Pflegeskandal Gleusdorf: Wo liegen letzte Wahrheiten vergraben?

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Die exhumierte, mit 88 Jahren im Schloss Gleusdorf verstorbene Heimbewohnerin hatte bereits vor Weihnachten wieder ihre letzte Ruhestätte auf einem Friedhof südlich von Bamberg gefunden. Foto: Ronald Rinklef
Die exhumierte, mit 88 Jahren im Schloss Gleusdorf verstorbene Heimbewohnerin hatte bereits vor Weihnachten wieder ihre letzte Ruhestätte auf einem Friedhof südlich von Bamberg gefunden.  Foto: Ronald Rinklef
 
 

Während sich noch immer neue Zeugen zu den Vorgängen in der Senioren-Residenz an melden, tauchen bei den Behörden einige Karteileichen auf.

Die Serie der schockierenden Schilderungen über untragbare Zustände in der Seniorenresidenz reißt nicht ab. Weitere Mitarbeiter packten nun aus. So erinnert sich eine Pflegerin an den Tod eines Mannes, dessen Ehefrau und Betreuer kurz vorher verstorben waren. "Den wollte die Geschäftsführerin am liebsten hinter dem Haus verscharren, weil sie nicht wusste, wer ihn beerdigt", erzählt sie. Der Mann fand seine letzte Ruhe dann doch auf dem Bamberger Friedhof.

Die Bemerkung ihrer Chefin schwirrt der Pflegerin, die mittlerweile in einem Heim in Bamberg arbeitet, seit Wochen wieder durch den Kopf. "Wer weiß, was da nach meiner Zeit noch alles passiert ist?"

Denn dass pietätvoller Umgang mit den Heimbewohnern nicht an oberster Stelle stand, hat unsere Informantin erlebt. "Die Frau S.* wurde einige Tage lang tot im Bett liegen gelassen, und wir durften nichts unternehmen", lautete die Order der Chefin, die sich wie der Pflegedienstleiter noch in Untersuchungshaft in Justizanstalten in Oberfranken befindet. Und weiter erzählt die Pflegerin, die 13 Jahre in Gleusdorf tätig war: "Ich habe trotzdem nach der Frau geschaut und auch mit Fotos dokumentiert, was mir aufgefallen ist: Sie war an der einen Körperseite ganz blau, obwohl sie auf der anderen gelegen war."

Wie viele ihrer Kolleginnen zuvor schon erzählt sie, dass der Pflegedienstleiter in früheren Jahren "einer von uns gewesen ist".

Für den Wandel seiner Einstellung und die bevorzugte Behandlung seitens der Geschäftsleitung haben die Ex-Mitarbeiterinnen nur eine Erklärung und bemühen dazu eine Redensart: "Da muss etwas vorgefallen sein. Die haben eine gemeinsame Leiche im Keller." Dass der Pflegedienstleiter kein Kind von Traurigkeit war, zeigt ein Erlebnis, von dem eine junge Pflegerin über einen gemeinsamen Nachtdienst berichtet. "Als ich ihn um Hilfe gerufen hatte, weil ich Herrn K.* allein nicht hoch brachte, um seine Einlagen zu wechseln, packte er ihn grob an, brüllte ihn an, dass er doch allein aufkommt. Dann warf er ihn zu Boden und ließ ihn einfach in seinem Elend liegen."

Doch nicht nur Schutzbefohlene, von der Geschäftsführerin immer wieder als "Bestien" tituliert, was mehrere Ohrenzeugen übereinstimmend bezeugen, wurden förmlich tyrannisiert.


Gestrenges Regiment

Auch das Personal litt unter dem strengen Regiment der beiden Gesellschafter, die sich Heimleitung und Geschäftsführung teilten. 111 Arbeitsgerichtsfälle zeugen seit der Übernahme der Seniorenresidenz von einem ganz miesen Betriebsklima. Auch wenn der Direktor des Arbeitsgerichtes Würzburg/Schweinfurt, Wolfgang Pohl, in diesem Zusammenhang darauf hinweist, dass es bei Verhandlungen an Arbeitsgerichten meist um Kündigungen, Lohn, Urlaub, Arbeitspapiere (Zeugnis) und anderes gehe. Ein Arbeitsgericht werde nicht von Amts wegen tätig, das Arbeitsgericht erforsche den Sachverhalt nicht von Amts wegen, also: Das Gericht gehe nicht in die Betriebe und frage dort nach, wie es tatsächlich gewesen sei oder was sich zugetragen habe. Vielmehr sei es ausschließlich Sache der Parteien, dies dem Gericht mündlich oder schriftlich vorzutragen.

Pohl wörtlich: "Es geht daher völlig an der Realität vorbei, in Sachen Schloss Gleusdorf dem Arbeitsgericht vorzuwerfen, dieses hätte an den Problemen vorbei gesehen bzw. sei untätig gewesen. Das Arbeitsgericht ist kein Kontrollorgan für Pflegeeinrichtungen!", erklärte ein ärgerlicher Gerichtsdirektor.

