Fast eine touristenfreie Zone

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In Gagausien lebt das einzige Turkvolk, das nicht islamistisch ist. Die Türkei unterstützt es finanziell. Fotos: Edgar Bartl
In Gagausien lebt das einzige Turkvolk, das nicht islamistisch ist. Die Türkei unterstützt es finanziell.  Fotos: Edgar Bartl
Genosse Lenin hält immer noch eisern Wacht vor einem Verwaltungsgebäude in Transnistriens Hauptstadt Tiraspol.
Genosse Lenin hält immer noch eisern Wacht vor einem Verwaltungsgebäude in Transnistriens Hauptstadt Tiraspol.
 

Die Deutschen gelten als Reiseweltmeister. Ein kleines, liebenswertes Land mitten in Europa haben sie bislang aber total übersehen: Moldawien.

Das postkommunistische Moldawien zwischen Rumänien und der Ukraine gilt als "Armenhaus" Europas. Es hat keine Berge, Strände oder weltbekannte Sehenswürdigkeiten. Die einstige recht wohlhabende Sowjetrepublik verfügt aber über romantische Flusslandschaften, spektakulär gelegene (Höhlen-) Klöster, eine vielfältige Kultur, riesige Felder und Weingüter. Das lockt aber kaum Touristen an. Der frühere Chefmechaniker Tudor Chioresku hat das Beste daraus gemacht, als sich die UdSSR 1990 auflöste. Das kleine Moldawien hat das schwer getroffen. Viele verloren ihre Jobs. So auch Chioresku. Er schlug sich zunächst als Fernfahrer durch, ging dann für fünf Jahre nach Israel. Dort arbeitete er unter anderem auf dem Bau und als Hausmeister. Es hat sich gelohnt. Das gesparte Geld reichte für einen Kleinbus. Chioresku machte sich rasch einen Namen. Heute hat er sechs Sprinter und einen Reisebus. Damit karrt er Besucher durchs Land oder auch mal Fussballfans nach Leeds. Souverän lenkt Chioresku den gepflegten Benz über die Straßen. Einige sind gut, andere eher eine Herausforderung für Stoßdämpfer und Bandscheiben. Das gilt vor allem für die unbefestigten Pisten auf dem flachen Land. Bei Dauerregen verwandeln sich Ortsdurchfahrten schnell in knöcheltiefe Schlammkuhlen.


Berge an frischen Früchten

Ein Trip nach Moldawien ist auch eine Zeitreise. Das Land ist im Hier und Heute noch nicht wirklich angekommen. Mächtige Wohnblöcke mit monumentaler Betontristesse bilden quasi das Stadttor der Hauptstadt Chisinau. Im Zentrum lockern bunte Neonreklame, Einkaufszentren aus Glas und Metall und reger Autoverkehr das Straßenbild auf. Plattenbauten wurden mit Farbe aufgehübscht. Das Angebot an Restaurants ist groß, in der Hotellerie gibt es jedoch noch viel Luft nach oben. Moldawien war einst eine Kornkammer der Sowjetunion, war ihr Obst- und Gemüsegarten. Der Basar in der Hauptstadt punktet mit Bergen von frischen Früchten wie aus dem Bilderbuch. Zu haben ist hier und in den modernen Geschäften alles, was das Herz begehrt. Wenn man das Geld dazu hat - bei einem monatlichen Durchschnittsverdienst von rund 200 Euro. Daher müssen viele in Russland und Westeuropa arbeiten. Es gibt viele Arme. Auf dem Platz um das Denkmal, das an die Opfer des Sowjetregimes erinnert, verkaufen Dorfbewohner ihre Habseligkeiten. Zyniker nennen das das "Denkmal der Opfer des Kapitalismus". Immerhin: Nur wenige müssen betteln, keiner hungert.


Wo Sinti und Roma leben

Die Moldawier sind offen und freundlich, wer Rumänisch oder Russisch beherrscht, kommt schnell ins Gespräch. Auch mit Englisch, Händen und Füßen kann man sich behelfen, meistens. Im Norden liegt Soroca. Die Stadt verfügt über eine Festung und hat ein Viertel, in dem Sinti und Roma leben. Deren "Barone" habe sich Villen errichtet: groß, pompös, geschmacklos. Darunter befindet sich das "Kapitol". Als Vorlage soll die Darstellung auf einer Ein-Dollar-Note gedient haben. Ein weiteres Ziel ist Comrat, die "Hauptstadt" der autonomen Teilrepublik Gagausien (sprich: Gaga-usien) mit ihrer türkischstämmigen, aber christlichen Bevölkerung. Sie pflegt noch heute ihre eigenen Traditionen. Gagausien besteht aus einem vierteiligen, nicht zusammenhängenden Flickenteppich mit vier Städten und 29 Dörfern.


Viel Weinexport

Angebaut wird auch hier die Traube Isabella. Der aus ihr hergestellte Rotwein ist halbtrocken und süffig. Ein Kritiker hat dem mehr oder weniger edlen Tropfen eine Note nach Fuchs-Urin (!) attestiert. Aha. Überhaupt Wein: Es ist der wichtigste Exportartikel Moldawiens. Beliefert wird nicht mehr Russland, sondern China und auch, in bescheidenem Maße, Westeuropa. In Milestii Mici befindet sich die weltgrößte unterirdische Weinlagerstätte. Hier liegen in einem 60 Kilometer langen Tunnelsystem bei konstanter Temperatur und Luftfeuchte mehr als zwei Millionen Flaschen sowie 3700 Eichenfässer und Stahltanks mit bis zu 200 Tonnen.

Wein und Weinbrand spielen auch eine wichtige Rolle in der abtrünnigen Provinz Transnistrien. Ein Bild der größten Destille in deren Hauptstadt Tiraspol ziert den Fünf-Rubel-Schein. Andere Besonderheiten sind wichtiger. Die Transnistrische Moldawische Volksrepublik (PMR) erklärte 1992 nach einem kurzen, heftigen Bürgerkrieg mit fast 2000 Toten ihre Unabhängigkeit. Russische Truppen sorgen seither für Ruhe und Frieden. Ein PMR-Antrag zwecks Aufnahme in die Russische Föderation wurde "nicht einmal ignoriert". Die PMR wird von keinem einzigen Staat anerkannt, sie gilt auch als eine Domäne von Oligarchen. Heute haben sich die Gemüter beruhigt, die Situation zwischen Moldawien und PMR ist entspannt.
Edgar Bartl