Je mehr militärische Erfolge die Ukraine auf dem Schlachtfeld feiert, desto stärker sieht sich Russland unter Zugzwang. Die Angst vor einem atomaren Gegenschlag wächst. Politologe Gerhard Mangott warnt: Putins Kaltblütigkeit dürfe nicht unterschätzt werden.
Die Spekulationen um einen russischen Atomangriff reißen nicht ab: Während US-Präsident Joe Biden die Welt bereits auf ein "Armageddon" zusteuern sieht, halten andere das Risiko für gering. Kremlchef Putin würde sich damit schließlich nur selbst schaden. Der Politik-Experte Gerhard Mangott hat jedoch eine düstere Prognose zum Kriegsverlauf: Denn er hält eine Nuklearkatastrophe durchaus für möglich.
Erst kürzlich tauschte sich die Nato bei einem geheimen Treffen ihrer Nuklearen Planungsgruppe über einen möglichen russischen Atomschlag aus. Ein Anzeichen dafür, dass Putins Drohungen doch ernst zu nehmen sind? Der interne Druck auf den Präsidenten nehme stetig zu, gibt Gerhard Mangott zu bedenken. Russische Nationalisten und sein eigenes Militär kritisieren die aktuelle Kriegsstrategie.
Putin unter Druck: Russland fordert "harte Reaktion"
Zudem wächst die Angst in der russischen Bevölkerung, die zuletzt auch von der angeordneten Teilmobilisierung verunsichert wurde. "Er musste etwas tun. Er musste demonstrieren, dass Russland fähig ist, der Ukraine herbe Schäden zuzufügen", erläutert Mangott, der an der Universität Innsbruck tätig ist, im Interview mit dem Deutschlandfunk. "Sie alle wollten jetzt eine harte Reaktion." Diese folgte in Form einer Ankündigung: Bei einer Sitzung des russischen Sicherheitsrates drohte Putin, die ukrainischen Gegenoffensiven wiederum drastisch zu bestrafen. Zuletzt gab es wieder schwere Raketenbeschüsse.
Damit habe sich Putin selbst unter Zugzwang gebracht, folgert Mangott: "Er hat sich da in eine eigene Eskalationsspirale hineinbegeben. Das war nicht unbedingt ein kluger Schritt." Doch für seine an die Ukraine gerichtete "Antwort" könne Putin nicht nur auf nukleare Waffen zurückgreifen: Auch Attacken mit Kurzstreckenraketen und Marschflugkörpern seien möglich, die dann die ukrainische Infrastruktur zerstören könnten. "Insbesondere vor dem Hintergrund des jetzt einsetzenden Winters ist das auch eine Terrorstrategie gegenüber der ukrainischen Bevölkerung."
Den Krieg zu verlieren, würde nach Mangotts Ansicht auch das Aus für Putins Präsidentschaft bedeuten. Sollte es das ukrainische Militär schaffen, die russische Armee weiter zurückzudrängen und sogar die Krim zurückerobern, könnte Putin zu einem fatalen letzten Mittel greifen. "Dann bleibt letztlich immer noch die nukleare Eskalation, die ich Putin in seiner Kaltblütigkeit auch zutraue."
Die westlichen Staaten hätten nun zwei Optionen: Sich aus dem Krieg zurückziehen, um eine russische Eskalation nicht noch weiter herauszufordern. Oder die Ukraine weiter unterstützen und sich nicht von Putin erpressen lassen. "Ich glaube, dass hinter verschlossenen Türen durchaus unterschiedliche Gewichtungen und Abwägungen erfolgen oder schon erfolgt sind", sagt Mangott im Deutschlandfunk-Interview.
Er selbst rate zu noch mehr Waffenlieferungen an die Ukraine, da es derzeit auf beiden Seiten keine Bereitschaft zu Verhandlungen gebe. Auch eine alternative Exit-Strategie sei aktuell sehr unwahrscheinlich: "Putin ist fix entschlossen, die Gebiete, die er jetzt annektiert hat, auch militärisch zu halten. Da ist nicht denkbar, was ein solcher Ausweg, ein diplomatischer Ausweg sein könnte."