Wandern am Grenzweg - was ein Ehepaar aus Münnerstadt erlebt

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East Side Gallery Foto: Peter Dargatz, pixabay
East Side Gallery Foto: Peter Dargatz, pixabay
Norbert DüringFoto: Natalie Schalk
Norbert DüringFoto: Natalie Schalk
 

25 Jahre nach der Wiedervereinigung wandert ein Ehepaar aus Münnerstadt entlang der 1400 Kilometer langen ehemaligen Grenze. Elisabeth und Norbert Düring entdecken Unbekanntes, Schauerliches und Schönes in ihrem Heimatland.

Oktoberfest und Berliner Mauer - davon hat nahezu jeder Mensch auf der Welt schon gehört. Selbst denen, die von Deutschland kaum etwas wissen, ist die ehemalige Grenze ein Begriff. Deutschland ist das wiedervereinte Land. 25 Jahre nach der Deutschen Einheit ist ein Ehepaar aus Münnerstadt zu Fuß an der ehemaligen Grenze unterwegs. Sie laufen die 1400 Kilometer im Urlaub, in Etappen von zehn bis 14 Tagen. Norbert und Elisabeth Düring haben dabei schon vieles über ihr Heimatland erfahren.


"Drei Stunden am Maisacker entlang: verrückt!"

Norbert Düring empfindet die Grenze immer noch als gravierenden Einschnitt in die Landschaft. An Äckern und Feldern erkennt der Wanderer leicht, ob er durch Ost oder West läuft. "Einmal sind wir drei Stunden lang nur an einem Mais-Acker vorbeigelaufen.
Verrückt!" Solche riesigen Flächen gibt es nur auf den ehemaligen LPGs, den Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften der DDR. "An der Grenze enden kleine Wege einfach. Feldwege machen eine Schleife und führen dorthin zurück, wo man hergekommen ist."


Menschen, die noch nie im anderen Teil waren

Auf der Wanderung entdeckten die Münnerstädter unbekannte Seiten Deutschlands: zum Beispiel das Sorbenland. "Ich wusste nicht, dass dort alles zweisprachig ist - von Verkehrsschildern bis zum Schulunterricht." Etwa 60 000 Sorben leben in Sachsen und Brandenburg. Sie sind neben Dänen, der friesischen Volksgruppe und den deutschen Sinti und Roma eine der vier nationalen Minderheiten, die in Deutschland besonderen Schutz genießen.
Dürings trafen am Grenzweg sehr unterschiedliche Menschen. Im "geteilten Dorf" Mödlareuth, das zum Teil in Bayern und zum Teil in Thüringen liegt, waren sie geschockt darüber, dass die 50 Einwohner des "Little Berlin" genannten Örtchens die Teilung immer noch nicht überwunden haben. "Als Wanderer kommt man mit den Leuten ins Gespräch. Die haben immer noch nichts miteinander zu tun", sagt Düring.


Wie cool Berlin heute ist

Im richtigen Berlin gibt es das auch noch: Menschen, die noch nie im anderen Teil der Stadt waren. Zwar liegt Berlin nicht am Grenzweg, doch wer sich mit der Geschichte beschäftigt, kommt an der Hauptstadt nicht vorbei. Die deutsche Teilung ist Thema unzähliger Museen und Gedenkstätten. Aber Berlin ist vor allem die Hauptstadt des vereinten Deutschlands. Das Brandenburger Tor, einst Symbol des Kalten Kriegs, wurde nach 1990 zum Symbol der Wiedervereinigung Deutschlands und Europas. Die Stadt, die früher nur per Flugzeug oder über die holprige Transitstrecke erreichbar war, wurde coole Metropole und international beliebtes Reiseziel. Ost und West unterscheiden sich oft nur in Details wie den unterschiedlichen Ampelmännchen.


Ostalgie und Spionage

Für das Phänomen ostalgischer Verklärung, für das Ost-Ampelmännchen auch stehen, ist auf der Wanderung durch die Pampa an der ehemaligen Grenze kein Raum. Sie führt auf Wegen entlang, die früher nur Soldaten benutzten. Vorbei an Resten der Grenzanlagen, an Museen und Gedenkstätten, die an den "Todesstreifen" erinnern. Oft gibt es zusätzlich regionale Rund- oder Streckenwege wie den etwa 100 Kilometer langen Harzer-Hexen-Stieg, der über den Brocken führt. Als militärisches Sperrgebiet war der höchste Berg Norddeutschlands bis 1989 nur für die Stasi zugänglich. Sie betrieb hier eine Abhörstation, über die Besucher sich in einer Ausstellung informieren können. Kontrastprogramm danach: der Panoramablick in die Natur.


