Entdeckt: Das ist Kulmbachs "Heimatort"-Dichter

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Johann Sichart in Öl: Michel Weiß porträtierte den Bezirksoberlehrer im Jahr 1900. Foto: Jochen Nützel
Johann Sichart in Öl: Michel Weiß porträtierte den Bezirksoberlehrer im Jahr 1900. Foto: Jochen Nützel
Richard Matthes (stehend, Vierter von links) wurde 1879 geboren. Er war Lehrer an der Pestalozzischule von 1906 bis 1943 und vertonte Johann Sicharts Gedicht "Mein Heimatort". Foto: Archiv Siegfried Sesselmann
Richard Matthes (stehend, Vierter von links) wurde 1879 geboren. Er war Lehrer an der Pestalozzischule von 1906 bis 1943 und vertonte Johann Sicharts Gedicht "Mein Heimatort". Foto: Archiv Siegfried Sesselmann
 

Auf die Story zum Kulmbach-Lied haben sich viele gemeldet. Wer aber ist dieser Johann Sichart, von dem der Text stammt? Beginn einer spannenden Suche.

Als die BR und Radio Plassenburg vor zehn Tagen über das Kulmbacher Heimatlied berichteten, war die Resonanz bereits groß. Bei den Kollegen vom Hörfunk meldeten sich viele Anrufer, die sogar die Strophen von "Mein Heimatort" einsangen. "Trautes liebes Heimatstädtchen" tönte es aus den Lautsprechern. Dass die Weise von Richard Matthes vertont wurde - das war vielen klar. Als es aber darum ging zu ergründen, wer dieser Johann Sichart ist, von dem der Text zum Song stammt: Da waren die allermeisten ratlos.

Kurz nach der Veröffentlichung haben sich mehrere Leser bei der BR gemeldet, darunter Siegfried Sesselmann. Der Stadtsteinacher betreibt, wie er sagt, Heimatforschung seit rund 15 Jahren. Als Rektor in Marktleugast befasst er sich viel mit der Geschichte der Region. Angesprochen auf Johann Sichart, kann Sesselmann mit diversen Fakten aufwarten. "Geboren am 28. Oktober 1865 in Kulmbach, gestorben am 6. Juli 1929 im Alter von 63 Jahren.
Sichart hat in der Klostergasse 1 in Kulmbach gewohnt. Verheiratet war er mit einer gewissen Adelheid Sohle. Er arbeitete als Bezirksoberlehrer - heute wäre das mit einem Schulrat vergleichbar, also die höchste Instanz sozusagen." Sichart war, so Sesselmann, an der Oberen Schule in Kulmbach tätig; die Einrichtung gibt es seit 1. Mai 1870. "Das Lehrerkollegium tauschte sich mit der 1903 gegründeten Pestalozzischule aus."

Zum dichterischen Werk Sicharts kann Sesselmann wenig sagen. "Er tritt nicht als Schreiber in Erscheinung wie etwa ein Max Hundt. Der Text müsste aus der Zeit zwischen 1910 und 1920 sein. Welcher Anlass aber den Ausschlag dafür gab? Gute Frage. Ich habe das Lied im vierstimmigen Satz in A-Dur als Noten vorliegen." In dieser Tonlage sei es aber schwer zu singen, sagt Sesselmann. "Deswegen wurde es häufig in G-Dur gesungen, wohl auch zum Wiesenfest, wo es früher zum Standardrepertoire gehörte."


Ein Bändchen verrät mehr

Sesselmann hat sich zum Thema Johann Sichart auch mit Ingeborg und Horst Degelmann aus Fölschnitz ausgetauscht. Die begeisterten Musiker und Sänger haben nun ihrerseits die BR darüber unterrichtet, dass es noch weitere Quellen gibt. "Uns hat Wilfried Grenz aus Kulmbach angeschrieben, er könnte vielleicht dienlich sein", sagt Horst Degelmann. Der einstige Leiter des Kulmbacher Kammerorchesters legt einen Brief von Grenz vor. Dieser schreibt, dass er im Bücherschrank seiner Schwiegermutter, der Oberlehrerin Lisbeth Grampp, einen Band entdeckte. Unter dem Titel "Heimatliche Kurzgeschichten aus dem Kulmbacher Land" finden sich darin Hörfunkbeiträge für Radio Plassenburg von Hans Stößlein aus den Jahren 1988/89. Einer davon behandelt explizit die Causa Sichart.

Stößlein erwähnt einen "Zwilling" zum Titel "Mein Heimatort". Es handelt sich um ein Gedicht auf die Plassenburg, das 1929 veröffentlicht wurde. Die erste Strophe lautet:
"Von stolzer Höhe schaust du in das Tal,
als dächtest du vergangner Zeiten,
als träumtest du von Glück und Ruhmesglanz
von trüben Tagen voller bitt'rer Leiden."

Was Aufbau und Inhalt angeht, sieht Stößlein Parallelen. "Zunächst werden bekannte Bilder vor Augen geführt, dann geschichtliche Vorstellungen geweckt und am Schluss Wünsche geäußert. Das alles ist sehr zeittypisch, vor allem für jene Generation, die aus dem Kaiserreich stammt." Sichart habe, so Stößlein, das Aufblühen Kulmbachs "vom kleinen Provinznest zur relativ bedeutenden Industriestadt" miterlebt. Er selbst müsse, wie Ehrungen und Nachrufe nahe legten, in der Öffentlichkeit einen guten Ruf genossen haben. "In Sicharts Schulseminaren werden wohl auch die damaligen Schulexspektanten und Hilfslehrer Hans Edelmann, Georg Hagen und Wilhelm Steger gesessen haben", schreibt Stößlein und erwähnt einen weiteren Namen: den des damals jungen Lehrers Richard Matthes. Eben jener Matthes ist es, der "für das Heimatlied eine zeittypische Melodie und den harmonischen Satz komponiert hat".


Ein Dichter in Öl

Nun weiß man von Fotos, wie Richard Matthes ausgesehen hat. Siegfried Sesselmann hat in seinem Archiv eine Abbildung (siehe oben). Aber wie steht es um eine Darstellung Johann Sicharts? Aus den Unterlagen von Hans Stößlein geht hervor, dass Michel Weiß den Oberlehrer vor dem Ersten Weltkrieg auf einem Ölbild verewigt hat.

Wo aber hängt dieses Bild Gemälde heute? Anruf im Stadtarchiv. Dessen Leiter Hermann Müller weiß, dass es im Badhaus in der Oberen Stadt das Abbild eines Kulmbacher Pädagogen gibt. Und in der Tat: Es ist das Porträt Johann Sicharts! Als Jahr der Entstehung ist 1900 angegeben. Wer sich das Bild betrachtet, der gibt Hans Stößlein Recht in seiner Einschätzung: "Man kann sich eine stattliche, selbstbewusste und gesellschaftlich umgängliche Persönlichkeit vorstellen, die wachen und lebhaften Auges in die Welt blickte."