Die Zähne zusammenbeißen

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Beim Crossfit hebe ich die Langhantel wie eine richtig schwere Wasserkiste vom Boden hoch zu den Oberschenkeln. Der Rücken fühlt sich an wie unter Strom gesetzt. Foto: Ronald Rinklef
Beim Crossfit hebe ich die Langhantel wie eine richtig schwere Wasserkiste vom Boden hoch zu den Oberschenkeln. Der Rücken fühlt sich an wie unter Strom gesetzt.  Foto: Ronald Rinklef
Chef und Trainer Ralf Müller erklärt dem Reporter, was ihn erwartet. Foto: Ronald Rinklef
Chef und Trainer Ralf Müller erklärt dem Reporter, was ihn erwartet.  Foto: Ronald Rinklef
 
Wie anstrengend hocken sein kann, vermittelt diese Übung. Foto: Ronald Rinklef
Wie anstrengend hocken sein kann, vermittelt diese Übung.  Foto: Ronald Rinklef
 
Während die erfahreneren Sportler Liegestütze im Handstand machen, darf der Neuling sie klassisch ausführen. Foto: Ronald Rinklef
Während die erfahreneren Sportler Liegestütze im Handstand machen, darf der Neuling sie klassisch ausführen.  Foto: Ronald Rinklef
 
Auf der Tafel stehen die Übungen, die an diesem Tag gemacht werden. Foto: Ronald Rinklef
Auf der Tafel stehen die Übungen, die an diesem Tag gemacht werden.  Foto: Ronald Rinklef
 
Hampelmänner kennen viele aus dem Sportunterricht. Foto: Marian Hamacher
Hampelmänner kennen viele aus dem Sportunterricht.  Foto: Marian Hamacher
 
Selbsterfahrung Freeletics: Die Situps im letzten der fünf Sätze bringen unseren Reporter an die Versagensgrenze - und dann darüber hinaus. Foto: Marian Hamacher
Selbsterfahrung Freeletics: Die Situps im letzten der fünf Sätze bringen unseren Reporter an die Versagensgrenze - und dann darüber hinaus.  Foto: Marian Hamacher
 
Kniebeugen zaubern ein besonderes Lächeln ins Gesicht. Foto: Marian Hamacher
Kniebeugen zaubern ein besonderes Lächeln ins Gesicht.  Foto: Marian Hamacher
 
Das ist der Trainingsplan "Prometheus". Foto: Marian Hamacher
Das ist der Trainingsplan "Prometheus".  Foto: Marian Hamacher
 

Crossfit und Freeletics: zwei Fitmacher gegen Winterspeck. Unser Reporter Hendrik Steffens hat den Selbstversuch gemacht.


Crossfit - eine schwere Prüfung fürs Kreuz





Ich schnaufe wie ein Pferd, aber die Stange hebt sich nur langsam, zentimeterweise. Meine Finger betteln, sich öffnen zu dürfen und im Rücken kämpft jede Muskelfaser um die Stabilität der Wirbelsäule. Mit rotem Kopf hebe ich die Langhantel auf Oberschenkelhöhe. Dann entspanne ich und das Gewicht kracht auf die Matte.

Crossfit ist angesagt. In sozialen Medien wie Instagram hat jeder Nutzer zwischen 16 und 46 Jahren jemanden in der Liste, der sich bei dem Sport zeigt. Crossfit soll Fett verbrennen und Muskeln wachsen lassen. So etwas suche ich. Im Kulmbacher Studio bekomme ich einen Termin fürs Probetraining.


Es geht nicht um Schönheit

Der Übungsraum liegt im Untergeschoss einer Firma für Lichttechnik und war mal eine Werkshalle.
Das sieht man auch: grauer Betonboden, der auf der Trainingsfläche mit schwarzen Gummimatten bedeckt ist, dicke Stützpfeiler und ein großes Garagentor. Mit einem herausgeputzten Fitness-Studio hat dieser Ort nur gemein, dass es Langhanteln, Klimmzugstangen und Rudergeräte gibt.

Chef Ralf Müller sieht meine Verwunderung und lacht. "Es geht nicht darum, dass alles schön aussieht. Dieser Sport ist in Garagen entstanden", sagt er. Crossfit solle lebensnah sein, funktional und ohne Schickimicki. "Vieles orientiert sich an Bewegungen, die wir tagtäglich machen", sagt er. Zum Beispiel wenn wir eine Kiste heben, einen Koffer in ein Gepäckfach werfen oder die Partnerin auf Händen tragen.


Lockerer Start, aber dann ...

