Der Mensch: grausam, nutzlos und Ekel erregend

2 Min
Grausame Clowns: (v. l.) Thomas L. Dietz, Julia Bartolome, Louisa von Spies, Philipp Weigand, Stefan Willi Wang Foto: Marion Bührle
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Sascha Hawemann flicht in seine Nürnberger Version von Maxim Gorkis "Kinder der Sonne" auch noch Szenen aus dem "Nachtasyl". Entstanden ist ein in Teilen faszinierende Tragikomödie über eine neurotische Mittelschicht.

Mit leichtem Erschauern hört der Theaterbesucher vor der Premiere am Staatstheater, dass er knapp drei Stunden auszuharren hat: Das wird anstrengend! Was im Falle von Maxim Gorkis "Kinder der Sonne" stimmt und auch wieder nicht.

Denn bis zur Pause fasziniert ein wie geschmiert interagierendes Ensemble in dieser von Regisseur Sascha Hawemann und Dramaturgin Katja Prussas erarbeiteten Fassung von Gorkis 1905 entstandenem Drama. Da saß der Schriftsteller wegen revolutionärer Umtriebe in Festungshaft und schrieb seine "Kinder der Sonne" unter dem Eindruck des Petersburger Blutsonntags im Januar 1905, als der Zar demonstrierende Arbeiter niedermetzeln ließ.

Die Kinder der Sonne - der Titel bezieht sich auf ein populärwissenschaftliches Werk, das die Leistungen der Wissenschaft rühmt - schmoren in dieser Tragikomödie im eigenen psychischen Saft vor sich hin. Schön visualisiert Wolf Gutjahrs Bühnenbild die Befindlichkeiten des Personals: vorne ein Versuchsgarten, in dem der fanatische Chemiker Pawel (Stefan Willi Wang) werkelt, hinter einem transparenten Plastikvorhang eine bühnenbreite Bücherwand, die Andeutung bürgerlichen Mobiliars, links und rechts sorgen Birkenstämmchen für russisches Flair.

Es ist recht eigentlich eine Tschechow'sche Besetzung, die sich im Labyrinth ihrer Neurosen, Widersprüche und Lebenslügen verirrt; war Gorki doch mit dem Dramatiker der Melancholie befreundet. Doch die Verhältnisse haben sich geändert: Das zaristische Russland fault kataton vor sich hin, in der verelendeten Unterschicht gärt es, der Sturmvogel der Revolution fliegt und wird nicht mehr aufzuhalten sein. In dieser Lage beschäftigen sich die "Kinder der Sonne" vornehmlich mit sich selbst; es sind, wie es Siegfried Jacobsohn ausdrückte, Lustspielfiguren, die in traurige Vorgänge verflochten werden. Pawels vernachlässigte Gattin Jelena (Louisa von Spies) tändelt mit dem großmäuligen Künstler Wagin (Julian Keck), während Lisa (Julia Bartolome), des Chemikers Schwester, nicht zu dem zynischen Tierarzt Boris (Christian Taubenheim) findet, Musterbeispiel des überflüssigen Menschen russischer Tradition ("Der Mensch: grausam, nutzlos und Ekel erregend") - sie wird wahnsinnig, er wird sich erhängen. Dann ist da noch Melanija (Karen Dahmen), die sich Pawel im wahrsten Sinne hündisch andient, und der Prolet Jegor (Stefan Lorch), der seine Frau prügelt und einen bedrückenden Monolog hält: ein Ausschnitt aus Gorkis heute noch lesenswerter Autobiografie.

Clowns als Anarchisten

In diese bürgerliche Vorhölle hinein platzen zwei Clowns (großartig: Philipp Weigand und Thomas L. Dietz), die auf Wunsch des Juste Milieus Szenen aus Gorkis Sozialdrama "Nachtasyl" spielen. Das wirkliche, entsetzliche Leben - allerdings als Groteske. Offenbar hat die humanistische Idee der sozialen Revolution im Jahr 2015 ausgedient. Was vor allem im dritten und vierten Akt deutlich wird, die sich dann allerdings wirklich hinziehen. Die Figuren demontieren sich selbst, eine Cholera-Epidemie draußen leuchtet nur als panisches "Virus!"-Geschrei auf, die Bücherwand zerbirst, und am Ende schlüpfen alle in eine fünf Meter hohe Matrjoschka-Puppe wie in einen gigantischen Uterus.

In den letzten Jahren wird Gorkis Abrechnung mit der Intelligenzija seiner Zeit, heute vielleicht als grüne Mittelschicht zu interpretieren, auf deutschen Bühnen wieder häufiger gespielt. Erkennt sich das Publikum in den mit Beziehungsproblemchen und Weltverbesserungsgeschwafel beschäftigten Figuren wieder? Hawemann setzt auf die totale Destruktion. Am Ende bleibt nichts übrig, kein Traum, nirgends. Exzellente Schauspieler, die teilweise geradezu entfesselt aufspielen, machen dieses in der zweiten Hälfte doch sehr anstrengende Stück unbedingt sehenswert. Das Premierenpublikum jedenfalls war sehr angetan.

Weitere Vorstellungen 25. Februar, von März bis Juli 17 Vorstellungen, jew. 19.30 Uhr. Genauer Terminplan unter www.staatstheater-nuernberg.de. Dort und unter Tel. 0180/5231600 auch Kartenreservierung.