Am letzten Prozesstag im Fall des versuchten Totschlags auf dem Kronacher Marienplatz wurde das Urteil gegen die zwei Angeklagten gesprochen. Für einen der beiden fiel die Strafe deutlich milder aus, als von der Staatsanwaltschaft gefordert.
Vom Angeklagten fehlte jede Spur. Nach sechs Verhandlungswochen stand am Coburger Landgericht im Fall des versuchten Totschlags noch der Urteilsspruch aus. Doch nur einer der beiden Angeklagten erschien am Mittwochvormittag im Gerichtssaal.
Eigentlich hatte sich Rechtsanwalt Michael Linke am Kronacher Bahnhof mit seinem Mandanten treffen und gemeinsam nach Coburg fahren wollen. Doch der 23-Jährige tauchte nie auf. Auch telefonisch war der Angeklagte nicht zu erreichen. Über einen Mitbewohner erfuhr Linke schließlich, dass der Asylantrag des gebürtigen Afghanen erst kürzlich abgelehnt worden war. Seitdem hatte ihn auch sein Bekannter nicht mehr gesehen. Ob der 23-Jährige mittlerweile sogar abgeschoben wurde, konnte das Ausländeramt jedoch dementieren. Richter Christoph Gillot entschied, das Urteil auch in Abwesenheit des Angeklagten zu sprechen. "Denn wenn wir die Verhandlung nicht innerhalb von drei Wochen fortsetzen, muss der Prozess komplett neu aufgerollt werden."
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Für die Schlägerei am Kronacher Marienplatz, bei der am 11. Mai 2018 auch ein 51-Jähriger mehrmals gegen den Kopf getreten wurde, verurteile die Kammer den 23-jährigen Täter wegen gefährlicher Körperverletzung zu 60 Stunden gemeinnütziger Arbeit und mindestens drei Terminen bei einer Suchtberatungsstelle. Damit fiel das Urteil für den jungen Mann deutlich milder aus, als die von der Staatsanwaltschaft geforderten zwei Jahre und neun Monate Freiheitsstrafe.
Notwehr anstatt Nothilfe
Gillot begründete das Urteil mit den voneinander abweichenden Zeugenaussagen, die am Ende keinen konkreten Beweis dafür liefern konnten, ob auch der 23-Jährige zugetreten hatte. Zudem deutete die Kammer den Schubser gegen den 51-Jährigen, der den Täter am Kragen gepackt hatte, als Notwehr. "Objektiv gesehen gab es keine Nothilfelage", erklärte Gillot. Beim Faustschlag in das Gesicht des Mannes handele es sich jedoch eindeutig um schwere Körperverletzung.
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