"Deadlift", auf Deutsch Kreuzheben, heißt die erste Übung nach dem Aufwärmen. Sie erinnert an das Aufheben einer vollen Wasserkiste - nur mit einer Langhantel. Mit leichten Gewichten ist sie einfach, zumal nicht neu für mich. Wir steigern Satz für Satz die Gewichte und senken dafür das Volumen von zehn auf final eine Wiederholung. Ich knacke im viertletzten Satz die 100-Kilo-Grenze.

Dann 110, 120. Für die letzte Wiederholung lege ich noch Scheiben auf und habe 140 Kilo vor mir auf der Matte liegen. Die Finger wollen nicht mehr greifen, die Unterarmmuskeln sind verhärtet und der Rückenstrecker fühlt sich an wie unter Strom. "Hoch!", brüllt Ralf. Als das Maximalgewicht nach bestandener Prüfung auf die Matte donnert, bin ich platt. Und das Training geht erst los.

"Das war der Kraft-Teil. Jetzt kommt die Volumen-Einheit", erklärt Ralf. In Klartext: Nochmal je zwei Wiederholungen Kreuzheben mit 70 bis 80 Prozent des Maximalgewichts und danach in tiefer Hocke stehen bleiben. Hocken klingt gemütlich. Aber weil die Spannung erhalten bleibt, brennen die Oberschenkel- und die Schienbeinmuskeln bestialisch. Nach fünf Malen hat meine Unterlippe Bissspuren und ich muss mich auf die Metal-Musik aus den Boxen konzentrieren, um mich zum Durchhalten zu motivieren.

Dann kommt das "WOD". Die Abkürzung steht für "Workout of the Day", bezeichnet einen Mix aus Übungen und ist das Finale jeder Trainingsstunde. Ich erlebe eine Tortur aus Kreuzheben, Kniebeugen, Klimmzügen, Liegestützen und Sprüngen. In zwölf Minuten muss eine vorgegebene Anzahl von sechs vorgegebenen Übungen geschafft werden.

"Es geht um Schnelligkeit, aber du musst auf saubere Ausführung achten, um dich nicht zu verletzen", mahnt Ralf. Ich mobilisiere jede Kraftreserve. Das Herz pumpt so schnell, dass die Hände und Füße kribbeln. Bei der letzten Übung, einer Mischung aus Liegestützen und Sprüngen, wird der Schweiß kalt und mein Gesicht blass. Ich muss ständig anhalten und durchschnaufen. "Komm', noch drei", ruft Ralf. "Zwei". "Einer noch!" Ich lasse mich auf die Matte fallen. So wird man fit!


Völlige Erschöpfung mit Hantel und Kettlebell

Crossfit-Trainierende rennen, rudern, springen Seil, klettern Seile hoch und tragen Gegenstände. Die Workouts wechseln ständig. Neben klassischen Ausdauereinheiten werden Kraftdreikampf- sowie Gewichthebertechniken eingesetzt. Man trainiert mit Hanteln, Gymnastikringen, Klimmzugstangen, Kettlebells oder macht Eigengewichtübungen.

Die Zahl der "Boxes", die Crossfit anbieten, beträgt über 11 000 weltweit. Die Kulmbacher Anlage an der Leuchauer Straße 32 feiert am 14. November ihren zweiten Geburtstag mit einem Tag der offenen Tür und dem Wettkampf "1. Battle of Kulmbach".

Crossfit finanziert sich durch Kursgebühren und Lizenzgebühren der Trainer. Der Gesamtumsatz der Marke soll vier Milliarden Dollar pro Jahr betragen. Einige Sportwissenschaftler behaupten, bei manchen Übungen gebe es ein hohes Verletzungsrisiko, wenn sie in den zeitlich begrenzten Trainingseinheiten unsauber durchgeführt werden.
 


Freeletics - bis der Bauch die Grätsche macht





Fünfter und letzter Durchgang. Die gehopsten Krabbler und die Liegestütze schaffe ich. Dann kommen die Situps. "Wat? 30? Du A...loch!", maule ich mein Handy an. Meine Körpermitte tut höllisch weh. Nach 15 Stück, die gegen Ende nur noch ein Hochrollen und -winden sind, breche ich ab.

Freeletics ist in meinen Hirnwindungen als etwas vermerkt, das so ähnlich wie Crossfit sein müsste. Ich frage eine Kollegin, die mehr Ahnung hat. "Freeletics ist ganz gut zwischendurch, wenn du mal wenig Zeit oder keine Geräte hast", sagt sie. Diese Sportart, die ebenfalls längst Trend ist, basiert auf einer App und das Trainingssystem beschränkt sich auf Übungen mit dem eigenen Körpergewicht.


