Warum Mütter ihre Babys töten

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Insgesamt acht Engel aus Porzellan und Kerzen sind auf dem Fensterbrett eines Hauses in Wallenfels zu sehen. Die Polizei hat in dem Haus die sterblichen Überreste von bisher acht Säuglingen gefunden. Foto: Nicolas Armer/dpa
Insgesamt acht Engel aus Porzellan und Kerzen sind auf dem Fensterbrett eines Hauses in Wallenfels zu sehen. Die Polizei hat in dem Haus die sterblichen Überreste von bisher acht Säuglingen gefunden. Foto: Nicolas Armer/dpa
Jörg WolsteinFoto: privat
Jörg WolsteinFoto: privat
 

Acht Babyleichen wurden Ende vergangener Woche in einem Wohnhaus in Wallenfels gefunden. Am Samstag legte die mutmaßliche Mutter ein Teilgeständnis ab. Es gibt vergleichbare Fälle - aber nur sehr wenige, wie Jörg Wolstein betont. Er hat den Lehrstuhl für Pathopsychologie an der Universität Bamberg inne und erklärt allgemein, aus welchen Gründen es zu Kindstötungen kommt.

Er hat den Lehrstuhl für Pathopsychologie an der Universität Bamberg inne und erklärt allgemein, aus welchen Gründen es zu Kindstötungen kommt.

Welche Gründe kann es dafür geben, ein Baby zu töten?

Die Tatumstände in Wallenfels sind bisher noch völlig unklar. Insofern lassen sich nur wenige Rückschlüsse aus den wenigen Fallberichten ziehen, die bisher publiziert wurden. Eine Verallgemeinerung ist fast unmöglich. In der wissenschaftlichen Literatur gibt es Fälle von Kindstötung durch die Mutter, die darauf hindeuten, dass viele dieser Mütter zwar vordergründig nicht an einer psychiatrischen Erkrankung leiden, aber häufig eigene Missbrauchs- und Misshandlungserfahrungen haben oder andere psychosoziale Belastungen haben.

Warum töten Mütter ihre Babys?
In der Literatur werden gelegentlich folgende Motive genannt: "Altruismus", der Wunsch, gemeinsam mit dem Kind zu sterben, "Mitleid" also Tötung des Kindes in der vermeintlichen Vorstellung, ihm dadurch Schlimmeres zu ersparen, "Rache am Ehepartner" wird gelegentlich auch Medea-Komplex genannt, nach einer Frauengestalt in der griechischen Mythologie, "Egoismus", wenn es vorrangig um ein unerwünschtes Kind oder eine unerwünschte Schwangerschaft geht.

Steckt dahinter eine psychiatrische Erkrankung?
In seltenen Fällen ist die Kindstötung Folge einer psychiatrischen Erkrankung, etwa einer schweren Wochenbettdepression oder einer Psychose, also einer Erkrankung, die mit Wahnvorstellungen einhergeht. Diese Frauen haben oft die Vorstellung, dass sie ihr Kind töten, um ihm eine aussichtlose Zukunft zu ersparen; oft versuchen sich die erkrankten Mütter dann ebenfalls umzubringen. Die Wissenschft bezeichnet das als "erweiterten Suizid". Es sollte nicht unerwähnt bleiben, dass auch Väter Kindstötungen verursachen. Das ist dann meist im Rahmen aggressiver Handlungen: Zum Beispiel, wenn es durch Schütteln zu tödlichen Verletzungen kommt.

Für die genannten Motive und Probleme gibt es auch andere Lösungen - von der Schwangerenberatungsstelle bis zur Babyklappe - wieso kommt es dennoch zu solchen Taten?
Grundsätzlich macht der Fall noch einmal deutlich, wie wichtig Babyklappen und die Möglichkeit einer anonymen Geburt sind. Leider wissen wir oft nicht, warum einige Frauen diese Hilfen nicht annehmen. Es gibt gelegentlich die Situation, dass eine Frau in einer subjektiven Notlage ihr Neugeborenes tötet. Ein Beispiel sind Minderjährige, die eine ungewollte Schwangerschaft monatelang vor ihren autoritären Eltern verheimlicht haben und sich dann nicht mehr zu helfen wissen. In der Mehrzahl der Fälle von Infantiziden liegt aber keine von außen nachvollziehbare Notlage vor, insbesondere bei derartigen seriellen Tötungen. Deshalb laufen auch die - an sich sinnvollen - Präventionsbemühungen wie Babyklappe und anonyme Geburt bei diesen Frauen ins Leere.

Warum hebt werden in solchen Fällen manchmal die Leichen der Babys jahrelang Zuhause aufbewahrt?

Das Phänomen, dass bei mehrfachen Säuglingstötungen die Leichen im Wohnumfeld verbleiben, ist nicht selten. Es ist oft kein ausgeprägtes Unrechtsgefühl vorhanden, daher wird kein großer Aufwand betrieben, die Tat zu vertuschen.

Bei kaum einem Thema reagiert die Öffentlichkeit so sensibel - warum geht uns der Tod von Babys besonders nahe?
Der Tod des eigenen Kindes gehört zu den stärksten Stressoren, die ein Mensch erfahren kann. Somit ist es nicht verwunderlich, dass dieses Thema viele Menschen sehr bewegt, auch wenn es nicht die eigenen Kinder sind.

Die Fragen stellte Natalie Schalk