehr viele unterschiedliche Menschen getroffen, sehr viele Akteure der Stadt, und mich andererseits darum gekümmert, dass ich mein Ensemble zusammenstellen konnte. Dazu bin ich sehr viel herumgefahren und habe viele Schauspieler eingeladen nach Bochum zum Vorsprechen. Das war so ein Hauptpunkt im letzten halben Jahr: das Ensemble zusammenzustellen und Regisseure zu finden.

Das Ensemble ist schon komplett?
Ja, das Ensemble und das übrige künstlerische Personal sind vollständig.

Gibt's schon Namen?
Die werden bei der Spielzeitvorstellung am 29. April vorgestellt. Da werden der Spielplan, das Ensemble, Regisseure, Ideen vorgestellt.

Dass Sie die Verträge eines Großteils des künstlerischen Personals am Bamberger Theater nicht verlängerten, hat einiges Aufsehen und einigen Unmut erregt. Wie ist die Stimmung mittlerweile?
Ich wurde in den ersten paar Tagen ein paarmal darauf angesprochen und danach nicht mehr. Das ist völlig normal. Ich glaube schon, dass sich die Wogen geglättet haben. Es sind ja auch noch Schauspieler da aus dem "alten" Ensemble. Ich glaube, es ist eher eine Spannung da, eine Neugier: Wer kommt jetzt, was sind das für Leute, wo waren die vorher, was werden die uns für ein Theater zeigen? Das heißt, im Augenblick finde ich die Stimmung unbedingt gut, positiv und aufgeschlossen.

Worauf gründet diese Meinung von der positiven Stimmung?
Nur aus Einzelgesprächen. Anders kann ich mir ja keine Meinung bilden.

Sie haben also die fränkische Mentalität schon kennen gelernt.
Ich wage noch nicht zu sagen, dass ich sie kenne. Sie ist anders als in Bochum. Menschen sind eben unterschiedlich.

Das Theaterpublikum dürfte sich relativ ähnlich sein.
Das kann man jetzt auch nicht so sagen. Das Bochumer Theaterpublikum hat Intendanten wie Peymann und Zadek und entsprechende Schauspieler gesehen. Das ist schon erste Klasse gewesen, das spielte in der Theater-Bundesliga ganz oben. Aber warum sollte das E.T.A.-Hoffmann-Theater da nicht auch spielen?

Kürzlich ging eine wüste Polemik durch die Medien, dass in der Provinz gutes Theater überhaupt nicht möglich sei ...
Das stimmt natürlich nicht. Ich habe gerade in der sogenannten Provinz so viele tolle Theateraufführungen gesehen und auch wunderbare Schauspieler erlebt und manches überhaupt nicht Großartige, eher Mittelmäßige an großen Häusern. Allerdings ist das für uns nicht so einfach zu vergleichen. Im Fußball zählt Tor oder nicht Tor. Bei uns ist das immer auch eine Geschmacksfrage.

Was haben Sie denn mit dem Bamberger Theater jetzt nach der 25 Jahre dauernden Ära Lewandowski vor? Gravierende, gar radikale Veränderungen?
Radikal würde ich das nicht nennen, aber natürlich verändert sich vieles. Ich bin ein anderer Mensch als Herr Lewandowski und werde andere Künstler einladen, mit mir zu arbeiten, als er es getan hat. Damit verändert sich natürlich sofort was. Man hat einen anderen Blick auf Stoffe, es interessieren einen andere Stoffe, andere Sichtweisen.

Welche Stoffe interessieren Sie?
Grundsätzlich finde ich den zeitgenössischen Blick sehr wichtig, möchte Zeitgenossen zeigen im Theater, was Stücke und Stückaufträge angeht, das Ganze aber immer kontrastierend mit den alten Stoffen. Es geht nicht darum, Klassiker nicht zu spielen, ganz im Gegenteil, den Austausch miteinander zu pflegen.

Welche Rolle werden die, nennen wir sie mal so, "unterhaltenden" Stücke einnehmen?
Etwas, was intellektuell anspricht, muss doch gar nicht nicht unterhaltend sein. Theater muss unterhaltend sein. Es gibt nichts Schlimmeres, als wenn ich mich langweile im Theater. Trotzdem muss ein künstlerischer, intellektueller, sinnlicher Anspruch dahinterstehen. Anspruch und Haltung will ich haben, und es ist mir egal, ob das jetzt ein gut gemachter Liederabend ist oder Goethes Faust.

