Eckart Conze in Coburg: Versailles trifft heute

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Der Marburger Professor Eckart Conze im Contakt. Carolin Herrmann
Der Marburger Professor Eckart Conze im Contakt. Carolin Herrmann
 
 
 

Der aus Coburg stammende Historiker stellte sein neues Werk vor: "Die große Illusion".

"Wie bringen wir Verlierer in eine internationale Ordnung?" Dass diese Frage, formuliert im Gespräch nach dem Vortrag des Historikers Eckart Conze am Mittwoch im Contakt, so gestellt wird, ist eine der grundlegenden und mühsam erworbenen geschichtlichen Lehren aus dem Versailler Vertrag. Sie wird heute so gestellt, hundert Jahre nach dem grauenvollen 1. Weltkrieg und diesem am 28. Juni 1919 unterzeichneten Nichtfriedensschluss. Bei der Pariser Friedenskonferenz im Versailler Schloss ging es vielmehr um Demütigung der Besiegten, allen voran Deutschlands, und um Rache. Der Krieg ging in den Köpfen weiter. Mit den bekannten Folgen.

Der aus Coburg stammende Historiker Eckart Conze, heute Professor für neuere und neueste Geschichte an der Universität Marburg und Mitglied verschiedener historischer Kommissionen, zeigt in seinem neuesten Werk "Die große Illusion" auf, welche Konsequenzen diese alles andere als friedliche Motivation hatte. Der Versailler Vertrag bestimmt in seinen Grundlinien die Weltordnung bis heute.

Conze sprach in seiner gut zusammenfassenden Vorstellung der umfangreichen Studie konkrete heutige Probleme an, die aus der Enttäuschung von 1919 und den entgegen aller Versprechungen sogar noch verstärkten kolonialistischen und imperialistischen Strukturen erwuchsen: Der Nahostkonflikt. Chinas bis heute anhaltendes Dominanzstreben aus den erlittenen Demütigungen durch die westliche Welt. Die Kriege und anhaltenden Spannungen im ehemaligen Jugoslawien. Und Deutschland hätte wahrscheinlich nicht so leiden müssen und so viel weiteres Leid gebracht, wenn nicht alle Kräfte im niedergeworfenen Land vereint gewesen wären in der empörten Ablehnung des Versailler Vertrages. Diese Ablehnung verhinderte die Auseinandersetzung mit dem untergegangenen Kaiserreich und eröffnete den Nationalsozialisten ein weites Feld. Conze zitierte ein Urteil der Londoner Wochenzeitung "The Economist": Der Versailler Vertrag sei das letzte Verbrechen dieses verbrecherischen Krieges gewesen.

Der Imperialismus ging weiter

Das Versprechen auf Selbstbestimmung der Völker, vor allem von dem amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson vorgetragen, war als propagandistisches Mittel im 1. Weltkrieg eingesetzt und dann schamlos enttäuscht worden. Die entfesselten nationalistischen Bestrebungen aber waren nicht mehr zur Ruhe zu bringen. Ohne alarmistisch wirken zu wollen, zeigte sich Conze besorgt über die gegenwärtig wieder überall zu registrierenden nationalistischen Anwandlungen, die durchaus an die 20er Jahre des letzten Jahrhunderts erinnerten. "Orbán, Putin, auch Trump. Die Dynamik der Renationalisierung gefährdet erneut auch Europa", warnte Conze.

Differenzierend zeigte Conze allerdings auch auf, dass der Versailler Vertrag durchaus Wandlungsmöglichkeiten geboten habe. Er hätte nicht so rigide und rachsüchtig ausgedeutet werden müssen. Die einseitige Zuweisung der Kriegsschuld an Deutschland, die extreme und schikanöse Handhabung der Reparationsregelung machten es den rechtsradikalen Kräften in Deutschland leicht, die Weimarer Republik zu diskreditieren.

Conze versäumte es übrigens nicht darauf zu verweisen, dass sich die Deutschen nicht anders verhalten hätten, wären sie Sieger gewesen.

Nach Jahrzehnten des Hasses

"Man darf aus heutiger Sicht nicht zu große Erwartungen in die Pariser Friedensverhandlungen setzen. Die Menschheit hatte erstmals einen technisch-industriellen Vernichtungskrieg erlebt, nachdem Jahrzehnte lang Hass geschürt worden war. Da konnte nicht einfach ein Schalter auf Frieden umgelegt werden". Für Versöhnung bedürfe es der Zeit.

Veranstaltet wurde der gut besuchte und von Rupert Appelshauser moderierte Vortrags- und Diskussionsabend von der Arbeitsgruppe Lebendige Erinnerungskultur, dem Evangelischen Bildungswerk, der Initiative Stadtmuseum und der Buchhandlung Riemann, gefördert durch das Bundesprogramm "Demokratie leben".

Der Besuch des Wissenschaftlers steht in einer Linie mit den in Coburg seit 2014 zu erlebenden Auftritten namhafter Historiker wie Christopher Clark ("Die Schlafwandler") oder Joachim Käppner (1918. Aufstand für die Freiheit). Der hinter dem unfasslichen Schrecken der Nazi-Verbrechen und des 2. Weltkrieges eher aus dem Blickfeld geratene 1. Weltkrieg wurde in Coburg hundert Jahre nach den Ereignissen wieder stärker ins Bewusstsein gerückt, auf der Basis aktueller Geschichtsforschung: Als bis heute die ganze Welt prägende und keineswegs gänzlich überwundene geschichtliche Katastrophe.

Eckart Conze: Die große Illusion. Versailles 1919 und die Neuordnung der Welt. Siedler Verlag München 2018, 558 Seiten, 30 Euro.

Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts Eckart Conze wurde 1963 in Coburg geboren. Nach dem Abitur am Gymnasium Casimirianum im Jahr 1982 studierte er Geschichte, Politikwissenschaft und Öffentliches Recht an den Universitäten Erlangen, Bonn und Köln sowie an der London School of Economics. Im Jahr 1993 wurde er an der Universität Erlangen bei Michael Stürmer mit der Arbeit "Hegemonie durch Integration. Deutsch-französische Beziehungen in der amerikanischen Europapolitik" promoviert. 1999 erfolgte seine Habilitation mit der Arbeit "Adel im Niedergang? Familienbiographische Studien über die Grafen von Bernstorff im 20. Jahrhundert". Von 1999 bis 2003 war er Vertretungs- und Gastprofessor in Tübingen, Erlangen und Toronto. Seit 2003 hat er eine Professur für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Marburg inne.

 Conzes Forschungsschwerpunkt ist die Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Er leitet das Marburger Internationale Forschungs- und Dokumentationszentrum Kriegsverbrecherprozesse. Conze war und ist Mitglied in verschiedenen historischen Kommissionen, so im wissenschaftlichen Beirat des Bundesministeriums für Verteidigung.

Eckart Conze ist verheiratet und hat drei Kinder. wp