Der Coburger Kunstverein fragt in einem eigenen Wettbewerb nach der Macht der Druckgrafik heute. Zu sehen ist eine durchaus brisante Schau aktueller Kunst.
Es war gerade auch die Macht der Bilder, die der Reformation zum Durchbruch verhalf, die Fähigkeit der Cranachs, Luthers neue Vorstellungen bildhaft zu verdichten, seine Botschaften in wirksamen Symbolen zu verbreiten. Deren Wirkung aber begrenzt geblieben wäre, hätten die neuen technischen Möglichkeiten des Druckes nicht gerade jetzt Massenverbreitung ermöglicht. Die Macht der Bilder ist im digitalen Zeitalter eher noch gestiegen, weswegen ja gerade die Satirezeichner in den großen Zeitungen den (islamistischen) Fanatikern ins Auge stechen.
"Seit Cranach bis Charlie Hebdo" hat der Coburger Kunstverein sein großes Sommerprojekt im 500. Jahr der Reformation überschrieben, sogar, der Idee seines 1. Vorsitzenden Joachim Goslar folgend, einen aktuellen Wettbewerb dazu ausgeschrieben, der nach der Macht der Druckgrafik heute fragt. Kann darstellende Kunst Ideen in uns bildhaft fassen und zum Durchbruch verhelfen? Auf welche Weise? Wie die Cranach-Werkstatt dies mit Luthers Lehren anstellte, haben Ausstellungen der Kunstsammlungen auf der Veste gezeigt. Was tuen in dieser Tradition heutige bildende Künstler?
112 Grafiker aus der ganzen Bundesrepublik - verstärkt selbstverständlich aus dem Leipziger und Berliner Raum, wohin der Kunstverein schon viele Jahrzehnte enge Beziehungen unterhält - haben sich mit ihren "Visionen der Freiheit und Toleranz" für die Ausstellung und die drei Preise beworben. Je 1000 Euro vergibt der Kunstverein aus eigener Tasche und Kraft. Die durch eine fachkundige Jury ausgewählten Preisträger werden bei der Ausstellungseröffnung am heutigen Samstag bekanntgegeben. Joachim Goslar freut sich über die große Resonanz.
Ein mutiges Projekt
Tatsächlich sind unter den 70 ausgewählten Künstlern mit ihren jetzt im Pavillon am Hofgarten ausgestellten 144 Werken große Namen, Johannes Heisig, Harald Alff, Baldwin Zettl, viele aus früheren Coburger Ausstellungen bekannte Namen, aber auch viele Überraschungen.
Dass der Ausstellungsmacher Joachim Goslar noch etwas thematisch aufgegliedert, inhaltlich geordnet hätte, wünscht man sich vielleicht beim Gang durch die überaus reiche Schau. Doch es ist nachvollziehbar: Das Ausstellungsthema ist wuchtig, böte tiefgreifende (wissenschaftliche und philosophische) Erörterung, was ein Kunstverein wie der Coburger trotz seiner guten Verbindungen nicht leisten kann. Umso mutiger und achtenswerter ist das gesamte Projekt. Im begleitenden Katalog sind orientierende Beiträge abgedruckt. Wie dem auch sei, dieses ambitionierte Projekt des Kunstvereines hat uns jetzt wieder einmal eine vielfältige und hochkarätige Ausstellung aktueller Druckgrafik beschert.
Attentäter?
Darin sind so unmittelbar eindringliche und politisch aktuelle Werke wie Petra Katharina Engels "Rückkehr (?) nach Aleppo", Christian Bolds (durchaus auch propagandistisch falsch deutbare Attentäter?)-Linolschnitte "They don't hear you, if they don`t fear you", und Bernd Koblischeks furchtbar anklagende, große Flüchtlingsbilder "...aus dem Meer" und "Modern Times", in dem afrikanische Gesichter und Gliedmaßen gepfercht übereinander liegen wie die Knochenberge der deutschen Konzentrationslager. Das Flüchtlingsthema, das Trauma unserer Zeit, taucht bei weiteren Künstlern auf.
Manche der Grafiker fühlen sich offensichtlich gedrängt, ihre bildhaften Vorstellungen mit Sprache, mit Sprüchen zu verdeutlichen. Dass die Titel der Bilder in dieser Hinsicht entscheidend sind für die Interpretation, wichtiger als bei anderen Themenfeldern, wird ebenso klar. Es geht ja hier nicht (nur) um das zu stimulierende persönliche und freie Empfinden in der Kunstbetrachtung. Sondern auch um Botschaften.
Womit sich aber erst Recht die Frage nach der tatsächlichen "Macht" der Druckgrafik stellt. Von der heutigen Kunst unmittelbare gesellschafts-politische Dienste zu verlangen - das kann man tun, muss man aber nicht. Doch dass sich das Bewusstsein einer Gesellschaft verändert und färbt, zum Bessern wandelt, langsam und mühsam, ist eine Aufgabe, die auch der bildenden Kunst zuzumuten ist. Wie intensiv tut sie das? Darüber nachzudenken, fordert diese durchaus brisante Ausstellung des Coburger Kunstvereines heraus.
Kunstverein Coburg Seit Cranach bis Charlie Hebdo. Visionen der Freiheit und Tolereanz - Die Macht der Druckgraphik. Eröffnung heute um 16 Uhr; zahlreiche Künstler haben ihr Kommen angekündigt. Musikalische Umrahmung durch die Internationale Draeseke-Gesellschaft: Alexander Blettenberg, Klavier. Katalog. Bis 20. August, Dienstag bis Sonntag von 14 bis 17 Uhr, Sonntag auch von 10 bis 12.30 Uhr.