Bei der Podiumsdiskussion in Kitzingen lernen die Zuhörer vor allem eines: Die bestehenden Gesetze passen nicht. Es ist ein langer Weg, bis wieder Ruhe einkehrt.
Viele Fragen, viele Antworten. In der Podiumsdiskussion am Montagabend in der Alten Synagoge wurde klar, welche Erwartungen die Bürger einiger besonders betroffener Stadtteile in Sachen Bahnlärm an die Stadt haben. Die wird sich alleine allerdings schwer tun, an der bestehenden Problematik etwas zu verändern.
Geht es nach Oberbürgermeister Siegfried Müller (UsW) soll auf einer höheren politischen Ebene Unterstützung gesucht werden. Zunächst sollen die Lärmschutzwände auf ihre Funktionalität überprüft werden. Müller schloss nicht aus, dass die Stadt zum Schutz ihrer Bürger selbst investieren muss. Zunächst wird sich der Stadtrat in einer Sondersitzung mit dem Thema beschäftigen.
70 Bürger im Saal Fachleute rund um das Thema Lärm, Bürgermeister Karl-Dieter Fuchs für die ebenfalls von Bahnlärm betroffene Nachbargemeinde Mainstockheim, Iphofens Bürgermeister Josef Mend als Vizepräsident des Bayerischen Gemeindetags sowie Dieter Bulla als Leiter der Produktionsdurchführung bei der DB Netz AG in Würzburg hörten sich die teils emotional vorgetragenen Fragen von rund 70 Bürgern geduldig an.
Die technischen Grundlagen von Lärmschutz stellte Diplom-Ingenieur Josef Nuber vom Planungsbüro Georg Maier vor. "Lärm wird nicht gemessen, sondern nach verschiedenen Verfahren berechnet", machte er deutlich. Aus den Gesamtdaten ergebe sich ein Emmissionspegel dort wo der Lärm entsteht und ein Immissionspegel dort wo er ankommt.
Maßgeblich für den Durchschnitt seien die Verkehre zwischen 6 und 22 Uhr sowie 22 und 6 Uhr, nicht aber, wie vermutet, Spitzenwerte.
Gehe es um ein Neubaugebiet dürften Pegel nicht überschritten werden. Eine Lärmsanierung erfolge jedoch immer freiwillig, ein Muss gebe es nach dem Gesetz nicht.
Einer Bürgerin gefiel der Unterschied zwischen einer Messung und einer für Laien nebulösen Berechnung nicht. Diplom-Ingenieur Willy Tasch wies jedoch auf den Bestandsschutz für planfestgestellte Anlagen hin. "Es nützen alle Berechnungen nichts, wir brauchen eine Lösung", sprach ein Bürger den übrigen Zuhörern vom Eselsberg, dem Mühlberggebiet und den betroffenen Zonen in Sickershausen aus der Seele.
"Messungen ergeben immer unterschiedlichste Lösungen. Es bleibt gar nichts anders übrig als Berechnungen", meinte Bulla.
Er unterstrich, dass dort alle Parameter mit einfließen, auch der Unterschied zwischen Holz- und Betonschwellen.
Der Bestand ist für Josef Mend sowieso festgeschrieben, denn die Bahn habe das Planfeststellungsverfahren durchgeführt und berufe sich nun darauf. "Der Gesetzgeber steht über allem", meinte er. Nach der Bundesimmissionsschutzverordnung (BImmschV) habe die Bahn immer recht, daher müsse der Gesetzgeber von der Notwendigkeit von Änderungen überzeugt werden.
Bulla räumte ein, dass die Bahn Verursacher des Lärms sei, aber nicht alleine. Er bekomme von Bahnunternehmen eine Trassenbestellung, die er nicht ablehnen könne. Darin sei ein Zeitfenster für die Zugfahrt genannt. Daraus und aus dem nachts geringeren Personenverkehr ergebe sich der vermehrte Güterverkehr in den Nachtstunden. Der schnelle ICE-Verkehr könne tagsüber nicht verdrängt werden.
"Vergessen Sie bitte nicht: die Bahn ist unser ökologischstes Verkehrsmittel", sagte Bulla.
Hilft die neue Sohle? "Der Beförderungsauftrag für die Bahn ist nicht der Punkt, es geht um die Lärmbelästigung", wiesen Bürger die Ausführungen zurück. Sie stuften das laute Abrollgeräusch von Güterwagen als Knackpunkt ein. Bulla meinte, dass ein Güterwagen für gefahrene 100 km/h anders als der ICE mit bis zu 300 km/h kein hochwertiges Fahrwerk brauche. Ab 2013 soll jedoch eine neue Sohle (Bremsklotz) die Zulassung des Eisenbahnbundesamtes (EBA) bekommen. Zum Fahrplanwechsel im Dezember 2012 kündigte er zudem Vergünstigungen in der Trassenpreisgestaltung für Unternehmen an, die leisere Fahrzeuge einsetzen.
Zum Zugaufkommen machte er deutlich, dass heute die gleichen Zahlen erreicht seien wie schon 2005.
