Ihre Unzufriedenheit wächst. Die Scheidung von ihrem Mann folgt als nächstes. "Als ich noch einmal geheiratet habe, hat man mir in Vierzehnheiligen nahegelegt, mir etwas anderes zu suchen." Und das tut Doris Brettl. Sie folgt ihrem Traum aus Jugendtagen und bewirbt sich im Pflegezentrum Obermain. Ihr erwachsener Sohn schaut damals über die Bewerbung drüber. Einen Tag nach dem Bewerbungsgespräch erhält Doris Brettl einen Anruf. Am Hörer: ihr zukünftiger Chef.
Namensschild stolz präsentiert
"Da war jemand, der es dir zutraut, dass du das schaffst. Da war jemand, der denkt an dich und hofft auf dich", beschreibt die 48-Jährige ihre Gefühle in diesem Moment. Mitte September beginnt sie endlich ihre erste Ausbildung. Ihr ganzer Stolz zu diesem Zeitpunkt: Ihre Kinder und ihr Namenschildchen. " Auf dem Schild steht Auszubildende, das ist so cool", freut sich die 48-Jährige. Nach einem Jahr ist sie eine Pflegefachhelferin - wird sogar mit dem deutschen Staatspreis ausgezeichnet. "Mein Notendurchschnitt lag bei 1,2. Mir hat nur ein Punkt zu einer 1,0 gefehlt", ärgert sie sich.
Verantwortung übernehmen
Der Ehrgeiz wird größer und das Gefühl, erfüllt zu sein, stärker. "Ich möchte nicht ganz unten stehen, sondern Verantwortung übertragen bekommen. Ich möchte andere führen", erhofft sich die Auszubildende.
Dass sie dafür mit einer jungen Frau zur Berufsschule gehen muss, die bereits mit ihrer Tochter die Schulbank drückte, ist für sie ein komisches Gefühl. "Wäre ich 20 Jahre jünger, mit dem Wissen, ich hätte was bewegen können. Nun bleibt mir nicht mehr viel Zeit."
Doch der Weg, den Doris Brettl gehen musste, hilft ihr auch in vielen Situationen weiter. Für das Förderprogramm "Wegebau" der Agentur für Arbeit muss sie einen Wissenstest bestehen. "Das Lernen mit den Kindern kam mir hier zugute." Sie besteht den Test und erhält einen Bildungsgutschein - statt einem Auszubildendengehalt bekommt sie das volle Gehalt einer Fachkraft.
An ihrem Lebensweg etwas ändern, würde die 48-Jährige nicht wollen. "Wäre ich einen anderen Weg gegangen, würde ich die Einrichtung vielleicht leiten und wäre erfolgreich. Aber dann hätte ich nicht das, was mich geprägt hat, meine Kinder. Sie sind meine wertvollsten Güter."
Und ihnen hat die 48-Jährige vor allem immer eins mitgeben wollen: "Es ist egal, was sie beruflich machen wollen, aber sie sollen sich ausbilden lassen." Heute erinnern zahlreiche Tattoos auf Doris Brettls Körper an ihren Lebensweg. "Was geschehen ist, kann man nicht ungeschehen machen, aber vertraue auf die Zukunft" steht auf ihrem Rücken geschrieben.
Ihre Zukunft mitgeschrieben hat Marc Schießl, der Heimleiter des Pflegezentrums. Er stellt sie mit 47 Jahren an - ist von ihrem offenen Wesen sofort überzeugt. "In einem frauendominierten Beruf ist bei älteren Bewerberinnen in der Regel die Familienplanung abgeschlossen. Die Ausfälle sind kleiner." Außerdem, betont er, seien ältere Arbeitnehmer gefühlsmäßig arbeitsplatztreuer als jüngere. "Der wichtigste Aspekt ist aber die Sozialkompetenz, denn die Handgriffe in der Pflege kann man lernen."