Seelsorge in Online-Chat - kann das funktionieren? Der Zeiler Pfarrer Michael Erhart berät immer mehr Menschen über Facebook. Aber ersetzt ein Chat ein persönliches Gespräch?
Eigentlich würde Michael Erhart ja lieber reden als chatten. "Das Schreiben fällt mir schon schwerer, als mich zu unterhalten", bekennt der katholische Stadtpfarrer aus Zeil. Doch die Menschen, die seinen Rat suchen, brauchen seine Unterstützung oft zu nachtschlafender Stunde.
"Facebook passiert nachts" "Nachts um 23 Uhr ruft keiner mehr den Pfarrer an. Aber anschreiben, das geht", erzählt der 43-Jährige lächelnd. Und so schlägt sich der Geistliche so manche Nacht vor dem Computer um die Ohren. "Ich bin ein Nachtmensch und halte das aus", beruhigt er schnell und schiebt gleich noch einen Grundsatz aus der Notfallseelsorge hinterher: "Not kennt kein Gebot." Darum ist Erhart um jeden froh, der - auf Facebook oder anders - den Weg zu ihm findet. Die Seelsorge auf Facebook spiegelt seiner Meinung nach den aktuellen Zeitgeist wieder. "Da sein, wenn man gebraucht wird, aber niemanden in die Pflicht nehmen und unverbindlich bleiben", fasst Erhart zusammen.
Worum geht es? Die Menschen, die bei ihm Rat suchen, seien zwischen 25 und 50 Jahre alt und bräuchten jemanden zum "Reden". Auch wenn sich die meisten zuvor noch nie mit Pfarrer Michael Erhart persönlich unterhalten haben. Aber bei über 650 Freunden, mit denen der Geistliche auf Facebook vernetzt ist, ist das auch kein Wunder (Facebookseite von Michael Erhart).
Und was liegt den meisten auf der Seele? "Beziehungsprobleme und Glaubensfragen", entgegnet Michael Erhart wie aus der Pistole geschossen. Immer öfter wollten sich die Menschen aber auch über Hochzeiten, die Organisation einer Taufe oder sogar die Annullierung einer Ehe informieren. Michael Erhart ist klar, dass sein offenes Ohr beziehungsweise Auge vor dem Computerbildschirm keine langfristige Beratung ersetzen kann. "Das ist die Erstversorgung und wenn die Menschen dadurch den Mut finden, weitere Schritte zu gehen, damit es ihnen besser geht, bin ich zufrieden", sagt er.
Eine ganz andere Meinung zur Seelsorge im Internet hat der evangelische Gemeindepfarrer in Ebern, Bernd Grosser. "Ich bin überhaupt nicht bei Facebook - aus Datenschutzgründen und weil ich dem amerikanischen Konzern nicht traue."
Seelsorge ist Beziehung Der stellvertretende Dekan des evangelischen Dekanates Rügheim kann der Online-Seelsorge nicht viel abgewinnen. "Was die Übermittlung von Informationen angeht, ist das Internet unverzichtbar. Aber bei der Seelsorge? Da kommt das Internet an die traditionelle Seelsorge nicht ran", findet der Pfarrer. Seiner Meinung nach baut Seelsorge auf Beziehungen auf und braucht ein persönliches Gegenüber. "Wenn ich ein Problem habe, schaue ich doch in meiner Umgebung nach, ob da jemand ist, dem ich mich anvertrauen kann", meint Grosser weiter.
Die bayerische Landeskirche der evangelisch-lutherischen Kirche ist seit 1998 in der E-Mail-Seelsorge aktiv.
Laut Andrea Seidel, Pressereferentin des evangelischen Landeskirchenamtes München, bietet die Telefonseelsorge neben der E-Mail-Seelsorge auch eine Chat-Seelsorge an. In der Chat-Seelsorge kann man sich in einem geschützten Raum mit einem Pfarrer oder einer Beraterin austauschen. Natürlich setze sich die Kirche auch mit dem Thema Datenschutz auseinander, so die Pressereferentin weiter. Die evangelisch-lutherische Kirche in Bayern prüfe deshalb unter den Gegebenheiten von Abhörung und Auswertung der digitalen Kommunikation auch die kirchlichen Seelsorgeangebote.
Aus katholischer Sicht ist die Internet-Seelsorge ein wichtiges und anerkanntes Instrument, um mit den Gläubigen in Kontakt zu treten. Pastoralreferentin Christine Endres ist als Bereichsleiterin Sonderseelsorge beim Bischöflichen Ordinariat in Würzburg unter anderem für die Online-Seelsorge zuständig. Seit zehn Jahren können sich Hilfesuchende per E-Mail mit Mitarbeitern der
Internet-Seelsorge des Bistums Würzburg austauschen (unter www.internetseelsorge.bistum-wuerzburg.de).
Derzeit sind 20 ausgebildete ehrenamtliche Berater und zehn Berater aus dem kirchlichen Dienst aktiv. "Bei der Beratung geht es nicht nur um die frommen Fragen, sondern um Trauer, Beziehungen und Probleme am Arbeitsplatz", erklärt Christine Endres. Die Internet-Seelsorge sei als "Kurzzeitberatung" angelegt. "Das heißt, es gehen sechs bis acht Mails hin und her. Die Beratung ist nicht langfristig ausgelegt. Wir verweisen auf Hilfsangebote und Einrichtungen, wo die Menschen auf Wunsch weiter unterstützt werden", so Christine Endres.
Pro Jahr finden etwa 800 Internet-Beratungen statt. Völlig anonym, wie Endres versichert. Der E-Mail-Austausch sei verschlüsselt und nach Abschluss werde die Korrespondenz gelöscht.
Für Christine Endres ist aber auch klar, dass eine Online-Seelsorge nie ein persönliches Gespräch ersetzen wird. "Seelsorge ist Beziehung", sagt sie.
Dieser Meinung ist auch der Zeiler Pfarrer Michael Erhart. Trotzdem kommt nach einem Facebook-Chat nur selten ein Treffen zustande.