Sehnsucht nach Freiheit und Konsum

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Am Maxplatz begegneten sich in den Wochen nach der Grenzöffnung zahllose Bamberger und DDR-Bürger. Fotos: Sabine Christofzik, FT-Archiv, Rudolf Mader
Am Maxplatz begegneten sich in den Wochen nach der Grenzöffnung zahllose Bamberger und DDR-Bürger. Fotos: Sabine Christofzik, FT-Archiv, Rudolf Mader
Südfrüchte waren heiß begehrt.
Südfrüchte waren heiß begehrt.
 
Schon der Zug mit Prager Botschaftsflüchtlingen machte in Bamberg Station.
Schon der Zug mit Prager Botschaftsflüchtlingen machte in Bamberg Station.
 
Elmar Hübner
Elmar Hübner
 

Am Wochenende nach dem Fall der Berliner Mauer herrschte auch in Bamberg der Ausnahmezustand. Im Rathaus wurde die Gulaschkanone angeworfen, Hertie und Honer öffneten sonntags und kein Trabbi bekam einen Strafzettel.

Wie so viele erfuhr Elmar Hübner, der damals das Bamberger Ordnungsamt leitete, aus der Tagesschau von der Öffnung der Berliner Mauer. Die hatte SED-Politbüromitglied Günter Schabowski in einer Pressekonferenz am 9. November 1989 gleichsam herbeigestottert. Auch für Hübner ein großer Moment - allerdings weniger überraschend als für die meisten anderen: "Wir haben die Entwicklungen in der DDR natürlich aufmerksam beobachtet. Mir war klar, dass das so kommt. Die konnten ihr Volk nicht mehr länger unter dem Deckel halten."

Schon Monate zuvor hatte sich sein Amt mit einer größeren Zahl von Reisepässen eingedeckt. Denn da waren zunächst die Ungarn-Flüchtlinge, die Passpapiere brauchten. Und als die Prager Botschaftsflüchtlinge über Bamberg fuhren, wurden die Leute mit dem Nötigsten versorgt.

Als aber die Mauer fiel, stellte sich Hübner auf einen großen Ansturm ein. "Wir fragten uns natürlich, was kommt da auf uns zu?" Gleich nach der Tagesschau klingelte das Telefon, der damalige Rechtsreferent Robert Gegenfurtner meldete sich: "Herr Hübner, wir müssen morgen das Rathaus aufsperren. Wir haben Informationen vom Innenministerium, dass es ein sogenanntes Begrüßungsgeld geben soll. Holen Sie Ihre Mannschaft rein."

Geld von der Post

Der Leiter des Ordnungsamts tat wie ihm geheißen und rief einen Mitarbeiter nach dem anderen an, um allen mitzuteilen, dass am nächsten Tag ab 7 Uhr gearbeitet wird: "Morgen wird es aber keine An- und Abmeldungen geben, morgen wird Geld ausbezahlt."

Gemeckert habe keiner seine Mitarbeiter, für Hübner selbstverständlich: "Wenn ein öffentlicher Dienst da ist, dann muss er sowas auch machen." Er hat in jener Nacht auch das Rote Kreuz verständigt, Gulaschkanonen und Teekessel für die Versorgung der zu erwartenden DDR-Bürger angefordert. Am Sonntag sollte dann das Sozialreferat mit der Auszahlung der Begrüßungsgelder dran sein. Auf die Frage, wofür die Besucher aus dem Osten an einem Sonntag Geld brauchen, erklärte Hübner: "Das werdet ihr schon sehen."

Dann war freilich noch kein Geld da. Der Kassenleiter musste passen ("So viel Geld hab' ich net."), die Einlagen der Sparkasse waren mit Zeitschloss gesichert. Und so hat sich die Stadt das Begrüßungsgeld von der damals noch staatlichen Post geliehen.

An Schlaf war in dieser Nacht nicht zu denken, früh um fünf weckte Hübner den Hausmeister, damit der das Rathaus einheizt. Und es kam wie erwartet: Als das Rathaus öffnete, standen dort 500 DDR-Bürger in Fünferreihen an. "So disziplinierte Menschen habe ich im Leben noch nicht erlebt", sagt Hübner heute. Überall waren die Trabbis: "Die haben die ganze Stadt zugeparkt." Doch Strafzettel wurden in diesen Tagen nicht ausgestellt. Die Parküberwacher baten die Trabbi-Fahrer nur, "nach einer gewissen Zeit die Parkuhren wieder freizumachen". Während im Einwohnermeldeamt das Geld ausbezahlt wurde, sprachen OB Paul Röhner und sein damaliger persönlicher Referent Herbert Lauer mit den Leuten.

Im Fränkischen Tag vom 13. November 1989 beschreibt es Jutta Behr-Groh so: "Zu den Tausenden von DDR-Bürgern kamen Hunderte Bamberger, die das Ereignis miterleben wollten, die staunen konnten über die Freude anderer beim Anblick von Weintrauben, die gerne Auskunft gaben darüber, wo man Zündkerzen bekommt, die spontane Einladungen zum Kaffee aussprachen, Adressen austauschten, auch mal einem Trabbi vorausfuhren, um dessen Besatzung zu einem bestimmten Ziel zu lotsen."

Die Bamberger wollten den DDR-Besuchern einen möglichst angenehmen Aufenthalt bereiten. Im Rathaus ging es erst mal ums Grundsätzliche. Die Leute sollten sich frisch machen können, Nahrung kriegen, ihre Kinder versorgen. Und Polizisten halfen dabei, einen liegengebliebenen Trabbi wieder flott zu machen.

Elektroartikel und Südfrüchte

Ein ordentlicher Teil des Begrüßungsgelds blieb gleich in der Stadt. Marktstände waren ebenso gefragt wie Super- und Baumärkte. "Die Leute haben da erst mal gesehen, was es bei uns alles so zu kaufen gibt", erinnert sich Hübner. Nicht nur die großen Kaufhäuser Honer und Hertie hatten auch sonntags geöffnet. Groß genehmigt oder reguliert wurden diese Sonderöffnungen nicht. "Das sieht man nicht, das ist dann halt so", sagt Hübner.

Zu den Verkaufsschlagern zählten laut Fränkischem Tag "Straßenkarten für alle Teile der Bundesrepublik, Spielzeug, Schallplatten, Musikkassetten und kleinere Elektroartikel wie Radiogeräte und Walkmen". Und natürlich Obst. Denscheilmann und Wellein hatte zeitweise keine Bananen mehr, zwei Händler lieferten sich eine Südfrüchte-Preisschlacht nach unten (!), bis einer entnervt aufgab. "Die Leute aus der DDR waren sehr diszipliniert, höflich und dankbar", erinnert sich Hübner. Und auch die Bamberger seien sehr offen und freundlich gewesen. "Menschen haben sich gefunden, auch Freundschaften und Beziehungen."

Als der Zustrom auch an den folgenden Wochenenden anhielt, wurde der Volksfestplatz zum Großparkplatz für Trabbis. Shuttlebusse der Stadtwerke sorgten für den Transport in die Innenstadt - und reduzierten damit auch die stinkenden Abgase deutlich. Auch dieser Service wurde wie das Begrüßungsgeld und vieles andere später vom Bund erstattet. "Wir haben damals Hunderttausende D-Mark an Begrüßungsgeld ausgezahlt", sagt Hübner. "Aber darauf kam es in diesem Moment nicht an. Einen solchen Überschwang muss man sich mal vorstellen."