Kirchenaustritte: Danksagung statt Moralpredigt

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Der Zeiler Pfarrer Michael Erhart ist jedes Mal erschüttert, wenn er von einem Kirchenaustritt in seiner Pfarrgemeinde erfährt. Für die Kirchenaustreter hat er einen Brief aufgesetzt. Jutta Rudel
Der Zeiler Pfarrer Michael Erhart ist jedes Mal erschüttert, wenn er von einem Kirchenaustritt in seiner Pfarrgemeinde erfährt. Für die Kirchenaustreter hat er einen Brief aufgesetzt. Jutta Rudel

Es treten mehr Menschen aus der Kirche aus als ein. Auch das Dekanat Haßberge ist von diesem Abwärts-Trend betroffen. Wie reagieren die Pfarrer darauf?

"Vom Standesamt hat das Pfarramt die Mitteilung erhalten, dass Sie Ihren Austritt aus der katholischen Kirche erklärt haben." So oder so ähnlich klingen die ersten Zeilen, die alle diejenigen in einem Schreiben ihrer Pfarrei erhalten, wenn sie aus der Kirche ausgetreten sind. Allein im vergangen Jahr haben 248 Menschen im Dekanat Haßberge einen solchen Brief in Händen gehalten, wie aus der Jahreserhebung des Bistums Würzburg hervorgeht. Im Vergleich dazu gab es nur drei Neu- und vier Wiedereintritte. Die Anzahl der Katholiken ist im Landkreis innerhalb der vergangen vier Jahre um 2473 Menschen gesunken.
"Es ist nicht so, dass mich das nicht unberührt lässt", sagt der Zeiler Pfarrer Michael Erhart. Er selbst hatte 2017 in seiner Pfarreiengemeinschaft 20 Austritte zu verkraften. "Wir müssen das akzeptieren. Aber wir suchen auch den Kontakt, indem wir diesen Brief aufgesetzt haben."
Auch den Eltmanner Pfarrer Bernhard Öchsner lassen die Austritte nicht kalt. "Es bewegt mich immer wieder. Ich bin erst seit eineinhalb Jahren hier. Wenn man die Leute besser kennt, trifft es einen noch tiefer, da sagt man sich, das hätte ich jetzt nicht von ihm erwartet. Es trifft mich aber besonders, wenn sich junge Leute so schnell dazu entschließen, aus der Kirche auszutreten", erzählt er. 31 Menschen haben die Pfarreiengemeinschaft Main - Steigerwald 2017 verlassen.


Vielfältige Beweggründe

Woran liegt das? Um das zu erfassen, wurde dem Brief ein kurzer Fragebogen beigelegt. Die erste Frage lautet "Ich bin aus der Katholischen Kirche ausgetreten, weil..." - die Antwortmöglichkeiten sind umfangreich. Zwar werden nur wenige Fragebögen zurückgeschickt, doch aus eigener Erfahrung kann Pfarrer Ehrart sagen: "Viele sagen, dass sie keinen Bezug zur Kirche haben und keine Steuern zahlen wollen."

Es gebe aber auch emotionale Gründe, die die Menschen zu diesem Schritt bewegen. "Missbrauchsfälle oder Skandale wie von Tebartz-van Elst sind für uns ein großer Nackenschlag. Da verlassen viele schlagartig die Kirche. Das finde ich unfair, wenn so pauschalisiert wird", sagt er. Allerdings könne er die Beweggründe nachvollziehen.
Hingegen gibt es Gründe, die er nicht verstehen kann: "Wenn Leute mit der Begründung austreten, dass sie das Zölibat störe, ist das für mich ein vorgeschobener Grund. Da frage ich mich, was hat der normale Bürger damit zu tun, dass ein Pfarrer im Zölibat lebt? Der Dalai Lama zum Beispiel tut das auch, da hat sich noch niemand aufgeregt."

Pfarrer Öchsner meint, dass es womöglich am Zeitgeist liegt und daran, dass man das Angebot Kirche nicht mehr so wahrnehme wie früher - einige dächten sich, ohne Gott kommt man genauso gut aus: "Wenn man von der Religion nicht unmittelbar etwas Gutes erfährt, wenn man die Kirche nicht schätzt und sie nicht braucht, warum sollte man dann dabei sein? Das ist dann einfach logisch und verständlich, dass man austritt." Pfarrer Erhart teilt diese Meinung: "Ich weiß, dass ich für die Menschen ein Angebot bin. Wir sehen uns als Kirche sogar als Premium-Angebot, um das Leben glücklich zu führen." Wer dieses Angebot nicht wahrnehmen möchte, der werde garantiert nicht zum Umdenken gedrängt.


Akzeptanz ist gefragt

"So aufdringlich wollen wir auch gar nicht sein. In erster Linie akzeptieren wir diesen Schritt und bedanken uns", sagt Bernhard Öchsner. So ist im Brief zu lesen: "Ich möchte nicht versäumen, Ihnen zu danken für die Zeit, in der Sie mit unserer Kirche und Pfarrgemeinde verbunden waren. [...] Sie haben mit Ihrer Zugehörigkeit zur Kirche auch den Dienst der Kirche in unserer Gesellschaft und ihr Wirken für die Menschen unterstützt. Ich danke Ihnen für alle finanziellen Beiträge in Form von Kirchensteuer oder von Gaben für die örtliche Kirchengemeinde."
Eine Moralpredigt halten, um ein schlechtes Gewissen zu machen oder gar Druck aufzubauen, das gibt es im Brief nicht - aber es wird auf wichtige Konsequenzen hingewiesen: "Solange die Trennung von der Kirche andauert, ist der Empfang der Sakramente nicht mehr möglich. Sie können das Patenamt bei einer Taufe oder Firmung nicht mehr übernehmen. Der Austritt ist auch ein Hindernis für ein kirchliches Begräbnis. Es wäre sicher gut, wenn Sie Ihre engsten Angehörigen über Ihren Schritt informieren würden, damit unliebsame Überraschungen vermieden werden können."


Neue Angebotsformen

Doch wie kann man die Kirchenaustritte stoppen? Zu jeden einzelnen Katholiken Kontakt aufbauen? Schwierig: "Ich bin Pfarrer von elfeinhalbtausend Menschen. Da ist es nicht so einfach, mit jedem engen Kontakt aufzubauen", erzählt Erhart.
Bei beiden Geistlichen wird deutlich: Die Katholiken müssen aktiv den Weg zur Kirche finden.
Das ist gar nicht so leicht, im Dekanat Haßberge gehen etwa zwölf Prozent der Katholiken in den Gottesdienst. Um nicht nur die Kirchgänger zu erreichen, hat sich der Zeiler Pfarrer etwas einfallen lassen: Er bietet seine Seelsorge über Facebook an. "Das ist einfach ein weiteres Angebot. Es fällt durch die Anonymität eine Schwelle weg. Mit dem Pfarrer Auge in Auge zu reden ist häufig schwieriger als über den Chat zu kommunizieren."

Die Gottesdiener hoffen nicht nur darauf, die Gläubigen in der Kirche zu halten, sondern auch Kirchaustreter wieder als Mitglieder zu gewinnen. "Das Leben kann es ja durchaus mit sich bringen, dass man Werte, die eine Zeit lang bedeutungslos waren, wieder und vielleicht sogar tiefer entdeckt", heißt es im Brief. "Es kommt immer mal vor, dass jemand wieder eintritt", bestätigt Erhart. Und wenn nicht, so werden diese Menschen auch nicht verteufelt: "Und was das Entscheidende ist, Gott bleibt Ihnen zugewandt und begleitet Sie mit seinem Segen."