Das Handy als Trainer

Die Kollegin empfiehlt mir, die Freeletics-App auf meinem Smartphone zu installieren. "Ist 'ne kostenlose App. Da musste dich nur registrieren, dann haste ein paar Workouts gratis, für den Rest musste zahlen." Alles andere sei selbsterklärend.

Einen Tag später trage ich lockere Sportkleidung und tippe mich per Handy ins Programm ein. Das Startbild der App motiviert: "Erreiche die Form deines Lebens" steht in Großbuchstaben unter den Waschbrettbauch-Körpern zweier Models. Ich gebe an, dass ich männlich bin und ziemlich fit, aber noch fitter werden will. Im nächsten Schritt kann ich entscheiden, ob ich ein "Basic Training" oder eins mit "Coach" möchte. Zweiteres würde mich Geld kosten. Ich wähle gratis.

Auf der Grundlage der Angaben, die ich gemacht habe, schlägt mir die App vor, das Workout "Prometheus" zu versuchen (alle sind nach Gestalten der griechischen Mythologie der Antike benannt). Ich brauche dafür angeblich nichts außer zwei mal zwei Metern Platz. Und es heißt, ich werde in zehn Minuten mehr Energie verbrauchen als in 30 Minuten Joggen und mehr Muskeln aktivieren als "während einer ganzen Einheit im Fitnessstudio".


Ackern gegen die Stoppuhr

Die vorgeschlagenen Übungen heißen "Climbers", "Push ups", "Situps", "Squats" und "Jumping Jacks". In kurzen Videos sehe ich, wie man sie ausführt und erkenne, dass - neben den mir bekannten Situps - eine athletische, gehopste Art des Krabbelns, Liegestütze, Kniebeugen und Hampelmann-Sprünge gemeint sind.

Erster Durchgang. Die "Climbers" sind neu für mich. Die Ausgangsposition gleicht der von Liegestützen, dann krabbelt man sehr dynamisch hopsend auf der Stelle. Dank des Lehrvideos kann ich die 30 Stück einigermaßen sauber ausführen. Die zehn Liegestütze sind ein Klacks. 30 Situps schon schwieriger. Kniebeugen und Hampelmänner sind dann wieder einfach. Nach jeder abgeschlossenen Übung tippe ich auf den Handybildschirm und aktiviere so die nächste. Eine Stoppuhr läuft mit. Zum Schluss des ersten Satzes bekomme ich 30 Sekunden Pause verordnet. Vier Sätze folgen.

Die Wiederholungszahlen der Übungssätze sind pyramidenförmig aufgebaut: Im zweiten und dritten Satz werden es weniger. Im vierten und fünften geht es wieder auf das Niveau des zweiten und dann des ersten Satzes. Daher mein Ausspruch vor den Situps im fünften Satz: "Wat? 30? Du A...loch!"

Nach 15 Wiederholungen blockiert der Bauch. Es geht nicht mehr hoch, auch nicht, wenn ich den Schmerz in den Muskeln ignoriere. Ich gebe auf und tippe auf den Handyschirm zur nächsten Übung. Allerdings einmal zu viel - und beende damit aus Versehen die zwei letzten Übungen, bevor ich sie mache.

"Ups." Meine Zeit von 17:37 Minuten ist daher unabsichtlich ermogelt. Ich bin ziemlich k.o. und lege mich erst mal ein paar Minuten auf die Matte. Ich glaube, was die App behauptet. Nämlich, dass ich in den knapp 20 Minuten ordentlich Kalorien verbrannt habe. Ich glaube auch, dass ich hiermit richtig fit werden kann. Crossfit allerdings war eine andere Liga der Intensität.


Auspowern allein mit dem eigenen Körpergewicht

Der Anbieter verspricht Übungen aus dem Bereich des funktionellen Trainings kombiniert mit Laufeinheiten. Leistungsindikator für jedes Workout ist die Zeit, die bei korrekter Ausführung für die Durchführung aller Übungen benötigt wird.

Freeletics verbindet Elemente aus dem Ausdauertraining und Eigengewichts-übungen mit dem Ziel, die athletischen Fähigkeiten Schnelligkeit, Beweglichkeit, Kraft und Ausdauer zu stärken. Für das Training wird keine Ausrüstung benötigt, es wird nur das eigene Körpergewicht genutzt.

Das Unternehmen verdient sein Geld im Internet. Angemeldete Nutzer erhalten nur gegen Aufpreis ein personalisiertes Trainingsprogramm. Fachleute kritisieren die hohe Belastung des Schultergürtels in fast jedem Training und die Gefahr schlechter Übungsausführung unter Zeitdruck. Das Unternehmen reagiert darauf mit ständigen Nachbesserungen.