Tierwohl oder Marketing-Trick: Die Wahrheit über Weidemilch

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Für viele Verbraucher suggeriert „Weidemilch“ eine artgerechte Haltung. Doch was bedeutet der Begriff konkret? Und trägt Weidemilch tatsächlich zu mehr Tierwohl bei?

  • Was steckt hinter dem Begriff "Weidemilch"?
  • Garantiert Weidemilch mehr Tierwohl?
  • Welche Labels stehen für echte Weidehaltung?

Weidemilch gilt für viele als die bessere Wahl: Kühe auf grünen Wiesen, frische Luft, natürliches Futter – das klingt nach artgerechter Haltung und hohem Tierwohl. Im Supermarkt greifen Verbraucher daher gezielt zu Produkten mit der Aufschrift "Weidemilch" – in der Hoffnung, damit nicht nur sich selbst, sondern auch den Tieren etwas Gutes zu tun. Doch was bedeutet Weidemilch genau? Und hält sie wirklich, was das Bild auf der Verpackung verspricht? Wir erklären, was hinter dem Begriff steckt, ob er tatsächlich mehr Tierwohl garantiert und welche Unterschiede es zu Bio-Milch und anderen Siegeln gibt.

Was steckt hinter dem Begriff "Weidemilch"?

Der Begriff "Weidemilch" ist in Deutschland bislang nicht gesetzlich geschützt. Das bedeutet: Anbieter dürfen ihn nach eigenem Ermessen verwenden, sofern keine irreführenden Versprechen gemacht werden. In der Praxis orientieren sich viele an der sogenannten 120/6-Regel, die besagt, dass Milchkühe an mindestens 120 Tagen im Jahr für jeweils mindestens sechs Stunden täglich auf einer Weide grasen dürfen. Diese Regel klingt zunächst nach viel Freiheit – doch sie bedeutet auch: An bis zu 245 Tagen im Jahr kann die Kuh im Stall stehen. Je nach Betrieb ist dabei sogar Anbindehaltung möglich, also das dauerhafte Fixieren der Tiere an einem festen Platz.

So variiert die Auslegung der 120/6-Regel stark: Während manche Betriebe die Weidezeit im Frühjahr und Sommer ausweiten und den Kühen mehr Freilauf ermöglichen, erfüllen andere nur gerade so die Mindestanforderung. Der Begriff "Weidemilch" allein lässt daher kaum Rückschlüsse auf die tatsächliche Lebensqualität der Tiere zu. Auch Aspekte wie Futterqualität, Stallkomfort oder das Entfernen der Kälber direkt nach der Geburt sind nicht durch den Begriff geregelt.

Verbraucher sollten sich zudem bewusst machen, dass Weidemilch nicht automatisch bedeutet, dass alle Kühe eines Betriebs draußen sind. Oftmals wird nur ein Teil der Herde auf die Weide gelassen – etwa die Kühe, die gerade melkfähig sind oder keinen besonderen Haltungsbedarf haben. Der Rest bleibt im Stall. Auch die Region spielt eine Rolle: In hügeligen oder feuchten Gebieten ist Weidehaltung schwieriger umzusetzen. Einige Betriebe bieten dort dennoch "Weidemilch" an, weil sie Mindestkriterien einhalten, ohne jedoch ein umfassend tierfreundliches Haltungskonzept umzusetzen.

Garantiert Weidemilch mehr Tierwohl?

Ob Weidemilch tatsächlich mehr Tierwohl bedeutet, hängt von der Umsetzung auf dem jeweiligen Hof ab. Der regelmäßige Zugang zur Weide ist grundsätzlich positiv zu bewerten, da er den Kühen mehr Bewegungsfreiheit, frische Luft und Sozialkontakte ermöglicht. Diese Faktoren sind wichtige Bestandteile einer artgerechten Tierhaltung. Ein zentrales Problem ist allerdings, dass die 120/6-Regel nur Mindestanforderungen definiert. Viele Tierschutzorganisationen wie der Deutsche Tierschutzbund, die Deutsche Juristische Gesellschaft für Tierschutzrecht oder auch Greenpeace kritisieren zudem, dass diese Schwelle zu niedrig angesetzt ist und kein echtes Indiz für gute Haltungsbedingungen liefert. So gibt es keine Anforderungen an die Größe der Weide, deren Beschaffenheit oder an den Umgang mit den Tieren außerhalb der Weidesaison. Die Fragen, wie lange die Kühe Milch geben müssen, wie oft sie gekalbt haben oder wie mit Kälbern umgegangen wird, bleiben ebenfalls unberücksichtigt.

