Wenn Liebe über Krankheit siegt

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Krankheit  Seit 33 Jahren leidet Brigitte Spitzenpfeil an der Nervenkrankheit Multiple Sklerose. Ihr Ehemann Helmut war immer an ihrer Seite und pflegt seine Frau. Für das, was für ihn selbstverständlich ist, bekam er jetzt einen Preis.


von unserem Redaktionsmitglied 
Thomas Heuchling

Michelau — Sie sei durch die Hölle gegangen, sagt Brigitte Spitzenpfeil. Über vier Jahre mussten die heute 70-Jährige und ihr Ehemann Helmut (76) einen Ärzte-Marathon durch ganz Bayern auf sich nehmen. Anfang der 80er-Jahre bekam Brigitte Spitzenpfeil Anfälle, wurde bewusstlos, hatte Probleme mit dem Gleichgewicht und Sehstörungen. Was zu diesem Zeitpunkt weder Ärzte noch die Erkrankte wussten: Es waren erste Anzeichen von Multiple Sklerose (MS), einer unheilbaren Nervenkrankheit. Wenn die Spitzenpfeils von den ersten Jahren vor der Diagnose erzählen, dann klingen auch Ärger und Frustration mit.
Denn in den frühen 80er-Jahren war die Diagnose der Krankheit noch schwierig. Deshalb haben die Ärzte nach allen möglichen Ursachen gesucht. Es seien psychische Gründe vermutet worden. Wegen der vielen Einstiche von Spritzen gegen die Schmerzen und der Untersuchungen in verschiedenen Kliniken stand der Verdacht des Drogenkonsums im Raum.

Täglich 15 neue MS-Patienten

Über solche "Frechheiten" und viele andere Dinge könne er ein Buch schreiben, sagt Helmut Spitzenpfeil.
1984 kam dann die Diagnose: MS. Trotz Fortschritten in der Medizin erkranken in Deutschland rund 15 Menschen täglich an MS. Die Dunkelziffer ist laut Deutscher Multiple-Sklerose-Gesellschaft (DMSG) weit höher. Sie schätzt die Zahl der MS-Patienten in Bayern auf 15 000.
Seit der Diagnose ist Brigitte Spitzenpfeil halbseitig gelähmt und auf den Rollstuhl angewiesen. "Wir haben uns dann selbst schlau gemacht, was das eigentlich ist und sind zu einer MS-Selbsthilfegruppe nach Bayreuth gegangen", sagt Brigitte Spitzenpfeil. Dort haben sie Erfahrungen ausgetauscht und konnten mit anderen Betroffenen sprechen. Das Tückische an MS sei, dass der Verlauf schleichend ist und bei jedem Patienten andere Auswirkungen habe. Ihr Gesundheitszustand verschlechterte sich über die Jahre rapide. Den Beruf als Näherin musste Brigitte Spitzenpfeil früh aufgeben.
Und dann, mitten im Gespräch, sagt Brigitte Spitzenpfeil einen Satz, der all das zum Ausdruck bringt, wofür ihr Mann vor wenigen Tagen den Pflegepreis der Bayerischen MS-Stiftung bekam: "Für meinen Mann ist es selbstverständlich, dass er mich pflegt." Sie schaut zu ihm. Er nickt. "Er ist der beste Ehemann, den ich haben kann. Ich bewundere ihn", sagt Brigitte.
Über den Pflegepreis der Bayerischen MS-Stiftung freue er sich. Aber er wolle nicht im Mittelpunkt stehen. Für ihn stand die Pflege seiner Frau nie infrage, sagt Helmut Spitzenpfeil. Den bedingungslosen Zusammenhalt der Eheleute fordert die Krankheit ständig heraus.

Schübe und Medikamente

Immer wieder kamen Schübe, die Krankheit sorgte für neue Schäden am Körper. Bamberg, München, Würzburg - immer wieder Ärzte, Kliniken und die Suche nach Linderung. Und immer wieder Enttäuschungen und Rückschläge.
Am besten habe ein Heilpraktiker geholfen. Heute brauche Brigitte Spitzenpfeil 17 Tabletten und vier Spritzen täglich. Auch gegen die Diabetes. Dagegen helfe Bewegung, sagen die Ärzte. Das könne sie aber durch die MS nicht.
1986 bauten die Spitzenpfeils ihr Haus in Michelau rollstuhlgerecht um und aus. Drei Kinder haben sie. Als die Krankheit kam, waren noch zwei Kinder schulpflichtig. Eine Haushaltshilfe der Diakonie habe die ersten Jahre geholfen. Nachbarn und die Familie übernahmen ebenfalls Verantwortung. Sohn und Schwiegertochter wohnen mit zwei der insgesamt fünf Enkelkinder in der oberen Etage. Die Eltern helfen, die Enkel schenken Freude und spielen gern mit Oma und Opa.
1993 ging Helmut Spitzenpfeil in Rente. Er war Polsterer. Noch kann er die Pflege seiner Frau selbst leisten. Doch der Rücken und die Gelenke machen ihm inzwischen Probleme.

Humor bewahren hilft

Im Haushalt hält Brigitte immer noch die Zügel in der Hand. "Ich gebe an und er führt aus", sagt sie und lacht. Denn trotz aller Belastungen und Probleme haben sie sich ihren Humor bewahrt. "Wir machen das Beste draus, was will man machen", sagt Helmut Spitzenpfeil. Das Lachen vergehe ihm, wenn es seiner Frau mal wieder schlechter geht - ein neuer MS-Schub kommt. Für die Zukunft wünschen sich beide: "Wenn es so bleibt wie jetzt, dann ist es gut."