Musical, Sommeroper?
Sommeroper wird ja gerade gemacht, ansonsten müssen wir sehen, ob wir uns das überhaupt noch finanziell leisten können, andere Dinge einzuladen. Das muss ich erst mal abwarten.

Wie wollen Sie Großes Haus, Studio, Treff und Gewölbe ausbalancieren?
Den Treff werden wir nicht bespielen. Ich möchte ihn auf die Dauer zu dem machen, was er von Anfang an sein sollte, nämlich der Treffpunkt. Er soll vor und nach der Vorstellung geöffnet sein, dass man auch die Möglichkeit des Austausches hat oder dass man hingehen kann ins Theater und erst mal ein Glas Wein trinken kann. Das finde ich nicht unwichtig. Und dass man das in der Pause auch kann, ist ja eigentlich selbstverständlich. Der Treff also eher als ein Ort der Gastronomie und der Kommunikation. Gespielt wird im Großen Haus, im Studio und auch im Gewölbe.

Sie führen auch selbst viel Regie, schreiben aber selbst nicht?
Ich schreibe nicht selber, das kann ich nicht und das will ich auch nicht. Mich interessiert die Reibung zwischen Autor und Regisseur.

Welche Stücke inszenieren Sie gerne oder stehen auf Ihrer Wunschliste?
Ich habe natürlich noch viele Traumstücke, aber danach wähle ich nicht den Spielplan fürs ETA-Hoffmann-Theater aus. Wir, d.h. mein Chefdramaturg Remsi Al Khalisi und ich, nehmen uns ein Thema vor für eine Spielzeit und anhand dessen machen wir den Spielplan. Mich persönlich interessiert nahezu jede theatrale Form. Ich liebe die Klassiker, ich liebe die Zeitgenossen, aber ich liebe ich auch die Oper. Irgendwann werde ich bestimmt eine Oper inszenieren.

Klassiker, Zeitgenossen ... können Sie Namen nennen?

Bei den deutschen Klassikern eine klare Vorliebe für Schiller und Kleist, so unterschiedlich sie auch sind. Ich habe schon mit sehr vielen Zeitgenossen zusammengearbeitet. Das sind Autoren wie Moritz Rinke und Roland Schimmelpfennig, Theresia Walser, auch Peter Turrini oder Franzobel. Ich bin aber immer auch für ganz Neues offen.

Noch einmal: Welches Konzept verfolgen Sie mit dem Bamberger Theater?
Ich möchte das Haus sehr offen halten, dass man nicht das Gefühl hat, da darf man nur rein, wenn man ein Abo hat. Ich fände es auch toll, wenn man wesentlich mehr Karten im freien Verkauf absetzt. Natürlich finde ich viele Abonnenten wunderbar und hoffe, dass sie uns treu bleiben. Auf der anderen Seite finde ich es wichtig, dass man spontan wählen kann. Ich möchte, dass eine tolle Aufführung immer mal wieder läuft. Das ist auch ein Prozess, den man nicht sofort haben kann.

Werden Sie die Jugendarbeit weiterführen?
Eher erweitern sogar. Jugend ist ja ganz wichtig. Momentan sind auch nicht so wahnsinnig viele Jugendliche im Theater. Das möchte ich schon ausweiten einerseits über die Stücke, andererseits über Angebote, die man noch machen kann. Ich finde, dass die bisherige Theaterpädagogik da schon gute Arbeit geleistet hat. Wir werden sicherlich darauf aufbauen. Theater sollte schon attraktiver werden für junge Leute. Mein Hauptanliegen ist aber: Man geht rein und setzt sich damit auseinander. Ich möchte, dass die Menschen über das Gesehene reden. Ich möchte nicht erleben, dass ich durchs Pausenfoyer laufe, und die Menschen reden über alles Mögliche, aber nicht über das, was sie grade gesehen haben. Ich will Anreize schaffen, dass man darüber spricht und sich auseinandersetzt.