Auch bedeutet Weidehaltung nicht, dass die Tiere nicht zusätzlich im Stall stehen müssen, manchmal über Nacht oder bei schlechtem Wetter ganztägig. Einen weiteren Aspekt stellt das Futter dar: Bei echter Weidehaltung ernähren sich Kühe zumindest anteilig von frischem Gras. Doch auch Silage, Kraftfutter oder importiertes Soja aus Übersee können zum Einsatz kommen – was sowohl unter dem Gesichtspunkt des Tierwohls als auch der Nachhaltigkeit kritisch gesehen wird. Wer sichergehen möchte, dass Kühe natürlich und gesund gefüttert werden, sollte auf Zusatzangaben wie "ohne Gentechnik" oder auf Bio-Siegel achten.

Nicht zuletzt ist auch der Umgang mit den Kälbern ein Tierwohlinstrument. In vielen konventionellen Milchbetrieben werden Kälber unmittelbar nach der Geburt von der Mutter getrennt. Das ist bei Weidemilch nicht anders, es sei denn, der Betrieb geht freiwillig über den Mindeststandard hinaus. Einige zertifizierte Programme setzen hier strengere Maßstäbe, etwa durch längere Mutter-Kalb-Bindung oder spezielle Aufzuchtmethoden.

Welche Labels stehen für echte Weidehaltung?

Da der Begriff "Weidemilch" nicht geschützt ist, können Verbraucher sich bei ihrer Kaufentscheidung nur auf freiwillige Zertifizierungen und Labels verlassen. Besonders hilfreich sind dabei Gütesiegel, die transparente und kontrollierte Standards garantieren. Ein bekanntes Beispiel ist das Label "Pro Weideland", das von der Initiative Tierwohl unterstützt wird. Hier müssen Kühe an mindestens 120 Tagen im Jahr für sechs Stunden auf die Weide – allerdings ergänzt durch weitere Kriterien wie die Verwendung von gentechnikfreiem Futter und regelmäßige Kontrollen.

Deutlich strenger sind laut Ökolandbau die Vorgaben im Bereich der Bio-Milch. Labels wie "Bioland", "Naturland" oder "Demeter" verlangen nicht nur Weidegang, sondern auch höhere Anforderungen an Fütterung, Tiergesundheit und Stallhaltung. Bei Demeter etwa ist die ganzjährige Bewegung der Tiere auf der Weide oder im Laufhof verpflichtend, und auch die enge Mutter-Kalb-Bindung wird stärker berücksichtigt. Das EU-Bio-Siegel hingegen garantiert nur Mindeststandards und erlaubt gewisse Ausnahmen. Deshalb lohnt sich ein Blick auf die zusätzlichen Verbandssiegel, die über die gesetzlichen Bio-Vorgaben hinausgehen. Auch das Label "Ohne Gentechnik" kann ein Hinweis auf verantwortungsvolle Fütterung sein, sagt aber nichts über Haltungsbedingungen aus.

Darüber hinaus gibt es auch regionale Programme, die freiwillige Standards für Weidemilch setzen. Diese Initiativen arbeiten häufig mit Molkereien oder Landwirtschaftsverbänden zusammen und setzen auf Transparenz sowie regelmäßige Kontrollen. Hilfreich ist es zum Beispiel, direkt auf den Websites der Milchmarken oder über QR-Codes auf der Verpackung mehr über die Haltungsbedingungen zu erfahren. Viele Anbieter stellen mittlerweile Videos, Hofporträts oder Herkunftsinformationen zur Verfügung, um die Verbraucher über die Haltungsbedingungen der Milchkühe zu informieren.

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