Die Sehnsucht des Anselm Grün

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Aufklärer im christlichen Sinne, geistiger Führer, aber kein Guru: Anselm Grün in der Morizkirche. Carolin Herrmann
Aufklärer im christlichen Sinne, geistiger Führer, aber kein Guru: Anselm Grün in der Morizkirche. Carolin Herrmann
 
 
 
 
 
 

Der Benediktinerpater Anselm Grün zeigte in der Morizkirche, welch heilsame Wirkung in den christlichen Festen steckt. Man muss sie nur zulassen.

Was wollen die Leute von Anselm Grün? Am Mittwoch füllte er die Morizkirche. Was tut der Geistliche? Er tut, was er tun soll, predigen. Auch im gesundheitlich angeschlagenen Alter von 73 Jahren noch immer intensiv und so oft er kann, und schriftlich hat er es seit 40 Jahren in über 300 Büchern getan.

Katholik in einem Luther-Gotteshaus? Spielte keinerlei Rolle, so wie in der Praxis, an der Basis, im Leben selbst viele der unterschiedlichen Interpretationen keine Rolle mehr spielen. Sonst hätte ihn das Evangelische Bildungswerk nicht gerade dahin eingeladen, wo Luther höchstselbst so einiges von sich gegeben hat. Dessen Predigten erhielt Anselm Grün als Dank für seinen Coburg-Besuch.

Ist der Benediktinerpater und langjährige Wirtschaftsmanager der Abtei Münsterschwarzach ein Heilsbringer, wie ihn die Menschen heute mehr denn je brauchen und suchen? Aber ja doch, wenn man ihn lässt. Sich selbst produzieren, das tut er allerdings nicht. Er predigt gehaltvoll, also mit viel Information und dann Ausdeutung im christlichen Sinne. Den Kick der Überraschung, des Außergewöhnlichen, der Erleuchtung, den bringt er allerdings nicht (mehr).

Weil er nämlich sehr, sehr erfolgreich war mit seiner Botschaft und jetzt sehr viele seine Methode praktizieren. Also gilt ihm zu Recht Verehrung. Schon vor dem einstündigen Vortrag musste Pater Anselm in der Morizkirche zahlreiche mitgebrachte Bücher signieren.

Was sagte Grün nun speziell diesmal in Coburg, denn er war ja nicht zum ersten Mal hier? Er wendete die von ihm für die christliche Lehre erschlossene Erklärungsmethode auf den Jahreslauf der Feste an. Schon lange in vorchristlicher Zeit aus dem Kreislauf der Natur als Akt der Zivilisation entwickelt, bewahrt und vermittelt er "Bilder der Seele", die heilen können, wenn man sich ihnen ernsthaft zuwendet.

Bilder und Symbole wirken

Dahinter steht unter anderem die Lehre Carl Gustav Jungs (1875 - 1961), der versuchte, analytisch in die Tiefe der Psyche zu gelangen und dabei die Wirkungsweise von "Archetypen", Symbolen und Bildern erklärte. Grün verband diese Methoden der Erkenntnis mit (fernöstlichen) Meditationspraktiken, wies also auch Wege der Anwendung.

Auch Anselm Grün ist in seiner psychologisch argumentierenden Vorgehensweise nicht unumstritten. Dass er Psychologie, andere Religionen, sogar Praktiken des Schamanismus zumindest ernsthaft prüft, wird ihm durchaus vorgeworfen. Da es Grün aber auf seiner Suche nach neuen spirituellen Impulsen gelang, eine zweifelsohne hilfreiche Seite der christlichen Lehre zu erschließen, blieben ihm stärkere Ausschläge des katholischen "Systems" erspart. Deshalb ist es ja so bedeutend und wurde auch von Dieter Stößlein, dem theologischen Referenten des Evangelischen Bildungswerkes, einführend zitiert, dass Papst Franziskus heuer Anselm Grüns Buch "Lebensmitte als geistliche Aufgabe" gerade dem kirchlichen Personal als Lektüre empfahl.

