Nicht einmal geschenkt: Wenn Erben die Häuser nicht haben wollen

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n der Marktgemeinde Steinwiesen (Landkreis Kronach) wird aktuell eine sogenannte Nachlassimmobilie angeboten. Schlagen Erben den Nachlass aus oder gibt es keine, geht die Immobilie in Bayern automatisch an den Freistaat. Vielerorts wird das zum Problem. Stephan Großmann
n der Marktgemeinde Steinwiesen (Landkreis Kronach) wird aktuell eine sogenannte Nachlassimmobilie angeboten. Schlagen Erben den Nachlass aus oder gibt es keine, geht die Immobilie in Bayern automatisch an den Freistaat. Vielerorts wird das zum Problem. Stephan Großmann

Geerbte Häuser sind nicht immer Grund zur Freude. Kann oder will die keiner haben, gehen sie auf den Staat über. Der versucht, jene unfreiwillig erhaltenen und meist wenig wertvollen Häuser schnellstmöglich loszuwerden. Vor allem in Teilen Frankens ist das gar nicht so leicht.

Es ließe sich schon was draus machen. Der Charme vergangener Tage ist zwar längst abgebröckelt, laut Exposé ist das Gebäude "vermüllt und stark renovierungsbedürftig". Dafür liegt es naturnah, das 120 Quadratmeter große Reiheneckhaus in Steinwiesen, 13 Kilometer nordöstlich von Kronach. Die Eingangstür entlässt einen direkt auf die Durchgangsstraße des Frankenwald-Ortes, kontrastreich schlängelt sich gleich hinter der zugewucherten Rückseite des Hauses ein Flüsschen ganz gemütlich durchs gleichnamige Rodachtal. Das Gebäude steht seit einiger Zeit leer, niemand scheint es zu wollen.

Erben gab es keine, also gingen die vier Wände nach dem Tod der Besitzerin an den bayerischen Fiskus über. Kein Einzelfall: Alleine in den zurückliegenden beiden Jahren sind dem Freistaat 1374 solche sogenannten Nachlassimmobilien zugefallen. Aktuell hat sich der Bestand auf 3714 Grundstücke angehäuft. Nicht nur innerhalb der Grenzen Bayerns, sondern sogar im europäischen Ausland. Entscheidend ist nur der letzte Wohnort des Verstorbenen.

Nur vermeintlich lukrativ

Veräußert werden die Grundstücke durch den Staatsbetrieb Immobilien Freistaat Bayern oder das Landesamt für Finanzen - und zwar gegen Höchstgebot. Sicher ein lohnendes Geschäft, möchte man meinen: Mehr als acht Millionen Euro sind 2017 so in den bayerischen Haushalt geflossen. Davon abzuziehen sind aber Kosten und Aufwand für die Verwaltung jener "Schrottimmobilien".

Hinzu kommt, dass der Staat den gesamten ausgeschlagenen Nachlass erbt - samt der Schulden. Der Bundesgerichtshof (BGH) verkündet am 14. Dezember das Urteil, ob das jeweilige Bundesland schuldig gebliebenes Wohngeld aus dem eigenen Haushalt nachzahlen muss. Darum streitet der Freistaat Sachsen gerade mit einer Eigentümergemeinschaft aus Chemnitz. Eine Person haftet mit dem eigenen Vermögen, sobald sie das Erbe angenommen hat und die Wohnung nutzen kann. Welche Kriterien für den Fiskus gelten, der kein Erbe ausschlagen kann, ist ungeklärt.

Zu Fiskalerbschaften kommt es dann, wenn es keine Erben gibt oder diese ihren Nachlass ausschlagen. Sind Immobilien involviert, sind diese in der Regel schon alt und befinden sich in schlechtem Zustand. Wie der aktuelle Kaufmarktbericht des Immobilienverbands Deutschlands (IVD) ergibt, sind nichtrenovierte Objekte grundsätzlich schwer vermarktbar. Den Interessenten fehle es häufig an Zeit und Motivation zu renovieren, verstärkt aber stünden keine Handwerker zur Verfügung, heißt es weiter.

Darüber hinaus kosten geerbte Grundstücke ihren Besitzern in wenig lukrativen Gegenden oft mehr Geld als sie an Rendite einbringen würden. Während das Problem im Süden Bayerns nur gering besteht, ist es vor allem in Ober- und Unterfranken keine Seltenheit. Kein Wunder, kostete im vergangenen Jahr laut Zahlen des Immobilienportals Immowelt ein Quadratmeter in Oberbayern im Mittel 4750 Euro. In Oberfranken nicht einmal ein Drittel davon.

Zeit zum Durchrechnen haben die potenziellen Erben indes nicht viel: In der Regel müssen sie sich spätestens sechs Wochen nach dem Tod ihres Angehörigen beim für sie zuständigen Nachlassgericht gemeldet haben, um das Erbe ausschlagen zu können.

