Der aus Coburg stammende Historiker stellte sein neues Werk vor: "Die große Illusion".
"Wie bringen wir Verlierer in eine internationale Ordnung?" Dass diese Frage, formuliert im Gespräch nach dem Vortrag des Historikers Eckart Conze am Mittwoch im Contakt, so gestellt wird, ist eine der grundlegenden und mühsam erworbenen geschichtlichen Lehren aus dem Versailler Vertrag. Sie wird heute so gestellt, hundert Jahre nach dem grauenvollen 1. Weltkrieg und diesem am 28. Juni 1919 unterzeichneten Nichtfriedensschluss. Bei der Pariser Friedenskonferenz im Versailler Schloss ging es vielmehr um Demütigung der Besiegten, allen voran Deutschlands, und um Rache. Der Krieg ging in den Köpfen weiter. Mit den bekannten Folgen.
Der aus Coburg stammende Historiker Eckart Conze, heute Professor für neuere und neueste Geschichte an der Universität Marburg und Mitglied verschiedener historischer Kommissionen, zeigt in seinem neuesten Werk "Die große Illusion" auf, welche Konsequenzen diese alles andere als friedliche Motivation hatte. Der Versailler Vertrag bestimmt in seinen Grundlinien die Weltordnung bis heute.
Conze sprach in seiner gut zusammenfassenden Vorstellung der umfangreichen Studie konkrete heutige Probleme an, die aus der Enttäuschung von 1919 und den entgegen aller Versprechungen sogar noch verstärkten kolonialistischen und imperialistischen Strukturen erwuchsen: Der Nahostkonflikt. Chinas bis heute anhaltendes Dominanzstreben aus den erlittenen Demütigungen durch die westliche Welt. Die Kriege und anhaltenden Spannungen im ehemaligen Jugoslawien. Und Deutschland hätte wahrscheinlich nicht so leiden müssen und so viel weiteres Leid gebracht, wenn nicht alle Kräfte im niedergeworfenen Land vereint gewesen wären in der empörten Ablehnung des Versailler Vertrages. Diese Ablehnung verhinderte die Auseinandersetzung mit dem untergegangenen Kaiserreich und eröffnete den Nationalsozialisten ein weites Feld. Conze zitierte ein Urteil der Londoner Wochenzeitung "The Economist": Der Versailler Vertrag sei das letzte Verbrechen dieses verbrecherischen Krieges gewesen.
Der Imperialismus ging weiter
Das Versprechen auf Selbstbestimmung der Völker, vor allem von dem amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson vorgetragen, war als propagandistisches Mittel im 1. Weltkrieg eingesetzt und dann schamlos enttäuscht worden. Die entfesselten nationalistischen Bestrebungen aber waren nicht mehr zur Ruhe zu bringen. Ohne alarmistisch wirken zu wollen, zeigte sich Conze besorgt über die gegenwärtig wieder überall zu registrierenden nationalistischen Anwandlungen, die durchaus an die 20er Jahre des letzten Jahrhunderts erinnerten. "Orbán, Putin, auch Trump. Die Dynamik der Renationalisierung gefährdet erneut auch Europa", warnte Conze.
Differenzierend zeigte Conze allerdings auch auf, dass der Versailler Vertrag durchaus Wandlungsmöglichkeiten geboten habe. Er hätte nicht so rigide und rachsüchtig ausgedeutet werden müssen. Die einseitige Zuweisung der Kriegsschuld an Deutschland, die extreme und schikanöse Handhabung der Reparationsregelung machten es den rechtsradikalen Kräften in Deutschland leicht, die Weimarer Republik zu diskreditieren.
Conze versäumte es übrigens nicht darauf zu verweisen, dass sich die Deutschen nicht anders verhalten hätten, wären sie Sieger gewesen.
Nach Jahrzehnten des Hasses
"Man darf aus heutiger Sicht nicht zu große Erwartungen in die Pariser Friedensverhandlungen setzen. Die Menschheit hatte erstmals einen technisch-industriellen Vernichtungskrieg erlebt, nachdem Jahrzehnte lang Hass geschürt worden war. Da konnte nicht einfach ein Schalter auf Frieden umgelegt werden". Für Versöhnung bedürfe es der Zeit.