Mehr Züge schloss er allerdings aus, denn die Kapazitätsgrenze sei auf der Strecke erreicht. "Aus diesem Zeitraum stammen ja auch die Beschwerden", ergänzte Bürgermeister Fuchs. Er hatte den Eindruck, dass "hier am falschen Gleis herumgedoktert" werde. Wenn die Politik verantwortlich sei, müsse man auch die Politiker heranholen, die so etwas beschließen.
"Wie gelingt es, den Gesetzgeber zu Änderungen zu bewegen?" - diese Frage steht für Mend im Mittelpunkt der Diskussion. Die Bahn arbeite auf der Grundlage der Gesetzgebung. Er versicherte, dass die kommunalen Spitzenverbände auf Seiten der Bürger stehen. Mend konnte sich Kitzingen als Vorreiter für eine Gesetzesinitiative vorstellen, wenn sich viele betroffene Kommunen zusammenschließen.
Kein Verfahrensfehler erkennbar Die Frage eines Bürgers, ob denn die Lärmschutzwand am Eselsberg an der
falschen Stelle stehe, griff Nuber auf. Standort und Ausführung entsprächen der Planfeststellung, ein Verfahrensfehler sei nicht erkennbar. Für jedes betroffene Gebäude werde der ankommende Lärm berechnet, dieser Wert von 2003 habe mit einer Prognose bis 2015 Eingang in die Planfeststellung gefunden. Abweichungen könne natürlich nachgegangen und eine Überarbeitung in Auftrag gegeben werden.
Eine ins Gespräch gebrachte Verringerung der gefahrenen Geschwindigkeiten hielt Bulla erst ab 60 km/h für relevant. Das aber würde einen riesigen Rückstau auslösen und die Kapazität der Strecke einschränken mit der Folge, dass Güterverkehr auf die Straße abwandere.
Nach der Gesetzeslage würde das EBA auch keine Geschwindigkeitsänderung zulassen. "Es gibt daher nur eine Lösung: Güterzüge müssen leiser werden", betonte Bulla unter dem Beifall der Zuhörer.
Da die Bahn ein Wirtschaftsunternehmen sei, das seine Preise nicht selbst machen könne, werde sich nur über steigende Trassenpreise etwas verändern. Der Lärmschutz selbst sei Aufgabe des Bundes der dafür 100 Millionen Euro jährlich bereit stelle.
Die Frage der Moral "Es gibt eine juristische Lage, aber auch eine moralische", meinte Bürgermeister Fuchs. Erfülle ein Auto die Schadstoffvorgaben nicht mehr, müsse man ein neues kaufen. Sei ein Güterwagen zu laut, dann müsse das eben auch die Folge sein. "Der Bund muss für Veränderungen die Mittel stellen, die hat die Bahn nicht", erinnerte Bulla.
Erst zu bereits vorgerückter Stunde kam die Debatte auf die Lärmschutzwände in Kitzingen zu sprechen.
"Die Nordtangente ist eine Neubaustrecke, die eigentlich alleine zu betrachten war", klärte Josef Nuber über die Vorgabe der Regierung von Unterfranken auf, dass sich eine bestehende Vorbelastung nicht erhöhen dürfe und der Eselsberg nach Rechenmodellen vom Lärm der Nordtangente abgeschirmt werden müsse. Die Auflage sah Nuber ebenso wie die Schallabsorption als erfüllt an.
"Nichts wird absorbiert. Der Schall klingt eher wie von einer Blechtrommel", regte sich Hans Schardt auf, der sich eigentlich zurückhalten wollte. Das mochte Dieter Bulla nicht glauben, denn die Anlagen seien zertifiziert. Sei es anders, dann wäre die Bahn betrogen worden.
"Ihre Aussage, das könne rechnerisch nicht sein, ist bedauerlich", fand Dietrich Moldan vom Ingenieurbüro für Umweltanalytik in Iphofen. Er forderte, dass dem subjektiven Empfinden der Bürger nachgegangen werden müsse.
Moldan regte bahnnahe und bahnferne Messungen an, die Tasch als nicht problematisch einstufte. "Sie dürften aber einige zehntausend Euro kosten."
Mit Ergebnissen täte sich die Bahn ohnehin schwer, denn ihre Anlage sei einschließlich des Standorts und der Ausführung von Lärmschutz planfestgestellt. "Die Bürger konnten sich in der Planfeststellungsphase äußern, aber es kamen nur sehr wenige Einwendungen", gab Bulla zu bedenken. Änderungswünsche müssten wissenschaftlich belegt und bewiesen sein und würden ein völlig neues Planänderungsverfahren mit sehr langen Laufzeiten auslösen. Für Änderungen prognostizierte Tasch unfinanzierbar hohe Kosten.
"Wir müssen davon wegkommen, dass nur Berechnungen zählen", forderte Mend, denn die Berechnungen zeigten niedrigere Werte auf als gemessen.
"Heute haben wir gelernt, dass die Gesetze nicht passen und dass mehr Mittel für den Lärmschutz gebraucht werden, außerdem müssen die Lärmschutzwände auf Funktionalität überprüft und Lärmpegel gemessen werden", fasste Moderatorin Anna Pohling den Abend zusammen.