Acht oder neun Jahre Gymnasium? In Höchstadt entscheidet sich nur noch eine absolute Minderheit für das G8.
Wenn die Politik sich wieder mal was ausgedacht hat, gibt es immer jemanden, der sich mit den Folgen herumschlagen muss. Am Höchstadter Gymnasium ist das Kurt Spitzer. Der Studienrat hat die Aufgabe, eine politische Rolle rückwärts zu organisieren. Denn nach gerade einmal zehn Jahren scheint das achtjährige Gymnasium schon wieder ein Auslaufmodell zu sein.
Das Höchstadter Gymnasium ist seit Herbst eines von 47 in Bayern und das einzige im Landkreis, an dem mit der sogenannten "Mittelstufe Plus" das neunjährige Gymnasium wieder eingeführt wurde. Parallel zum G8, das nach wie vor als Regelschulzeit gilt. Noch. Denn an jenen Schulen, an denen gewählt werden kann, gibt es eine deutliche Tendenz zurück zum G9.
"Besser wäre es, wenn man es rumdreht und die Mittelstufe Plus zur Regel macht", sagt Spitzer. Schon der erste Jahrgang, der es sich aussuchen durfte, hat laut Schulleiter Bernd Lohneiß gezeigt, wohin die Reise gehen wird. Zwei Drittel der Schüler haben sich entschieden, lieber ein Jahr länger zu büffeln. Für das kommende Schuljahr seien die Zahlen noch deutlicher.
Nur noch 14 Prozent wählen G8
Lohneiß hat eine Umfrage in den jetzigen siebten Klassen gemacht. Das Ergebnis: Von 152 Schülern haben sich nur noch 22 für das achtjährige Gymnasium entschieden. Ähnliches hört Lohneiß von den anderen Modellschulen in Bayern.
"Der Hauptgrund ist die Entschleunigung", sagt Lohneiß. Weniger Druck, mehr Vertiefung, mehr Üben und, wohl am wichtigsten: weniger Nachmittagsunterricht. Das seien die Gründe für die Renaissance des G9. Wobei der Begriff G9 nicht ganz korrekt sei, so der Schulleiter. "Das Kultusministerium spricht immer von der Jahrgangsstufe 9 Plus."
Zur Zeit kann in der achten Klasse gewählt werden ob G8-Zug oder G9. Der Stoff bleibt der gleiche. Er wird in Deutsch, Mathe, Englisch und Latein über ein Jahr mehr gedehnt. "Die beiden Modelle funktionieren nebeneinander momentan ganz gut", sagt Lohneiß.
Die Streber und die Langsamen
Befürchtungen, es könnte zu Klischeebildern der "Streber" vom G8 und den "Langsamen" in der Mittelstufe Plus kommen, hätten sich nicht bewahrheitet. Auch Schüler mit hervorragenden Noten wählten lieber den G9-Zug. Ein Problem sieht Lohneiß allerdings: "Es besteht die Gefahr, dass sich die Schüler etwas zurücklehnen und denken, sie müssten weniger lernen, nur weil sie ein Jahr länger haben." Heuer könne man mit einer einzigen G8-Klasse den Schulablauf noch gut organisieren, sagt Spitzer. Mit tausend Schülern sei das Höchstadter noch eines der größeren Gymnasien. Da gehe das noch.
Aber was, wenn der Abwärtstrend beim G8 anhält? Dann habe er Bedenken, künftig noch zwei Zweige anbieten zu können. Ein naturwissenschaftlicher und ein sprachlicher Zweig mit unter zehn Schülern sei problematisch zu realisieren. Der Grund: Zwar muss das Gymnasium G8 und G9 dual anbieten, bekommt aber nicht mehr Lehrerstunden vom Ministerium, so Lohneiß.
Positiv sei, dass man das System nicht Knall auf Fall an allen bayerischen Gymnasien wieder ändere. "Es ist gut, dass es eine Testphase gibt. Zumindest probiert man es vorher aus", sagt Lohneiß, der kein großer Freund des G8 ist. Er findet es wichtig, dass Jugendliche Zeit haben, sich zu entwickeln, im Sport- oder Musikverein aktiv sein können. Am 7. April gibt es einen Elternabend, bei dem über Vor- und Nachteile von G8 und Mittelstufe Plus informiert wird. Etwa eine Woche später müssen sich Eltern und Schüler entschieden haben: Mehr Freizeit oder schneller aus der Schule raus.
Kommentar
Es ist die hohe Kunst des Marketings, die Menschen für dumm zu verkaufen. Ob der Apfelsaft tatsächlich aus "heimischen Früchten" besteht, mag noch einigermaßen egal sein. Ob in der Flüchtlingspolitik der "Plan B" besser "Plan A2" heißt, kümmert viele nicht, Hauptsache, es gibt überhaupt einen Plan. Aber "Jahrgangsstufe 9+" statt 10? "Mittelstufe Plus" statt G9?
Es ist doch offensichtlich, was die lächerliche Semantik kaschieren soll. Nämlich, dass hier wohl etwas nicht so heißen darf, wie es eigentlich ist: G8 ist gescheitert. Das zeigt der Zustrom zum alten G9 deutlich. Was wäre so schlimm daran, das einzugestehen? Es wäre geradezu erfrischend, würden Politiker und Parteien Fehlentscheidungen auch einmal offen zugeben. "Ehrlichkeit Plus", könnte man im Marketingdeutsch sagen. Den Schulverwaltungen würde jedenfalls viel Arbeit erspart. Aber vielleicht wird ja unter einem neuen Ministerpräsidenten das G8 beerdigt. Vieles spricht dafür. Denn die Begeisterung, die noch vor zehn Jahren in der Zeit der Einführung des verkürzten Gymnasiums herrschte, ist verpufft. Die Wirtschaft wollte unbedingt junge Leute und zwar schnell. G8, Bachelor, keine Wehrpflicht mehr. Mit Anfang Zwanzig kommt man heute von der Uni. Mit Ende Zwanzig wollen viele Abteilungsleiter werden. Jetzt kommen von Verbänden und Universitäten die ersten Klagen. Zu dünnhäutig seien die jungen Leute. Zu wenig Lebenserfahrung, zehn Praktika, aber keine Ideen. Im Wilden Westen nannte man das Greenhorns.
Lasst doch den Jugendlichen lieber mal ein wenig Zeit für sich selbst. Für Bolzplatz und Pubertät. "Quality time" nennen das manche. Aber das ist ja auch schon wieder so ein Marketingwort.
Christian Bauriedel