In Streufdorf hat die Geschichte ein Gedächtnis

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Museumsleiter Hans-Jürgen Dinter führt durch die Ausstellung des Zweiländermuseums. Fotos: Rainer Lutz
Museumsleiter Hans-Jürgen Dinter führt durch die Ausstellung des Zweiländermuseums. Fotos: Rainer Lutz
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

Das Leben in einem geeinten Deutschland, in Wohlstand, Freiheit und Demokratie ist nicht selbstverständlich. Das sollen Besucher des Zweiländermuseums Rodachtal in Streufdorf begreifen. Ein Besuch lohnt sich.

Schutz suchende Bürger verbargen sich zu Zeiten des 30-jährigen Krieges in den Kemenaten, die als eine Art Wall rund um die Wehrkirche von Streufdorf errichtet worden waren. Heute verbirgt sich dort ein reichhaltiger Schatz an Wissen über die Geschichte der Region, der deutschen Teilung und der Wiedervereinigung. Abgewehrt wird niemand mehr. Dafür sorgt schon Museumsleiter Hans-Jürgen Dinter. Er freut sich über jeden Besucher des Zweiländermuseums Rodachtal.

Um zu verstehen, was der Bau der mörderischen Grenze anrichtete, muss der Blick weiter zurück gerichtet werden als bis zum Mauerbau 1961, ja sogar weiter als bis zum Ersten Weltkrieg. Das tut das Museum mit Exponaten und Schaubildern, die zeigen, dass der Raum bis zu den Gleichbergen historisch fränkisch geprägt ist. Das Leben in den heute thüringischen Orten bis zum Grabfeld war vollkommen ins Fränkische ausgerichtet. Politische Grenzen spielten kaum eine Rolle im täglichen Leben. Heute haben sich Orte im Rodachtal in einer Initiative wieder zusammengeschlossen - auch das wird im Museum dokumentiert.

Hätten sich die Menschen im Coburger Land nach dem Ersten Weltkrieg nicht für Bayern entschieden, dann wäre Streufdorf nie zum grenznahen Ort im Sperrgebiet geworden. Orte wie Bilmuthhausen wären nicht dem Erdboden gleich gemacht, ihre Bürger nicht verschleppt oder ermordet worden. Dafür hätten die Menschen des Coburger Landes das Schicksal ihrer heutigen Thüringer Nachbarn geteilt und bis 1989 in der DDR-Diktatur gelebt.

Daran, dass die DDR genau das war, eine Diktatur nämlich, daran lässt Hans-Jürgen Dinter keinen Zweifel aufkommen, wenn er durch das Museum führt. "Es ist schon eine spezielle Geschichte, die wir hier erzählen. Sie beginnt um 1900 und endet in den Jahren nach der Wiedervereinigung", erklärt er, was es im Zweiländermuseum zu sehen gibt.

"Besucher, die zu uns kommen, haben diese Geschichte zum Teil selbst erlebt, andere lebten vielleicht weit von der Grenze entfernt und sagen, sie hätten damals gar nicht viel darüber gewusst", beschreibt er das Interesse an diesem speziellen Museum. Besonders freut es ihn, wenn er beobachtet, dass ältere Besucher mit ihren Kindern oder Enkeln kommen und umgeben von Ausstellungsstücken der deutschen Geschichte ihre eigene Geschichte erzählen.

So wird ein Anliegen erfüllt, das Dinter mit dem Museum verbindet. Denn: "Wir wollen der Jugend vermitteln, dass es nicht selbstverständlich ist, in Freiheit und Wohlstand zu leben, wie wir es heute tun. Sie sollen lernen, dass jeder mit dazu beitragen muss, dass es so bleibt."