Setzen Sie auch einmal auf Provokation?
Ich persönlich bin niemand, der provoziert. Es kann schon mal sein, dass man sich zum Beispiel durch einen sehr speziellen Regieansatz herausgefordert fühlt, aber Provokation um der Provokation willen ist überhaupt nicht der Sinn der Sache. So wie ich die Kollegen kenne, die hier inszenieren werden, glaube ich nicht, dass es eine bewusste Provokation geben wird.

Was halten Sie vom modernen Regietheater, das Stücke zerlegt, neu zusammensetzt, Fremdtexte einmontiert?
Kann toll sein, kann aber auch ganz schrecklich sein. Wenn einer das kann, ist es super, wenn nicht, ist es einfach schrecklich. Wenn eine künstlerische Vision dahintersteht, wenn man genau weiß, warum ein Regisseur/eine Regisseurin das tut, dann finde ich das auch klasse. Ich persönlich stehe eher auf der Seite derjenigen, die die alten Geschichten mit zeitgenössischen Mitteln neu erzählen.

Sie werden also nicht, um ein junges Publikum anzulocken, Remmidemmi um des Remmidemmis willen veranstalten?
Nein. Wir werden aber insgesamt mehr feiern. Theater muss offen, muss lebhaft sein. Wir werden sicher das eine oder andere Fest machen, und unbedingt größere Premierenfeiern. Der Feieraspekt gehört zum Theater. Aber das gilt nicht speziell für ein junges Publikum, das gilt für alle.

Man hat eigentlich noch nicht beobachtet, dass die 13 000 Studenten in der Stadt in Massen ins Theater strömen.

Nein, das tun sie nicht. Das ist aber auch eine Preisfrage. Ich habe schon sehr versucht, an der Preisschraube zu drehen, denn das ist auch eine Hemmschwelle. Ich habe selber zwei studierende Kinder und weiß, was das bedeutet. Ansonsten muss man natürlich Stoffe und Inszenierungen zeigen, die die Studierenden interessieren. Wir haben schon mit der Uni Kontakt aufgenommen: Was läuft da, was ist auch für die Professoren wichtig? Und dann möchte ich Möglichkeiten eröffnen, bei uns mitzutun, in Clubs, als Theaterscout, als Hospitant oder wie auch immer.

Sie haben ein Privattheater geleitet. Haben Sie sich schon in die Strukturen eines städtischen Theaters mit rund 80 Beschäftigten eingearbeitet?
Ich kenne ja städtische Theater unterschiedlicher Organisationsformen, von Staatstheatern bis zu solchen in der Schweiz. Was mir hier auffällt ist, dass dieses Theater tatsächlich ein Amt der Stadt ist. Das war für mich etwas schwierig, weil man natürlich Verwaltungsstrukturen einhalten muss. Es ist mühsamer. Es dauert alles länger. Man kann nicht schnell entscheiden, was ich gern mache. Ich versuche Dinge schnell umzusetzen. Doch sind alle sehr freundlich und nachsichtig mit uns. Ich habe schon sehr stark das Gefühl, dass man uns helfen will.

Die Calderón-Spiele wollen Sie beibehalten, mit einem ähnlichen Spielplan?
Es muss auf jeden Fall ein openairtaugliches Stück sein.

Der Etat spielt eine wichtige Rolle.
Das ist der Punkt. Der künstlerische Etat ist seit 20 Jahren nicht erhöht worden. Das finde ich ein Problem. Es ist eben nicht viel Geld da. Es ist sogar sehr wenig Geld da. Das finde ich schon schade. Wir legen mit dem Vorhandenen mal los, ich hoffe aber doch, dass das mal aufgestockt wird. Wir gehen jetzt in Vorleistungen, indem wir was bringen. Und wenn wir was Gutes bringen, dann hoffe ich, dass es dann doch mal so aufgebaut wird, dass ich die Künstler so bezahlen kann, wie sie eigentlich bezahlt werden müssten.

Mit welchen Gefühlen blicken Sie auf Ihre erste Bamberger Spielzeit?
Einerseits mit großer Freude, andererseits natürlich auch mit Respekt - man atmet schon dreimal durch, ob wohl alles gutgeht. Ich bin sicher, dass das, was wir machen, richtig und gut ist. Da stehe ich voll dahinter. Aber man muss sehen, wie es hier ankommt.

Das Gespräch führte Rudolf Görtler.