Landrat Meißner zieht positive Bilanz des Flüchtlingsgipfel

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Landrat Christian Meißner: "Wir können Berlin nicht weiter jeden Tag beweisen, dass es immer weiter irgendwie noch geht." Foto: Hendrik Steffens
Landrat Christian Meißner: "Wir können Berlin nicht weiter jeden Tag beweisen, dass es immer weiter irgendwie noch geht." Foto: Hendrik Steffens
Die Berufsschulturnhalle ist die Erstaufnahmeunterkunft. Foto: Archiv
Die Berufsschulturnhalle ist die Erstaufnahmeunterkunft.  Foto: Archiv
 

Kaum eine Woche vergeht, ohne das Busse mit Flüchtlingen im Kreis Lichtenfels ankommen. Die Grenzen der Kapazität sind sichtbar. Doch nach dem Flüchtlingsgipfel am Mittwoch schöpft Landrat Christian Meißner Hoffnung.

Am Mittwoch hatte Ministerpräsident Horst Seehofer zum Flüchtlingsgipfel nach Ingolstadt geladen, um mit Lokal- und Bezirkspolitikern das weitere Vorgehen in Flüchtlingsfragen zu diskutieren. Landrat Christian Meißner (CSU) war dabei. Er ging, wie seine Kollegen, mit dem dringenden Wunsch nach mehr Beistand des Freistaats - und kam zuversichtlich zurück. Wir sprachen mit Meißner über ungerechte Verteilung, Enteignung und das Recht, Bier zu trinken.

Mit welchen Anliegen und Erwartungen sind Sie zum Gipfel nach Ingolstadt gefahren?
Christian Meißner: Wir mussten deutlich machen, dass wir die aktuellen Aufgaben zwar bewältigen - die Leute, die zu uns kommen, unterzubringen und zu versorgen - , dass aber unsere Möglichkeiten endlich sind. Nicht weil wir es nicht schaffen, die Leute zu verköstigen oder irgendeine Turnhalle zu requirieren, sondern weil wir Folgen bedenken müssen: Nachzug, Wohnungsengpässe, Integrationsproblematik. Wir haben uns im Präsidium des Landkreistags zuvor abgestimmt und vorbereitet.

Welche konkreten Wünsche wurden von Seiten der Oberbürgermeister und Landräte formuliert?
Vor allem der nach der Realisierung einer innerdeutschen Verteilungsgerechtigkeit. Es ist nicht so, dass wir einen direkten Aufnahmestopp fordern. Sehr wohl aber die Einhaltung des Königsteiner Schlüssels, der die Aufteilung von Flüchtlingen auf die Bundesländer regelt.

Die anderen Bundesländer sollen das, was wir in Bayern tun, auch tun. Derzeit kann von einer gleichmäßigen Verteilung keine Rede sein.

Wie würden Sie die aktuelle Situation im Landkreis schildern?
Wir werden nicht gefragt, ob es in Ordnung ist, wenn am Samstag zwei Busse ankommen - was übrigens der Fall ist. Sondern wir kriegen es von der Regierung mitgeteilt. Niemand fragt, ob es passt oder ob Kapazitäten bereitstehen. Sie kommen einfach. Allerdings kommen diese Busse nur deshalb nach Lichtenfels, weil wir warten müssen, bis irgendein Bundesland gnädig sagt: "Wir können mal wieder 80 Leute aufnehmen." Das kann's nicht sein.

Es muss möglich sein, dass die Busse vermehrt auch in Sachsen-Anhalt oder in Thüringen oder sonst wo ankommen. Das deutlich zu machen, war und ist wichtig. Und zum Glück sind wir nicht umsonst nach Ingolstadt gefahren.

Die Ergebnisse des Gipfels waren für Sie also zufriedenstellend?
Ja. In mehrfacher Hinsicht. Das eine ist, dass fast die gesamte Kommunalpolitik - Oberbürgermeister, Landräte - sagt: Wir können Berlin nicht weiter jeden Tag beweisen, dass es immer weiter irgendwie noch geht. Und wir wissen jetzt, wir haben die Rückendeckung der Staatsregierung. Sie transportiert nach außen, dass die Kapazitätsgrenzen in bayerischen Kommunen irgendwann erreicht sind. Die anderen müssen jetzt auch ran.

