Die Filmemacherin und Schriftstellerin Doris Dörrie nahm mit ihrer lockeren Art ein großes Publikum ein.
Die von Buchhändlern gern so genannte Wasserglas-Lesung ist ein Auslaufmodell: Ein Autor sitzt auf der Bühne, sein Buch in den Händen, vor sich ein Wasserglas, das Publikum in dieser fast sakralen Atmosphäre lauscht andachtsvoll. Heute erwartet man von Veranstalter wie Vortragendem schon etwas mehr Entertainment.
Und bekam es geboten beim Auftritt der Doris Dörrie am Donnerstagabend im Kulturboden. Das erste (große) Bamberger Literaturfestival schickt sich an, ein umwerfender Erfolg zu werden: Wieder restlos besetzt war der Saal mit weit mehr als 300 Plätzen, zu mindestens 80 Prozent Frauen. Offenbar trifft die Filmemacherin und Autorin den Nerv eines vorwiegend weiblichen Publikums, ganz abgesehen von der Tatsache, dass Belletristik heute meist von Frauen gelesen wird.
Für den unterhaltenden Faktor hatten die Veranstalter den Entertainer Arnd Rühlmann engagiert, der sich mit Dörrie auf der Bühne unterhielt, unterbrochen von längeren Abschnitten, in denen die 60-Jährige aus ihrem jüngsten Buch las, dem kleinen Roman "Diebe und Vampire". Rühlmann erledigte seinen Job charmant und kompetent, ein wenig zu servil vielleicht. Aber das dankbare Publikum wollte keine kritischen Fragen hören, sondern die Regisseurin von "Männer" und "Kirschblüten - Hanami" erleben.
Und wie ist Doris Dörrie so? Angenehm unprätentiös, locker, hoch professionell, wie es man nach einer Sozialisation in der Münchner Alternativszene und Filmschickeria erwarten darf, nach vielen Reisen und Projekten, nach drei Romanen, zehn Kinderbüchern, sechs Erzählungsbänden, nach Operninszenierungen und etlichen Dokumentar- und Spielfilmen. Sie liest lebendig und nuanciert - man kann ihr lange zuhören. Ihr Stil ist gerade in diesem Buch in gewisser Weise "amerikanisch", schlackenlos, geschult an Short-Story-Helden wie dem im Roman auch erwähnten Raymond Carver oder Alice Munro.
Blockierte Schriftsteller
Die auch in manchem der "Meisterin" der "Diebe und Vampire" ähnelt. Das Thema des Kurzromans ist beileibe nicht neu: Schriftsteller, ihre Blockaden und Neurosen, ihr Leben in fiktiven Welten, ihr Vampirismus, mit dem sie das Leben von Personen ihrer Umgebung aussaugen, um es zu Papier zu bringen, Biografie-Diebe. Dörrie gelingt es, dieses alte Thema frisch aufzubereiten. Ihre Protagonistin Alice (sic!), eine eher indolente, mit einem deutlich älteren Mann liierte junge Frau, trifft in Mexiko eine ältere, sogleich bewunderte Schriftstellerin, eben die "Meisterin". Die beiden wollen das Schicksal eines inhaftierten Jungen literarisch verwerten, was nur der Älteren gelingt. Ein Besuch Alice' bei der Meisterin in San Francis-co desillusioniert die von Blockaden geplagte Autorin in spe. Schließlich landet sie mit einem Schreib-Ratgeber einen Bestseller. Der Roman endet mit einem Aufenthalt der nunmehr etwa 50-jährigen Alice wiederum in Mexiko mit mancher ironischer Spitze auf Autoren und den Literaturbetrieb.
"Diebe und Vampire" fand bei der Kritik ein eher zwiespältiges Echo, zu Unrecht, der Roman ist weitaus besser als etwa der grandios überschätzte Film "Männer". Es ist wie alles von Dörrie sicher keine große Literatur, rangiert aber im Unterhaltungsgenre im oberen Segment, was nicht wenig ist. Im Gespräch mit Rühlmann offenbarte sie ihre Déformation professionnelle, eben das Belauern der Umwelt, um Charaktere und Geschichten zu adaptieren und qua Film oder Literatur wiederzugeben: "Ich finde das imaginierte Leben interessanter als das reale." Einiges verriet sie über ihre eigenen Schreibhemmungen - heute belegt man das mit dem schönen Wort Prokrastination - und ihre Strategien dagegen. Den "Schreibmuskel" müsse man täglich trainieren wie andere auch. Über ihre Reaktionen auf Kritik - Wolfgang Herles verzeiht sie bis heute nicht, dass er Alice Munro als "schreibende Hausfrau" abqualifizierte -, das ewige Frauenthema Älterwerden plauderte sie und kokettierte damit, dass sie "jeden Tag tief enttäuscht" sei von sich selbst.
Schweres wolle sie leicht machen, proklamierte Dörrie zum Schluss, was ihr mit Roman und Lesung sicher gelungen ist. Dass sie damit viele Gesinnungsgenossinnen findet, offenbarten die langen Schlangen vor Bücher- und Signiertisch.