Die Kommunen kennen das Problem und kämpfen dagegen an. "Die Schandflecke müssen weg", sagt Steinwiesens Bürgermeister Gerhard Wunder. Sein Ziel: Ortskerne wiederbeleben. Daher weise er keine Neubaugebiete aus, sondern werbe offensiv dafür, vorhandenen Wohnraum aufzuwerten. Finanzielle Unterstützung aus München steht übrigens bereit.

Beispiel Förderoffensive Nordostbayern: Seit 2017 Jahr werden die Kreise Hof, Kronach, Kulmbach und Wunsiedel mit 90 Prozent (30 Punkte mehr als üblich) gefördert, um ihre Stadt- und Ortskerne zu revitalisieren. Schon im ersten Jahr sind mehr als 16 Millionen Euro nach Oberfranken geflossen. "Der Freistaat hat erkannt, dass ein Handlungsbedarf besteht", meint Wunder.

Kommunen in Verantwortung

Finanzminister Albert Füracker sieht seine primäre Aufgabe darin, "die geerbten Immobilien zeitnah zu veräußern". Aus der Verantwortung entlassen sieht Gerhard Wunder die Rathaus-Chefs selbst aber nicht. Schließlich sind die Akteure vor Ort im Zweifel an der Reihe, etwaige Gefahren zu beseitigen oder sich Gedanken um eine sinnvolle Nachnutzung zu machen.

"Es ist schon viel passiert. Aber wir müssen dran bleiben", sagt er. Das Problem der ungewollten Häuser wird in der Region vorerst bestehen bleiben. Es gelte nun, das beste draus zu machen.

Wenn der Staat zum Erben wird

Recht Im deutschen Recht gibt es keine Erbschaft, die nach dem Tod des Erblassers herrenlos bleibt. Am Ende der Erben-Kette steht immer der Staat.

Erbe Der Freistaat Bayern wird dann zum Erben, wenn zum Zeitpunkt des Erbfalles weder Verwandte noch ein Lebenspartner oder Ehegatte des Erblassers vorhanden sind oder diese die Erbschaft ausschlagen. Deren Motivation spielt keine Rolle.

Gesetz Grundlage des staatlichen Erbrechts ist in den meisten Fällen Paragraf 1936 im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) "Fiskus als Zwangserbe".

Gerichte Nachlassgerichte in Bayern und Baden-Württemberg sind gesetzlich verpflichtet, Erben zu ermitteln. Somit sollen herrenlose Nachlässe vermieden werden.

Nachlass Der Freistaat erbt jegliche Vermögensgegenstände, auch Immobilien. Leerstehende Wohngebäude sind nur ein kleiner Teil der Nachlassimmobilien - häufiger sind es Grundstücke, Wohnungen oder gewerbliche Objekte.

Kommentar vom Autor Stephan Großmann

Bezahlbarer Wohnraum wird in großen Städten und Ballungszentren immer knapper. Zur gleichen Zeit nimmt der Leerstand in vielen Kommunen auf dem Land zu - vor allem in den nördlichen Randgebieten Frankens. Dieses Missverhältnis hat viele Ursachen: Demografie, Stadtflucht, unterschiedliche Preisentwicklung. Fast jede dieser Fiskalerbschaft genannten "Schrottimmobilien" stehen in der Peripherie des Freistaates. Dort, wo mit Herzblut für Dorferneuerung oder zumindest Schadensbegrenzung gekämpft wird, bleibt eins dennoch aus: Die bei Immobiliengeschäften erhoffte Rendite.

Eigene vier Wände gelten als einer der besten Grundpfeiler der Altersvorsorge. So mancher spekuliert auf eine lukrative Nachlasseröffnung. Wird aus dem Erbe jedoch ein Draufzahlgeschäft, nehmen die Begünstigten lieber Abstand. Völlig verständlich. Die Zeche dafür zahlt letztlich die Gemeinde. Zwar ist der Freistaat nominell für seine Fiskalerbschaften verantwortlich, auch finanziell. Leben mit den vergammelnden Häusern müssen aber die Menschen vor Ort. Schnell öffnet sich des Teufels Kreis: Je mehr Bruchbuden, desto unattraktiver der Ort, je mehr Wegzug, desto mehr Bruchbuden ...

Die Staatsregierung hat das Problem erkannt und pumpt mit toll klingenden Förderpakten seit einigen Jahren Millionen in betroffene Gebiete. Höchste Zeit, denn zu lange mussten die Rathaus-Chefs bei den Münchner Entscheidern um Hilfe betteln. Nun regieren die Freien Wähler als selbst ernannte Sprecher der Landbevölkerung in Bayern mit. Bleibt zu hoffen, dass sie ihren eigenen Ansprüchen gerecht werden.