Erfahrungsbericht Der Leitende Notarzt Nico Petterich erläuterte den Lichtenfelser Katastrophenschützern, was er bei der spektakulären Rettungsaktion eines Forschers aus der Riesendinghöhle erlebte.
von unserem Redaktionsmitglied
Matthias Einwag
Lichtenfels/Mainroth — Nico Petterich war im vergangenen Juni zehn Tage als Leitender Notarzt im Auftrag der Bergwacht an der spektakulären Rettung des Forschers Johann Westhauser aus der Riesendinghöhle im Untersberg. Den Mitgliedern des Lichtenfelser Arbeitskreises Katastrophenschutz erzählte der aus Mainroth stammende Mediziner, was er in dieser Funktion erlebte und wie diese Aktion organisatorisch umgesetzt worden ist. Zehn Tage war der 34-Jährige einer derjenigen, die den Einsatz der 728 Retter aus fünf Nationen koordinierten, von denen maximal 70 in der Höhle mitwirkten.
Am Pfingstsonntag des vergangenen Jahres verunglückte der Forscher Johann Westhauser in der Riesendinghöhle. Er war von einem Stein am Kopf getroffen worden und lag daraufhin bewusstlos und schwer verletzt in einem Stollen bei einer konstanten Temperatur von vier Grad Celsius.
Schnelle Hilfe war notwendig Zunächst betreute ein einziger Helfer den Verunglückten. Die Einsatzleitung beschloss, so schnell wie möglich einen aus zwei Mann bestehenden Erst angriffstrupp zum Verletzten zu schicken, dem ein Arzt angehört - Nico Petterich erklärte sich dazu bereit. Der nun in Bayreuth praktizierende Mediziner war während seiner Ausbildung als Arzt in den Kliniken Traunstein und Bad Reichenhall sowie als Bergwacht-Notarzt im Chiemgau tätig. Inzwischen ist er Regio nalarzt der Bergwacht Frankenjura und gehört dem Führungsstab Notfallmedizin der Bergwacht Bayern an.
Eile war geboten, denn Johann Westhauser hatte ein Schädel-Hirn-Trauma erlitten, auch sein Sprachzentrum war betroffen. Unten in der Höhle war der Arzt dann "allein mit einem Sterbenden", der alle zwei Stunden krampfte.
Ein Brillenhämatom - von Blut unterlaufene Augenhöhlen - wies äußerlich auf die Hirnverletzung hin. Mit dem "Höhlophon", einem ganz einfachen Telefon, standen die Helfer mit der Außenwelt in Kontakt.
Logistische Herausforderung Die Einsatzleitung sah sich bei der Bergung vor viele Herausforderungen gestellt - 14 Hubschrauber standen zur Verfügung, rund 300 Pressevertreter wollten Auskünfte haben. Die Rettungskräfte und das Bergungsmaterial mussten mit dem Hubschrauber vom Tal hinauf zum Höhleneinstieg gebracht werden. Landen konnten die Helikopter dort nicht. In der eng begrenzten Ladezone war die Sicht außerdem durch Nebel eingeschränkt, so dass die Piloten von Bundeswehr und Bundespolizei mit höchster Konzentration handeln mussten.
Lebende Brücken Die Rettungskräfte der Bergwacht wurden mit der Seilwinde vor dem Höhleneingang abgesetzt. Der Abstieg durch die verwinkelten Gänge und Spalten des Karstgesteins dauerte zwischen sechs und zehn Stunden. In den waagrechten Gängen war nur "ameisenartiges Weitergehen" möglich. Abgründe taten sich auf, unterirdische Canyons wollten überbrückt sein. Aber wie? Die Retter bildeten lebende Brücken, indem sie sich in den Fels krallten und mit ihren Körpern die Abgründe überspannten. Rund 7000 Karabinerhaken wurden in das Gestein getrieben, vier Tonnen Material wurden verbaut, um den Seiltransport des Patienten auf der Trage zu bewerkstelligen.
Besonders kraftraubend war der Aufstieg in den senkrechten Passagen, sagt Petterich : "180 Meter Aufstieg ist extrem höllisch.
Das ist so, wie wenn man 3000 Klimmzüge hintereinander macht." Am Höhleneingang war ein kompletter Schockraum aufgebaut worden, in dem der Patient versorgt wurde.
Facit Nico Petterichs: "In 99,9 Prozent der Fälle verstirbt ein Patient, der so eine Verletzung hat." Johann Westhauser wurde gerettet und kann inzwischen wieder ein relativ normales Leben führen. Er arbeitete an der medizinischen Aufarbeitung des Einsatzes mit und ist neben Nico Petterich Co-Autor einer noch unveröffentlichten wissenschaftlichen Publikation.
Die Bergung kostete rund 1,6 Millionen Euro. Wären die Helfer nicht ehrenamtlich im Einsatz gewesen, schätzt Nico Petterich, dann wären dafür wohl mindestens 15 Millionen Euro angefallen.