Der ehemalige SPD-Vorsitzende und Vizekanzler Franz Müntefering besucht den Burgkunstadter Ortsverein. Doch statt seine Sicht auf aktuelle Krisen zu richten, blickt er ins Kaiserreich zurück.
Ein sozialdemokratischer, ach was, ein politischer Höhepunkt im Burgkunstadter Terminkalender sollte es werden. Der ehemalige Bundesminister, SPD-Vorsitzende und Vizekanzler Franz Müntefering kommt zu uns aufs Land, um seine exklusive Sicht auf die gegenwärtigen Krisen zu teilen. Am Rande wäre er sicher noch so freundlich, die Ehrung langjähriger Mitglieder des Ortsvereins vorzunehmen. Letzteres macht er brav - nachdem er die Geschichte der SPD seit 1863 erzählt hat. Dann muss er zum Bahnhof.
Der Applaus schallt, dass die roten Wimpel und Luftballons auf den Tischen wippen. Eineinhalb Stunden nach dem geplanten Eintreffen betritt Franz Müntefering den Speiseraum der Gaststätte "Zum Anker" in Burgkunstadt-Weidnitz. Er winkt und lächelt über die rahmenlose Brille hinweg. Zum dunkelgrauen Anzug trägt er parteikonform eine rot-grau gestreifte Krawatte. Fit sieht er aus für seine 75 Jahre.
"Unser Franz Müntefering ist endlich angekommen. Nach einer halben Odyssee, glaub' ich", kündigt SPD-Ortsvorsitzender Hans Peter Marx an. Es habe Zugprobleme gegeben. Jetzt freue er sich auf ein kurzes Referat "über Politik im Allgemeinen und darüber, wie du derzeit die Lage in Deutschland und der Welt siehst", sagt er zu Müntefering gewandt.
Wieder Applaus. Der Raum ist rappelvoll mit mehr als 50 Gästen, die sich auf kluge Analysen und eine gute Diskussion freuen.
Es gibt da einen Haken
Um halb zehn am Morgen habe er das Haus Richtung U-Bahn verlassen, sagt Franz Müntefering, der im westfälischen Herne daheim ist. Genau sechs Stunden und neun Minuten Wegzeit bis in den Kreis Lichtenfels habe er geplant. Aber dann brannte ein Stellwerk der Bahn. "Münte" zuckt mit den Schultern. Er nahm also die S-Bahn bis nach Düsseldorf - und schlussendlich hatte der Zug von Nürnberg auch noch Verspätung. Deshalb sei er jetzt eineinhalb Stunden zu spät dran, aber: "Alles nicht so wichtig. Jetzt bin ich ja hier", sagt er und blickt in erwartungsvolle Gesichter. Einziger Haken: Es ist schon kurz nach 19 Uhr - und er wolle den Zug um kurz nach 20 Uhr zurück nach Herne erwischen. "Den muss ich nehmen."
Was dann kommt, dürfte die Erwartungen der meisten Gäste enttäuscht haben: Das Referat, bei dem der ehemals hochrangige Politiker seinen Blick auf Flüchtlingsdrama, Weltgeschehen und Angela Merkel - unter der er immerhin Vizekanzler war - hätte teilen können.
Der Exkurs beginnt 1863 bei der Gründung der SPD. "Münte" mischt Wikipedia-Wissen mit ein paar Anekdoten und arbeitet sich so bis zum Mauerfall vor, den er übrigens vom Bundestag aus verfolgt habe. All das hätte am Tag der Deutschen Einheit besser gepasst. Es wirkt teilweise so, als wolle er die Zeit füllen, um ja nicht über die drängenden Themen sprechen zu müssen: Er betont, die SPD habe unter Kaiser und Bismarck für freie und geheime Wahlen gekämpft. Und er schätze die Bahn und wolle sie trotz der Verspätung nicht beschimpfen. Und diese Veranstaltung vergesse er bestimmt nie, weil die Reise so besonders war.
Ein Foto, dann muss er weiter
Dann gratuliert Franz Müntefering Rudi Malzahn für 65 Jahre, Dieter Hasenkämper für 50 und Bernd Osser für 25 Jahre Parteizugehörigkeit und betont: "Wir brauchen Sie alle!" Für ein Foto mit den Geehrten bleibt er noch. Dann muss er weg. Interview-Anfragen der Presse werden mit einem Tippen auf die Armbanduhr abgelehnt. Man könne ein Fax mit ein paar Fragen schreiben die Tage. Morgen telefonieren sei schlecht, sagt Müntefering, da sei er in Lübeck. Und tschüss! Der ehemalige Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion hinterlässt einige fragende Gesichter.
Söders "jugendlicher Leichtsinn"
Ungleich passender zur aktuellen Situation war zuvor die Rede des Hofer Landtagsabgeordneten Klaus Adelt, die eigentlich als Überbrückung der Wartezeit gedacht war. "Ein paar Sachen laufen derzeit nicht ganz rund", eröffnet Adelt seine Sicht auf die Dinge. Dann fordert er mehr Unterstützung von der bayerischen Staatsregierung für Landkreise und Kommunen. Kritisiert angeblichen Populismus der CSU ("die richten sich nur nach Meinungsumfragen"), ärgert sich über die Sensationspresse ("vieles wird überspitzt geschrieben") und verurteilt die Enteignung von Grundbesitzern. Aus dem Landtag berichtet er über den aktuellen Kampf seiner Fraktion für mehr Richter, die Asylfälle bearbeiten könnten.
Oder über Söders "jugendlichen Leichtsinn", das Grundrecht auf Asyl anzufechten und Grenzen dicht zu machen: "Die logische Konsequenz einer sicheren Grenze ist der Schießbefehl. Will man das?", kritisierte Adelt. Zum Schluss lobte er - im Namen seiner Landtagsfraktion - noch Merkel im Kontext der Krise. Applaus.