K. in den Albträumen der Moderne

1 Min
Das Gericht arbeitet im Geheimen, auf einem Dachboden. K. (Torsten Köhler) bleibt gänzlich im Ungewissen und damit seinen Ängsten ausgeliefert. Foto: Andrea Kremper
Das Gericht arbeitet im Geheimen, auf einem Dachboden. K. (Torsten Köhler) bleibt gänzlich im Ungewissen und damit seinen Ängsten ausgeliefert.  Foto: Andrea Kremper

Vor der Premiere  Franz Kafkas rätselhaftes Romanfragment "Der Prozess" wird am Landestheater Coburg in der Regie von Matthias Straub zum bildhaft und choreografisch genutzten Experiment. Premiere ist am Freitag.

von unserem Redaktionsmitglied 
Carolin Herrmann

Coburg — Eines der rätselhaftesten Literaturstücke hat sich Schauspielchef Matthias Straub für seine nächstes Coburger Theaterexperiment erwählt - Franz Kafkas Romanfragment "Der Prozess". Er wird es am morgigen Freitag in der Dramatisierung von Ruth Bader und Johannes Schmid in der Reithalle herausbringen.
Scharen von Literaturforschern haben sich schon die Zähne ausgebissen an der 1925 posthum von Max Brod veröffentlichten, suggestiven, aber nicht letztschlüssig zu deutenden Szenenfolge. "Wir geben auch keine Antwort", wehrt Matthias Straub ab, "wir stellen Fragen."
Für die Bühne braucht er allerdings sehr wohl einen Erzählrahmen, ein strukturierendes Konzept. "Wir nehmen die merkwürdigen Geschehnisse um die Verhaftung von Josef K. als Albtraum", kündigt Straub an.
An seinem 30. Geburtstag wird Josef K. verhaftet. Er erfährt zu keinem Zeitpunkt warum. Das Gericht, in einem schäbigen Hinterhof-Dachboden emsig werkelnd, lässt ihn gehen. Doch "der Prozess" wird unerbittlich vorwärtsgetrieben. K. stürzt in eine Reihe surrealer Szenerien. Die Frauen, denen er begegnet, sind allesamt "übergriffig", extreme Projektionen K.s. Der rechtschaffene Bankangestellte beharrt auf seiner Unschuld und gerät in einen unerklärlichen Strudel von nie formulierter Anschuldigung und Ängsten. K. verstrickt sich in sich selbst.
Straub will das Gericht als nirgends zu fassendes, übermächtiges Gesellschaftssystem interpretieren. "Vielleicht ist K. aber auch einfach nur paranoid?" Das Motiv der Scham, der Angst, ausgestoßen zu sein, mit der eigenen Individualität anzuecken, spiele eine große Rolle.
Nach dem "Urfaust" und nach "Woyzeck" versucht Matthias Straub sich und sein Publikum nun ein weiteres Mal in frei assoziierendem Theater. Es wird kein klassisches Erzählstück um Franz K.s beängstigende und abstruse Erlebnisse geben. Straub will mit Bewegung und Musik bildhaft in diese Ebene aus unterbewussten Ängsten und Verstrickungen vordringen.

Radikal und assoziativ

Einmal mehr lädt er in sein Thea terlabor ein, eine spezielle Versuchsanordung, die er mit Bühnenbildner Till Kuhnert im Abstrakten lässt, dem Unfassbaren Kafkas entsprechend.
Die vielen verschiedenen Rollen, gespielt von drei Schauspielern neben Torsten Köhler als Franz K., fügen sich erst in die einzelnen Szenen. "Die Darstellungsform muss bei dieser Vorlage noch radikaler sein, noch performativer, assoziativer", beschreibt Straub sein Forschungsinteresse. "Manchmal müssen wir ausbrechen aus unseren festen Sehgewohnheiten". Straub meint dabei sich und die Theaterleute, aber auch die Zuschauer. "Gerade in unserer Zeit, in der wir durch die Me dien an perfekte Bildwelten gewöhnt sind, muss das Theater auch ausprobieren. Vielleicht entdecken wir etwas Neues..."