Der Jugendclub des Landestheaters hat jetzt Orwells "1984" auf die Reithallen-Bühne gebracht: Als packendes chorisches Bewegungstheater.
1984. Haben wir hinter uns. Oder in tatsächlich sogar weiter reichender Form noch vor uns, George Orwells Ende der vierziger Jahre entworfenes totalitäres System, das den Menschen bis in den hintersten Winkel seines Selbst überwacht. War die DDR schon ein meisterhafter Kontrollstaat, so wird es mit den heutigen und noch zu erwartenden technischen Möglichkeiten mehr und mehr zur lächelnden Leichtigkeit, den einzelnen nicht nur zu überwachen, sondern sein Leben bis ins letzte zu lenken und zu leiten.
Der Jugendclub des Landestheaters hat als sein Projekt 2019 jetzt "1984" nach George Orwells Roman auf die Reithallenbühne gebracht, als einstündiges chorisches Bewegungstheater: Und erneut muss man feststellen: Der visionäre Schocker von einst schockt noch immer. Denn: Big Brother is Watching You, heute und in Zukunft wohl auf immer perfidere, erst recht nicht mehr durchschaubare Weise.
Das System der Täuschung
Die spezielle Bühnenfassung, welche die 14 Jugendlichen zwischendurch mit Internet-Kommentaren etwa zu den aktuellen Schüler-Demos angereichert haben, skizziert Orwells Geschichte in den wesentlichen Stationen, von Winstons ersten Fragen nach der Wirklichkeit im allgegenwärtigen System der Täuschung, Geschichtsfälschung und Sprachverdrehung bis zum Zusammenbruch der letzten Hoffnung, als Winston und Julia in ihrem vermeintlich sicheren Versteck ihre Zukunft resümieren mit dem Satz "Wir sind die Toten". - Und es plötzlich zynisch hinter und über ihnen ertönt: "Ihr seid die Toten".
In Orwells Roman steckt so viel in geniale Wortkonzentrate verpackte Reflexion (Doppeldenk, Neusprech, die Geschichte entschreiben, Denkverbrechen...), dass sich Theater in vielen Worten verlieren könnte. Doch die Inszenierung von Christin Schmidt, Peter Molitor und Marten Straßenberg imponiert vor allem mit der choreografisch eindrucksvollen Darstellung dessen, was die Unterdrückung der Individualität in den Körpern der Menschen anrichtet. Sie werden zugerichtet, sie funktionieren, sie werden systematisch entseelt.
Auch die tänzerisch prägnant verdichteten Szenen stammen von Mitgliedern des Jugendclubs selbst und von Marten Straßenberg.
Düsterer Lebensraum
Der Lebensraum dieser Menschheit ist reduziert auf eine Reihe stelenartiger Tafeln und auf schwarze Hocker, die variabel zu den formierten Tischen der tumben Arbeiterschar oder zum beherrschenden Telescreen werden können.
Die beiden Hauptfiguren Winston und Julia werden von verschiedenen Darstellern präsentiert. Dieses Ensemble agiert sowohl im chorischen Auftritt als auch in den solistischen Passagen souverän und fesselnd. Wieder einmal wird hier bewiesen, dass Laientheater - wenn es nicht in die Überforderung getrieben wird - auf seine Art genauso spannend sein kann wie die Darstellung durch professionelle Akteure. - Prädikat: Sehenswert.