Bäche, Berge und Küste

Die Natur macht den Grenzweg zu einem schönen Erlebnis. Es gibt wilde Wälder, Bäche und felsige Höhen, plattes Land und Küste. Dort wollen Dürings noch hin; sie haben erst den Südteil der Strecke hinter sich. Kommendes Jahr geht es weiter. Eine der beeindruckendsten Landschaften war für Norbert Düring bisher das hügelige Saaletal bei Hof. Die Saale war früher stellenweise Teil des Eisernen Vorhangs. Der Wanderer atmet manchmal erleichtert auf, weil diese Zeiten vorbei sind. Manchmal kommt er ins Grübeln. "Ich bin an der Grenze aufgewachsen", sagt Düring. Dass in Europa jetzt wieder Grenzen befestigt und Zäune aufgebaut werden, findet er erschreckend. "Es ist anders, weil diese Zäune nicht so lange bleiben." Er zögert. "Aber vielleicht hat man das in den 60er-Jahren auch gedacht."



Tipps für Grenzgänger


Städte, Natur und Museen - an der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze gibt es viel zu sehen. Wer wie Norbert Düring den kompletten Grenzweg wandert, gewinnt viele verschiedene Eindrücke. Hier ein paar Tipps.

Für Hobby-Historiker Einer der heißesten Orte im Kalten Krieg war der "Observation Point Alpha", ein ehemaliger US-Beobachtungsstützpunkt in der Rhön. Rund um das US-Camp entstand ein hessisch-thüringisches Freiland-Museum. Zäune, Beobachtung sturm, US-Baracken und Zeitzeugenberichte der im "Fulda Gap" stationierten GIs machen die globale Dimension des Kalten Kriegs spürbar. Oft wird Point Alpha als das authentischste Grenzmuseum Deutschlands bezeichnet. Es bezieht nicht die Position des Westens, sondern ist Zeugnis des Machtkampfes zweier politischer Systeme. Es war einer der Orte, die Norbert Düring auf seiner Wanderung am meisten beeindruckten.
Für Naturliebhaber Zahlreichen seltenen Tier- und Pflanzenarten bot der "Todesstreifen" an der deutsch-deutschen Grenze jahrzehntelang einen unberührten Lebensraum. Daraus entstand das Naturschutzprojekt "Grünes Band". Mit 1400 Kilometern Länge ist es heute das größte Wald- und Offenland-Biotopverbundsystem Mitteleuropas. Es reicht von Travemünde an der Ostsee bis zum ehemaligen Dreiländereck bei Hof, ist zwischen 50 und 200 Meter breit und führt am "Kolonnenweg" entlang. Wo früher die DDR-Grenzsoldaten patroullierten, laufen heute Wanderer.

Für Grusel-Fans Die sächsische Stadt Bautzen war bisher einer der schauerlichsten Orte auf Dürings Wanderung. Trotz idyllischer Lage an der Spree und historischer Altstadt ist der Ort vor allem für die Sonderhaftanstalt der Staatssicherheit bekannt. Im alten Stasi-Knast wird auf beklemmende Weise vermittelt, wie das ganze perfide System funktionierte: von Bespitzelung über Schauprozesse bis zum Alltag eines politisch Gefangenen. Es ist ein schauriger Ort. "Tunnel-Dieter" war der Einzige, dem je die Flucht gelang. Nach solchen Geschichten einfach rauszumarschieren, vermittelt ein besonderes Gefühl von Freiheit.

Für Landeier Nur etwa 50 Einwohner hat Mödlareuth, das zum Teil im Landkreis Hof und zum Teil im thüringischen Saale-Orla-Kreis liegt. Museum und Gedenkstätte in "Little Berlin" sind ein Muss, vor allem aber ist der kleine Ort selbst sehenswert. Vielleicht gilt das nur für Besucher, die wie Norbert Düring vom Land kommen - aber anders als im pulsierenden, sich rasant entwickelnden Berlin lässt sich im "geteilten Dorf" noch überall nachempfinden, wie der Kalte Krieg Menschen auseinanderriss.

Für Städtereisende Touristisch seien alle Städte am Grenzweg interessant, sagt Düring. Berlin liegt zwar nicht am Grenzweg, ist aber als ehemals geteilte Stadt, Hauptstadt des vereinten Deutschlands und Kulturmetropole mit zahlreichen Museen ein Muss. Die Stadt gilt als cool, günstig, sexy und ist für Touristen von Tokio bis Tel Aviv ein beliebtestes Reiseziel. Hier lässt sich nahezu alles erleben, wofür das moderne, weltoffene Deutschland steht. Grenzgänger finden berühmte Orte wie die "East Side Gallery", Checkpoint Charlie oder das im September eröffnete Spionagemuseum.