Die Innungen und Meister im Landkreis bilden ein Netzwerk und sehen ihre Aufgabe bei der aktuellen Flüchtlingslage. Landtagspräsidentin Barbara Stamm regte angesichts der Wertediskussion dazu an, zu überdenken, ob man selbst die Werte vorlebt.
"Das Handwerk ist nicht nur der vielzitierte Motor und das Rückgrat der Wirtschaft, sondern vor allem auch das Herzstück", das betonte Landtagspräsidentin Barbara Stamm als Hauptrednerin beim Neujahrsempfang der Kreishandwerkerschaft in
Eltmann. Durch den engen familiären Bezug seien Handwerksbetriebe die idealen Orte der beruflichen Integration - für deutsche Jugendliche mit besonderem Unterstützungsbedarf ebenso wie für junge Flüchtlinge.
"Beliebteste Politikerin Bayerns" zu Gast in Eltmann
Als Kreishandwerksmeister Hans-Georg Häfner die "beliebteste Politikerin Bayerns" eingeladen hatte, tat er das wegen deren Verbundenheit zum Handwerk - außerdem hat sie einen besonderen Bezug zum Landkreis Haßberge, denn in ihrer Jugend lebte sie eine Weile in Stettfeld. Dass zum Zeitpunkt des Empfangs 2016 gerade eine engagierte Sozialpolitikerin gefragter sein würde, als Vertreter anderer Politikfelder, war damals noch nicht absehbar.
Der Neujahrsempfang in Eltmann ist schöne Tradition. Vertreter aller Handwerksinnungen, der Handwerkskammer, der Agentur für Arbeit, der Schulen, Banken und Behörden treffen sich zum Informationsaustausch. Kreishandwerksmeister Hans-Georg Häfner bezeichnete den Landkreis Haßberge als "attraktiv zum Leben und zum Arbeiten", denn die Aussichten seien bestens. "Wir sind wahrscheinlich in ein sehr gutes Handwerksjahr gestartet", die Nachfrage steige weiter.
Es fehlen Fachkräfte
Gleichzeitig fehlten in einigen Bereichen die Fachkräfte und der Unternehmernachwuchs. Um dem entgegen zu wirken, seien solche Treffen mit der Möglichkeit zum Gespräch wichtig, so Häfner. Das Handwerk im Landkreis Haßberge, das sind 1322 Betriebe mit 5800 Beschäftigten und einem Umsatz von rund 665 Millionen Euro, so Häfner.
"Noch sind rund neun Prozent unserer Mitarbeiter Azubis", erklärte der Kreishandwerksmeister, der seit Jahren eine Lanze dafür bricht, dem Wert einer gewerblichen Ausbildung, eines Handwerksberufes mehr Ansehen zu verschaffen gegenüber dem Studium.
Wie alle Redner des Abends legte Häfner ein starkes Augenmerk auf die Integration der Asylbewerber. Diese sei eine enorme gesellschaftliche Herausforderung, könne aber Chancen gerade im Hinblick auf den Nachwuchsmangel bieten. Dazu bräuchten die caritativen Einrichtungen und Schulen noch mehr Unterstützung für die Vermittlung der deutschen Sprache, denn das sei die Grundvoraussetzung für eine gelingende Integration. Gerade das Handwerk stelle sich der Herausforderung, Auszubildenden nicht nur Wissen zu vermitteln, sondern sie intensiv zu unterstützen, so Häfner, doch forderte er von der Politik ein, dass die Bürokratie von Amts wegen übernommen wird.
"Die allerwenigsten von uns Handwerkern sind in der Lage, den immensen bürokratischen Aufwand fehler- und somit straffrei zu erledigen."
Wichtig im Kampf gegen den Fachkräftemangel ist für Häfner das Bemühen, die Abbrecherquoten an den Schulen und in der Ausbildung zu senken. "Lasst uns zusammen das Möglichste tun, jedem Jugendlichen die passende schulische und berufliche Ausbildung im Landkreis zu ermöglichen", appellierte der Kreishandwerksmeister an alle Anwesenden.
Aktuell sind es 1300 Flüchtlinge im Landkreis
Landrat Wilhelm Schneider bezeichnete die Integration von inzwischen 1300 Flüchtlingen im Landkreis als "Herkulesaufgabe, aber auch Chance". Der Landkreis tue sein Möglichstes, an der Heinrich-Thein-Berufsschule gebe es mittlerweile fünf Integrationsklassen für junge Flüchtlinge, drei weitere starten zum Halbjahr, und dennoch gebe es eine Warteliste von fast 90 jungen Menschen.
Es sei müßig, sich mit Quoten zu befassen, die spekulieren, wie viele der Flüchtlinge wirklich integriert werden können: "Jeder Einzelne zählt", betonte der Landrat. Die Integration - beruflich wie sozial könne in den Familienbetrieben des Handwerks besonders gut gelingen wegen des engen Kontakts einer überschaubaren Belegschaft untereinander und auch zu den Chefs.