Damit wir nicht immer brutaler werden B ei seinem einstündigen Vortrag in der Morizkirche analysierte Anselm Grün die christlichen Feste im Jahresverlauf. Er bediente sich dabei, kenntnisreich wie er ist, einer Fülle von Aussagen anderer Theologen, von Psychologen und Zeitanalytikern. In seiner geballten Informationsfülle erforderte es hohe Konzentration, ihm zu folgen.

Beginnend mit der bevorstehenden Adventszeit, erläuterte er die Bedeutung der Sehnsucht, die nicht mit purem Wünschen verwechselt werden dürfe. "Sehnsucht ist die Fähigkeit, das Jetzt und Hier zu akzeptieren." Sie auszuhalten sei bereits ein Akt der Heilung. Wer Sehnsucht nach Liebe habe, liebe bereits. Suchthaftes Verhalten sei dagegen verdrängte Sehnsucht. Wer Sehnsucht nicht aushalten kann, will ständig sofortige Befriedigung.

Max Horkheimer zitierend, unterstrich Grün mehrmals, dass eine wichtige Aufgabe der christlichen Kirchen - "auch wenn es scheint, als würden wir immer weniger" - darin liege, Sehnsucht in einer Gesellschaft wach zu halten, die immer weiter dem Äußerlichen verfällt, in dem der einzelne sich immer weiter von sich selbst entfernt. "Ohne uns wären Weihnachtsmärkte, Weihnachten, Ostern nur noch eine Farce. Wir halten die darin steckende Sehnsucht aufrecht", so Anselm Grün.

Er nahm die in den Festen verdichteten und transportierten Bilder, um Seelenzustände zu erklären. Konzentration auf diese christlichen Bilder führe in die Tiefe der eigenen Seele und heile diese. Zur Passionszeit betonte er etwa: "Wenn Leid verdrängt wird, wird eine Gesellschaft immer brutaler. Das Gedächtnis des Leides vermenschlicht sie."

Das ist eine Umarmung

Meditation über die Kreuzesgebärde führe zu persönlichen Fragestellungen: "Was durchkreuzt mich im Innersten? Verwandle ich das, was mir widerfahren ist, in Bitterkeit oder in Hingabe? Bleibe ich in der Opferrolle, oder lasse ich sie hinter mir, mein Leben trotz allem selbst gestaltend?" Im Übrigen sei die Kreuzesgebärde eine Gebärde der Umarmung.

Die Fülle seiner Erklärungen war stets mit der Aufforderung verbunden, sich nicht mit dem Äußeren zu begnügen, sondern sich der inneren Wirklichkeit bewusst zu werden. "Fehler unserer Kirchen war aber, zu viel zu moralisieren. Jesus moralisierte nicht, er predigte aus dem Sein. Und aus dem Sein folgt das Sollen. Wenn wir entdecken, wer wir sind, wird unser Handeln automatisch anders."

Um vom Theoretischen dann aber auch einen Anfangsschritt ins Praktische zu tun, zog Anselm Grün die große Zahl der Besucher in eine kleine Meditation, im Stehen mit gekreuzten Armen über der Brust. Er endete mit einem 1600 Jahre alten Gebet. "Sie müssen gar nicht daran glauben; wir sind getragen vom Glauben in diesen alten Worten."

Anselm Grün geboren 1945 in Junkershausen, legte 1964 sein Abitur in Würzburg ab und trat noch im selben Jahr ins Noviziat in der nahe gelegenen Benediktiner-Abtei Münsterschwarzach. Er studierte er Philosophie und katholische Theologie in St. Ottilien und in Rom. In seiner Dissertation beschäftige er sich mit Karl Rahner. Von 1974 bis 1976 studierte Anselm Grün Betriebswirtschaftslehre in Nürnberg. Sein erstes Buch erschien 1976 und trägt den Titel "Reinheit des Herzens". Bis heute folgten weitere 300 spirituelle Bücher. Von 1977 bis 2013 war er als Cellerar der Abtei Münsterschwarzach verantwortlich für die wirtschaftliche Leitung der Abtei mit ihren insgesamt 20 Betrieben.