In Lonnerstadt treffen sich die Freunde deutscher und fränkischer Volkslieder inzwischen regelmäßig zum offenen Wirtshaussingen. Helmut Raab spielt auf seiner Quetschn, was gewünscht wird.
"Der fränkische Wind" weht durch die Gaststube. Er bläst auf Bestellung, denn einer oder eine aus der Runde hat ihn sich gewünscht. Etwa dreißig Personen - bei manchen Treffen ist es auch die doppelte Anzahl - aus der ganzen Umgebung haben sich im Lonnerstadter Gasthaus "Zur Sonne" zum offenen Wirtshaussingen eingefunden.
Sie singen mit Begeisterung: "Ei Madla, wu host denn die Heiratsgut", "Ich weiß nicht, was soll es bedeuten", "Alle Tage ist kein Sonntag" oder "Nach meiner Heimat, da zieht's mich wieder". "Dieselbe Lust, dieselben frohen Lieder" geht es im Text weiter und genau das - die Lust an den Liedern - ist es, die die Besucher des Wirtshaussingens beflügelt. Immer wieder sind auch ungewöhnliche Lieder darunter, "Exoten" sozusagen, im Volksmund seit Generationen mündlich weitergereicht, die voll Inbrunst angestimmt werden. "Auf Kreta, bei Sturm und bei Regen" ist eines davon, ein anderes "Schwer mit den Schätzen des Orients beladen" oder "Wir lagen vor Madagaskar". Lieder, die von Fern- oder Heimweh berichten, die Bilder heraufbeschwören, die Geschichten erzählen.
Geschichten erzählt auch der "Star" des Abends, Helmut Raab. Der pensionierte Polizeihauptkommissar aus Dettendorf bei Diespeck kommt, packt seine "Quetschen" aus und spielt ein Begrüßungslied. Schon zum vierten Mal ist er in Lonnerstadt zum Wirtshaussingen. In Rüdisbronn bei Bad Windsheim spielt er mit seinem Freund Heiner Eigner regelmäßig einmal im Monat zum Wirtshaussingen und einmal zum Seniorensingen auf. "Stammgäste aus dem unteren Aischgrund" hätten ihn dort kennengelernt und sich gewünscht, dass er auch in ihrer näheren Umgebung aufspielt.
Ein Spätberufener Erst im Alter von 33 Jahren lernte Raab das Akkordeonspielen. Nur acht Monate habe er Unterricht genossen, erzählt er. Was er heute so alles "drauf hat", hat er sich selbst beigebracht. Die Musik begleitete ihn von da an durchs Leben. Zunächst machte er Tanzmusik, später widmete er sich vermehrt der Volksmusik. Die Musik hat dem "Musikanten mit der Quetschen" sogar über gesundheitlich schwierige Zeiten hinweg geholfen.
Heute sei Musik und Singen unter Gleichgesinnten für ihn eine "Lebensphilosophie". "Uns geht's so gut", findet Raab. "Bloß - wir haben keine Zeit mehr füreinander." Deshalb ist es ihm wichtig, dass die Menschen zusammenkommen und kommunizieren, bei Seniorennachmittagen zum Beispiel. Raab erinnert sich gerne an den Satz, den ihm ein Geistlicher einmal mitgegeben hat: Alten Menschen Musik zu bereiten, sei ein Stück Seelsorge.
In Lonnerstadt hat man Raab schon vor einigen Jahren "entdeckt". Zur 1100-Jahr-Feier hat er mit den Grundschülern Lieder eingeübt, mit denen sie im Festgottesdienst aufgetreten sind. Zum offenen Wirtshaussingen bringt Helmut Raab seine Textbücher mit, aus denen sich jeder Teilnehmer sein Lieblingslied aussuchen und wünschen darf. 265 Lieder hat Raab gesammelt, vieles auch aufgeschrieben, was ihm mündlich überliefert wurde.
Noten brauchen die Sängerinnen und Sänger nicht. Es sind Lieder, die sie seit ihrer frühesten Kindheit kennen, die auf dem Tanzboden gespielt und früher bei allen möglichen Zusammenkünften gesungen wurden. Diesmal hat Helmut Raab "den besten Mundharmonikaspieler, den ich kenne", Manfred Wurzenberger, an seiner Seite. Sie machen nicht nur zusammen Musik, sie wechseln sich auch bei den Witzen ab, die sie zur Unterhaltung einstreuen.
Die Zuhörer haben viel Spaß daran. Die Lonnerstadterin Martha Reif kommt "aus purer Freude am Singen". Manchmal sitze man bis nach Mitternacht zusammen, erzählt sie. Ulrich Herrmann kann man durchaus als einen Lonnerstadter bezeichnen, geboren ist er jedoch in Breslau. Er singt auch im Gesangverein, aber "das hier ist mal was ganz anderes", sagt er.
Bei Monika und Dieter Werdecker merkt man schon an der Sprache, dass ihre Wiege nicht im Aischgrund stand. Seit 1975 leben sie in Höchstadt. Wenn es in den Texten zu sehr "fränkelt", verstehen sie nicht immer alles. Sie lieben vor allem die schönen deutschen Volkslieder, die sie von Jugend an kennen. Auch Theo Link, der Wirt der Sonne, gesellt sich gerne zu seinen Gästen. "Ein Lied hört er gar nicht gerne", scherzt Helmut Raab. "Die Getränke sind frei ... "