Minen (von denen mehr als 1,3 Millionen ab 1961 verlegt wurden), Signaldrähte, Zäune und Mauern, alles das erwarten Besucher hier zu sehen, und sie werden nicht enttäuscht. Videos und Schautafeln lassen aber auch Kapitel der DDR-Geschichte auferstehen, die eine andere Art der Grausamkeit des DDR-Regimes ins Gedächtnis rufen. Etwa die Aktion "Ungeziefer", bei der unliebsame Mitbürger vom Regime aus ihren Häusern deportiert und zwangsumgesiedelt wurden. Oder die Aktion "Kornblume", bei der nur der Name schöner war. "Ansonsten war das genau das Selbe", sagt Hans-Jürgen Dinter.

Junge Leute und solche, die weit von der Grenze entfernt lebten, sollen erfahren, welcher Aufwand an tödlicher Technik getrieben wurde, um den Verlust an Menschen in der DDR aufzuhalten. Sie sollen mitbekommen, wie das Leben im Sperrgebiet nahe am "Eisernen Vorhang" sich angefühlt haben muss. Es ist heute schließlich kaum noch vorstellbar, dass ein Passierschein nötig war, um Bekannte im Nachbardorf zu besuchen oder um am Abend von der Arbeit nach Hause zurückzukommen.

Das Museum zeichnet ein deutliches Bild des Unterdrückungs- und Überwachungsstaats DDR, das durch Videos mit Zeitzeugenberichten untermauert wird. Es zeigt aber auch, wie das Volk 1989 sich seiner geballten Kraft besann und den Herrschenden in der DDR die Macht aus den Händen nahm. Die friedliche Revolution führte eine Einheit der beiden deutschen Staaten herbei, an die kaum jemand mehr geglaubt hatte, weder im Osten noch im Westen des Landes.
"Was da an vielen Orten aufgedeckt wurde, das hätte keiner für möglich gehalten", sagt Dinter und denkt dabei an einen Stasi-Stützpunkt, der nahe Streufdorf entdeckt wurde. "Da gab es sogar einen Friseursalon, damit die Spitzel ein westdeutsches Äußeres verpasst bekommen konnten, ehe sie in die Bundesrepublik eingeschleust wurden. Die hatten dort alles, was man in einem James-Bond-Film suchen würde", berichtet der Museumsleiter.
Zusätzlich zur Dauerausstellung zeigt das Zweiländermuseum immer wieder Sonderausstellungen, und Hans-Jürgen Dinter organisiert Vorträge und Lesungen zu ganz Unterschiedlichen Themen. Die nächste Sonderpräsentation widmet sich ganz der Tätigkeit der Staatssicherheit der DDR, die bis in die privatesten Dinge der Bürger hinein schnüffelte. Auch das ist ein Teil der Geschichte in dem Teil Deutschlands, dessen Bürger 1989 der Einheit den Weg ebneten.
So wie die persönliche Lebensgeschichte von Hans-Jürgen Dinter, der in Sachsen geboten wurde und in Halle Landwirtschaft studierte, wodurch er nach Meiningen kam, um dort auf einer LPG zu arbeiten. Nach der Wende verlor er seinen Job, wie so viele DDR-Bürger. Er ging verschiedene Wege, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, war Verkäufer für Unterhaltungselektronik und Florist. Später schulte der Langzeitarbeitslose bei einem Wohlfahrtsverband um, ehe auch dieses Programm eingestellt wurde.
Heute ist er Museumsleiter, ein Verwalter der Geschichte gewissermaßen - und der Geschichten, die sich darum ranken.
Zeiten Das Zweiländermuseum Rodachtal in Streufdorf ist zu folgenden Zeiten geöffnet:
April bis Oktober Donnerstag, Freitag und Samstag, von 13 bis 18 Uhr, und an Sonn- und Feiertagen von 10 bis 18 Uhr;
In den Monaten November und März jeweils Donnerstag, Freitag und Samstag, von 13 bis 17 Uhr, und an Sonn- und Feiertagen, von 10 bis 17 Uhr, sowie
im Dezember Samstag und Sonntag, von 13 bis 17 Uhr.

Führungen Zusätzlich können Führungen und andere Bildungsangebote vereinbart werden unter der Telefonnummer 036875/50655.