Zweitens hat Ministerpräsident Seehofer endlich angekündigt, dass bei einer Sondersitzung des Kabinetts am Freitag (heute, Anm. d. Red.) neue Stellen beschlossen werden: Neue Lehrer, die wichtig sind für die Integration, Polizisten und vor allem neue Stellen für die Verwaltung.

Gerade Letzteres dürfte die Ämter gefreut haben.
Klar. Sie müssen sehen, dass bei uns dieselbe Zahl an Leuten, die vor zwei Jahren für 40 Asylbewerber zuständig war, jetzt mehr als 500 verwaltet.

Wir werden jetzt hoffentlich verwaltungsmäßig gestärkt und haben das klare Signal bekommen, dass Bayern entschlossen ist, die innerdeutsche Verteilungsgerechtigkeit herzustellen oder notfalls zu drastischen Maßnahmen zu greifen.

Was für Maßnahmen?
Jeder Flüchtling, der von Österreich nach Bayern kommt, ist rechtlich gesehen ein illegaler Grenzgänger. Wenn wir die gerechte Aufteilung innerhalb Deutschlands nicht schaffen, dann wird künftig auch mal ein Bus nach Österreich zurückfahren. Es ist ja nicht so, dass Österreich eine Bananenrepublik ist. Wir müssen zeigen: Es geht nicht mehr lang so weiter. Ich sehe die Kanzlerin und die anderen Ministerpräsidenten in der Pflicht.

Hat die bayerische Staatsregierung bisher alles richtig gemacht?
Nein. Was mir die letzten Monate gefehlt hat, war, dass jemand das Heft des Handelns in die Hand nimmt. Dass jemand über die Beschreibung der Situation hinausgeht und fragt: Wie gehen wir mit ihr um? Nicht nur in den kommenden 14 Tagen, sondern in den nächsten Jahren.

Mehrere tausend Stellen sollen geschaffen werden. Wie würde sich das hier im Landkreis auswirken?
Zwei Dinge sind besonders dringend: Wir brauchen staatliche Beamte, die uns im Ausländeramt verstärken. Und - fast noch wichtiger - Lehrer. Vor allem, um die angekommenen Kinder und Jugendlichen Deutsch zu lehren, bevor sie den regulären Unterricht besuchen. Es ist klar, dass junge Asylbewerber besondere Betreuung brauchen. Das ist Integration.

Ist abzusehen, wie viele Stellen hier im Kreis geschaffen werden könnten?
Wenn, wie versprochen, 3000 bis 4000 Stellen in ganz Bayern geschaffen werden, dann bedeutet das schon einige Handvoll Leute für uns.

Wenn neue Stellen geschaffen werden: Wer soll sie fachkundig füllen? Werden Pensionäre reaktiviert?
Dieses Potenzial haben wir schon längst ausgeschöpft.

Neu anlernen dauert eine Zeit ...
Wenn ich jemand Neues bekomme, kann ich ihn in ein Rechtsgebiet setzen, das er durch die Ausbildung ohne weiteres erfüllt. Und ich kann Leute, die Verwaltungserfahrung haben, in das Ausländeramt setzen. Wichtig ist, dass wir im aktuellen Mangelbetrieb Perspektiven bekommen.

Es fehlt zunehmend auch an Unterbringung, an Wohnraum. Was soll dahingehend passieren?
Am wichtigsten ist die Botschaft: Es wird kein privater Wohnraum beschlagnahmt. Ich bekomme viele Anrufe und Zuschriften von Bürgern, die solche Befürchtungen haben.