Im Blick auf die Nachwuchs-Situation im Handwerk allgemein betonte der Landrat, das "auch ein guter Mittelschulabschluss mit einer Handwerksausbildung ein auskömmliches Leben gewährleistet". Dieses Bewusstsein sei bei vielen Eltern geschwunden.
Gute Karrierechancen im Handwerk
Das unterstrich auch Hugo Neugebauer, der Präsident der Handwerkskammer Unterfranken. Im Handwerk gebe es Aufträge, Arbeitsplätze und gute Karrierechancen. Er animierte die Betriebsinhaber, sich ehrenamtlich in den Innungen und der Kammer zu engagieren, denn die Selbstverwaltung des Handwerks sei ein vom Gesetzgeber geschenkter Wert, den es zu gestalten gelte".
Landtagspräsidentin Barbara Stamm ging im Schwerpunkt auf die Bewältigung des Flüchtlingszustroms ein. In der laufenden Diskussion gehe es immer wieder darum, dass der in Deutschland gültige Wertekanon von den Flüchtlingen akzeptiert werden müsse. Natürlich müsse jeder, der kommt, die hier geltenden Regeln annehmen, ohne Wenn und Aber, so die Landtagspräsidentin. "Wir müssen uns aber auch selbst fragen, wie wir diesen Wertekanon noch leben", gab sie zu bedenken.
Junge Menschen ausbilden - und wertschätzen
Dazu gehöre der christliche Glaube ebenso wie die Verantwortung für Mitmenschen - für Auszubildende im Besonderen. "Wir dürfen junge Menschen nicht nur ausbilden, wir müssen sie auch wertschätzen und ihnen Hilfestellung geben zur Lebensbewältigung". Gerade Letzteres sei von den Ausbildern in Ergänzung zum Elternhaus gefordert, wusste die Sozialpolitikerin aus vielen Gesprächen zu berichten. Nicht nur Flüchtlinge täten sich schwer, ihr Leben zu bewältigen, sondern auch immer mehr deutsche Jugendliche. Das zeigten die explodierenden Kosten in der Jugendhilfe und in der Kinder- und Jugendpsychiatrie. "Das sind alles Reparaturkosten", erklärte Stamm.
Gerade das Handwerk fange viele Jugendliche auf, die Familienbetriebe seien oft auch Ersatz-Familie. Ohne Umschweife gestand Stamm außerdem ein, dass die Berufsschulen über lange Zeit stiefmütterlich behandelt worden wären. Das müsse jetzt anders werden, Auch sie sprach engagiert gegen die Fixierung auf das Gymnasium an. Es gebe vielfältige Karrierechancen abseits des Abiturs. Nicht einmal für ein Studium sei es unbedingt Voraussetzung, denn über 40 Prozent der Studierenden an den bayerischen Hochschulen haben kein gymnasiales Abitur. "Verachtet mir die Handwerksmeister nicht", zitierte sie in Anlehnung an die "Meistersinger von Nürnberg".
Problem Bürokratie erkannt
Die Hinweise von Hans-Georg Häfner und Hugo Neugebauer in Sachen Bürokratie nahm Stamm sehr ernst. Seit den 1970er Jahren gebe es die Entbürokratisierungs-Kommission, doch leider nicht mit dem gewünschten Erfolg. Doch wenn Integration gelingen soll, dann müsse das auch vom bürokratischen Ablauf her möglich sein.
Derzeit gelinge die Bewältigung der Aufgabe nur durch die Ehrenamtlichen, so Stamm.
Da dürfe man sich keinen Illusionen hingeben, und der Staat sei gefordert, die Verfahren zu beschleunigen, damit die Zeit der Ungewissheit für die Asylsuchenden verkürzt wird. Diese Zeit bedeute - von den ehrenamtlichen Initiativen abgesehen - für die meisten Betroffenen Untätigkeit und nervliche Belastung, was die Gefahr von Aggressionen steigere. Stamm machte ganz klar, dass auch anschließend die berufliche Integration Zeit koste. Gleichzeitig dürfe man die Bedürfnisse der eigenen Bevölkerung, das Verlangen nach Sicherheit, nicht aus den Augen verlieren. "Wir müssen offensiv unsere Demokratie leben", forderte Barbara Stamm. Dazu gehöre der offene Austausch von Meinungen.
Trotz hoher Kosten für die Flüchtlingsarbeit forderte die Landtagspräsidentin, "endlich was zu machen gegen die eiskalte Progression", ebenso positionierte sie sich klar gegen eine Erbschaftssteuer bei der Übergabe von Familienbetrieben. "Wir brauchen Sie als Unternehmerfamilien, wir brauchen Menschen mit Mut", das war der Appell von Barbara Stamm an die Handwerkerschaft.
Beeindruckt zeigte sie sich zuvor vom Jugendchor "Cantarella", der unter Leitung von Sonja Wißmüller den Abend musikalisch eingeleitet hatte. Nach dem offiziellen Teil gab es viel Raum für Gespräche am flugs installierten "Stamm-Tisch", wie es der stellvertretende Kreishandwerksmeister Alfred Kaiser bezeichnete.