Nimmt man die formaljuristische Brille aber ab, ergibt sich ein Bild, wonach in den 16 Jahren seit Übernahme durch die beiden neuen Gesellschafter im Jahr 2000 der komplette Personalstamm über zwei Mal mit Hilfe von Anwälten vor einem Arbeitsrichter ausgetauscht wurde, da bis zum Sommer 48 Beschäftigte auf der Gehaltsliste standen, wobei sowohl bei den Lohnzahlungen als auch der Abführung von Steuern und Sozialleistungen Ungereimtheiten offenbar wurden.

Dem Vorbesitzer, der nach dem Tod seiner Mutter und der Geburt zweier Kinder sich nicht mehr in der Lage sah, das Heim weiterzuführen, fiel nach eigener Aussage sofort auf, dass "mein perfektes funktionierendes Team binnen weniger Jahre komplett ausgetauscht worden ist", weswegen er sogar im Nachhinein noch ein Treffen in Kaltenbrunn organisiert hatte, um zu hören, was "da abgeht".

Dabei landeten vor Gericht nur die Fälle von streitbaren Mitarbeitern. Viele zogen sich einfach resigniert zurück, etliche landeten beim Psychologen. Viele Pflegekräfte befinden sich selbst Jahre danach noch in psychotherapeutischer Behandlung. Zwei Informantinnen sprechen davon, dass sie durch Gleusdorf bis auf 40 Kilo abgemagert waren, eine (aus dem Landkreis Lichtenfels stammend) sogar zum Selbstmordversuch getrieben wurde. Ein finaler Akt, den auch ein Mann aus den Haßbergen versucht hatte. "Immer, wenn ich einen Bericht über Gleusdorf lese, stehen mir die Tränen in den Augen! Ich habe dort bis Dezember 2015 gearbeitet! Es ist an der Zeit, mein Schweigen zu brechen! Bitte rufen Sie mich an", lautete der Hilferuf einer Pflegerin aus dem Landkreis Bamberg, die von traumatischen Erinnerungen geplagt wird.

Schlimme Dinge weiß sie zu berichten. Auch den Fall, da sie einem Heimbewohner, der "nur noch in kaputten Turnschuhen rumlatschte", gebrauchte Schuhe ihres Onkels als Ersatz mitbrachte. "Das hat jemand mitbekommen und mich im Büro verpfiffen." So angeschwärzt musste sie zum Rapport antreten, um später zu erfahren, dass dem Heimbewohner, vielmehr seinem Betreuer, zehn Euro "für neue Schuhe" in Rechnung gestellt worden waren.

Die beiden Gesellschafter der Seniorenresidenz hatten vor dem Kauf des Schlosses an der Itz bereits ein Seniorenheim in Oyten bei Bremen betrieben. Nach Bayern habe es sie verschlagen, weil im Süden die Sonne häufiger scheine, hat der Heimleiter unserer Zeitung mal erklärt. Der Kontakt nach Gleusdorf sei über seine Hausbank, die Bremer Landesbank, geknüpft worden, die sich auf solche Einrichtungen spezialisiert habe. Diese Kontaktaufnahme bestätigt der Vorbesitzer aus dem Landkreis Bamberg, der sich noch an den Namen des Bank-Sachbearbeiters erinnert.

Nach der notariellen Beurkundung des Kaufvertrages habe sich das Klima der Geschäftspartner schlagartig verändert.

Zumindest die Strandkörbe im Schlosspark erinnerten bis Sommer letzten Jahres noch an die Herkunft der "Nordlichter". Mutmaßungen, dass die neuen Eigentümer aus Ostfriesland "geflüchtet" seien, halten juristischen Bewertungen nicht stand. Auf Nachfrage bei der Gemeindeverwaltung in Oyten, bei der Staatsanwaltschaft und dem Landgericht in Verden liegen "keine Erkenntnisse zu so einem Heim in Oyten vor", wie ein Sprecher der Staatsanwaltschaft wissen ließ. Detaillierte Erkenntnisse erbrächte nur ein Einblick ins zentrale Bundesstrafregister, das bei Gerichtsverhandlungen verlesen wird.


Drei Verfahren in Haßfurt

Am Amtsgericht in Haßfurt waren bislang drei Verfahren anhängig, wie Direktor Holger Ebert mitteilte. "Dabei ging es um Betreuungskosten und Mundhygiene." Damit ließ es der Gerichts-Chef aber nicht bewenden. "Ich habe meine Betreuungsrichter, die in Gleusdorf schon waren, alle befragt: Denen ist nichts aufgefallen. Aber die schauen auch drauf, ob die rechtlichen Voraussetzungen für eine Betreuung gegeben sind und nicht auf die Pflege."

Es habe sich aber nie ein Heimbewohner bei einem Richter beschwert oder Missstände angeprangert. Die Besuche eines Richters seien der Heimleitung stets einige Tage vorher angekündigt worden.
Beim Amtsgericht in Bamberg sah man sich angesichts der Anfrage unserer Redaktion überfordert. "Aus 16 Jahren Verfahren herauszusuchen, ist nicht mit einem technisch wie personell vertretbarem Aufwand zu machen", teilte Gerichtssprecher Peter Neller mit.

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Die Namen der jeweiligen Opfer sind verschlüsselt, unserer Redaktion aber bekannt.