„Ein ungeheurer Akt“

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Prof. Dr. Harald Lange über den DFB: „Seilschaften sind wichtiger als die Lösung sachlicher Fragen.“
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DFB-Vizepräsident Rainer Koch
Hat sich nicht zu den Vorfällen in Hessen geäußert, die für Prof. Lange ein schäbiger Umgang mit Fußballfrauen waren: Rainer Koch, Präsident des Süddeutschen Fußballverbandes.
DFB-Vizepräsident Rainer Koch
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Sportwissenschaftler Prof. Dr. Harald Lange wirft dem DFB ein völlig antiquiertes Denken vor. Beim jüngsten Verbandstag zeigte sich das nach seiner Überzeugung in der Frage der Gleichstellung

Landkreis Kitzingen/Würzburg Während Hansi Flick die Nationalmannschaft offenbar zu alter Stärke führt, zeigt der Deutsche Fußball Bund (DFB) eine Schwäche nach der anderen. Eine Strukturreform sei dringend notwendig, meint Prof. Dr. Harald Lange, Inhaber des Lehrstuhls Sportwissenschaften an der Uni Würzburg. Er wirft dem DFB nicht nur einen Ausverkauf der Werte des Fußballs vor –, sondern auch die Diskriminierung von Frauen.

Frage: Was stört Sie am DFB?

Prof. Harald Lange: Da muss ich weit ausholen.

Gerne.

Lange: Die Strukturen sind völlig veraltet und ungeeignet für eine Krisensituation. Der DFB hat in den letzten neun Jahren vier Präsidenten verschlissen. Spätestens nach dem Rücktritt von Fritz Keller im Mai dieses Jahres hätte ein Neuanfang mit der Hilfe externer Berater beginnen müssen. Diese Chance wurde vertan. Stattdessen wird das gleiche Spiel wie immer gespielt. Die Landesfürsten üben sich in Machtkämpfen, halten an ihren Posten fest. Seilschaften sind wichtiger als die Lösung sachlicher Fragen. Der Verlierer ist der deutsche Fußball.

Die Ware Fußball scheint nach wie vor gut zu funktionieren.

Lange: Das Produkt Fußball ist in der Gesellschaft immer noch nachgefragt. Aber zu einer Top-Unterhaltung gehört es, dass ein Stadion bebt. Tut es nicht mehr. Und das hat nicht nur etwas mit der Pandemie zu tun.

Die echten Fans rebellieren?

Lange: Das System ist bei vielen von ihnen unglaubwürdig geworden. Die Legionärsmentalität vieler Spieler steht im Widerspruch zu einer echten Bindung zum Verein. Die Pandemie hat das noch einmal verstärkt. Beim DFB ist das nicht anders. Der Verband musste Freikarten für das Spiel gegen Armenien in Stuttgart verteilen, um das Stadion einigermaßen voll zu bekommen.

Ist der Fußball also im Niedergang begriffen?

Lange: Wir müssen zwischen dem Kommerz und dem Herz unterscheiden. Die gebundenen Fans, diejenigen, deren Herz für einen Verein schlägt, werden jedenfalls weniger. Der Club in Nürnberg oder 1860 München sind Ausnahmen. Das sind Vorbilder, auch für den DFB.

Was könnte der DFB von diesen sportlich eher erfolglosen Vereinen lernen?

Lange: Wie man Fans einbindet, wie man einzelnen Mitgliedern Gehör schenkt. Es gibt so ein großes Reservoir an klugen Köpfen, die meisten von ihnen resignieren allerdings – oder werden aufs Abstellgleis geschoben. Da gibt es deutschlandweit so viele gute Ideen, die einfach verpuffen, weil der DFB immer noch in einem Funktionärswesen aus dem letzten Jahrtausend verharrt.

Wie kommt man da heraus?

Lange: Nur, wenn man will. Von selbst kann sich das System nicht ändern. Es braucht dringend eine externe Hilfe. Aber innerhalb dieses Systems will keiner auf seine Posten, auf seine Macht verzichten. Es hat schließlich Jahre und Jahrzehnte gedauert, bis man an so einen Posten gelangt ist. Den gibt man nicht so leicht wieder ab. Und so werden Probleme umschifft und nicht angegangen. Die Struktur des DFB ist ein Innovationsblocker schlechthin.

Der sich nicht auflösen lässt?

Lange: Es müssen Wege gefunden werden, um den Verband durchlässiger zu machen. Eine Amtszeitbegrenzung ist beispielsweise definitiv notwendig.

Im März 2022 soll ein neuer Präsident gewählt werden.

Lange: Und die Kandidaten bringen sich schon in Stellung. Rainer Koch hat beim Verbandstag des Hessischen Fußballverbandes schon eine Wahlkampfrede gehalten. Dabei wurde ein völlig antiquiertes Denken sichtbar. Die Versammlung hatte vorher beschlossen, dass der Ausschuss für Frauen- und Mädchenfußball kein Recht auf Autonomie hat. Als einziger Ausschuss innerhalb des hessischen Verbandes. Das muss man sich einmal vorstellen: Die Frauen dürfen im Jahr 2021 ihren Spielbetrieb nicht selber organisieren, sondern müssen sich ihre Entscheidungen von den Herren absegnen lassen. Ein ungeheurer Akt, bei dem es an keiner Stelle um Sachfragen, sondern ausschließlich um Macht und um die Wahrung der tradierten Interessen ging.

Was hat Rainer Koch dazu gesagt?

Lange: Gar nichts. Er hat das Thema nicht angesprochen. Stattdessen ging es wieder mal um Verschwörungstheorien zwischen der Deutschen Fußball Liga und dem DFB. Doch in Anbetracht des schäbigen Umgangs mit den engagierten Fußballfrauen in Hessen zerfällt die angebliche Frauenförderung im DFB in Schall und Rauch. Ich meine: Wenn ein DFB-Präsident bei so einer Abstimmung zugegen ist und wenn er dem Fußball gesellschaftspolitische Relevanz zuerkennt, dann hätte Koch das Problem noch auf der Veranstaltung in Frankfurt klar ansprechen oder wenigstens im Nachgang öffentlich kommentieren müssen. Der Präsident des hessischen Fußballverbandes, Stefan Reuss hat sich das getraut, auch wenn so eine Stellungnahme bei über 100 Gegenstimmen zum Antrag der Frauen wehtun kann. Das systemische Problem im DFB ist beim Verbandstag in Hessen entlarvt worden. Wieder einmal.