Wenn der Staat so etwas sagt, heißt es aber auch, dass neuer Wohnraum geschaffen werden muss. Das soll geschehen. Aber nicht so, dass wir ganze Siedlungen - es fällt ja schnell das Wort Ghetto - errichten. Sondern wir brauchen insgesamt Wohnungsbau: Für die alleinerziehende Krankenschwester aus Mistelfeld wie für den anerkannten Asylbewerber aus Syrien. Das ist eine Geschichte, die in die Abermillionen geht. Gott sei Dank will uns auch dabei die Staatsregierung unterstützen.

Nachdem der Gipfel in Ingolstadt zu Ihrer Zufriedenheit verlaufen zu sein scheint: Wie schätzen Sie Seehofers Rückhalt bei der Basis ein?
Ich glaube, der Rückhalt wird jetzt wieder wachsen. Bei unserer Staatsregierung gab es bislang leider nur ein Wurschteln von Tag zu Tag. Jetzt sind Perspektiven und Fortschritte erkennbar. Das war dringend nötig.

Ich bekomme täglich Zuschriften und Anrufe, die eine Unsicherheit in der Bevölkerung belegen. Wir sind alle Christen und haben eine humanitäre Verpflichtung, die Menschen, die kommen, so gut es geht zu versorgen. Aber wir müssen auch sehen, wie es weitergeht. Das schafft Druck: Jeder Kommunalpolitiker spürt, dass die Bevölkerung Sorgen hat.

Wie sieht Seehofers Zeitplan für die Unterstützung aus?
Ich gehe davon aus, dass Freitag (heute) die neuen Stellen beschlossen werden. Zudem werden dann wohl Finanzierungsfragen zu außerplanmäßigen Posten geklärt: Etwa inwiefern es vom Freistaat bezahlt wird, wenn ich einen Hausmeister für eine Unterkunft reaktiviere. Grundsätzlich übernimmt München 100 Prozent unserer Kosten für Asylbewerber. Auch soll (heute) die gerechte innerdeutsche Verteilung angesprochen werden - und dass wir sie notfalls selbst herstellen.

Angela Merkel verteidigt weiter einen "Wir-schaffen-das-Kurs" und wehrt sich gegen Restriktionen.
Ich verstehe sie. Vor allem, wenn sie sagt: Zäune haben nie geholfen. Man muss natürlich die Ursachen von Flucht beheben. Aber bis jetzt hat sie uns zu wenig gesagt, wie sie die Probleme, die wir in den Kreisen und Kommunen haben, meistern will. Insbesondere in Bayern.

Fast täglich liest man von Auseinandersetzungen in Aufnahmeeinrichtungen. Wie ist das im Kreis Lichtenfels?
Bis jetzt ganz gut. Es gibt hier und da Spannungen in den Gemeinschaftsunterkünften und manchmal auch einen kleineren Polizeieinsatz. Wenn etwa ein nicht-muslimischer Afrikaner in der Gegenwart von Moslems ein Bier trinkt, kann es sein, dass die sich gestört fühlen. Aber da gibt es von mir vor Ort immer wieder die klare Ansprache: Ihr seid in dieses Land gekommen. Und hier dürfen die anderen ihr Bier trinken. Jeder darf tun, was er will, solange es niemand anderem schadet. Jeder muss hier Demokratie und Freiheit anerkennen.

Was glauben Sie, wie wird die Situation im Landkreis in einem oder fünf Jahren aussehen?
Ich kann das nicht aus dem Flug der Schwalben lesen. Letzten Donnerstag kam um 17.30 Uhr ein Bus mit 140 Leuten. Um 19.30 Uhr waren noch 18 da, alle anderen haben sich mit unbekanntem Ziel verabschiedet. Die meisten Flüchtlinge wollen in die Großstädte. Einige werden hier bleiben und es wird auch Nachzug geben. Wie viel, das kann ich nicht sagen. Aber es muss nicht zu unserem Nachteil sein, denn sie können und müssen ihren Beitrag leisten. Wir finden zum Beispiel kaum Deutsche, die Bäcker, Metzger oder Polsterer werden wollen. Vielleicht finden wir neue Azubis unter den Flüchtlingen.