Es ist die komplizierteste, schönste, manchmal aber auch härteste Stilform der Demokratie: Bei der Stadtratswahl dürfen Bürger ihre Favoriten mit Bonusstimmen belohnen und "Intimfeinde" von der Liste kegeln.
Karl-Heinz Kratzer aus Gaustadt hat ein Problem. Der 67-jährige Rentner ist seit Jahren einer bestimmten Partei in Bamberg zugetan, hat aber ausgerechnet gegen deren Spitzenkandidaten Aversionen.
Nun formuliert Kratzer eine Frage, die in diesen Tagen vielen Menschen nicht nur in Bamberg im Kopf herumgeht: Kann ich einzelne Personen auf den Kandidatenlisten streichen und trotzdem ein Listenkreuz für den Wahlvorschlag vergeben, ohne dass dadurch der Stimmzettel ungültig wird?
Und ist es möglich, wollte Kratzer wissen, einen Teil der Stimmen listenübergreifend zu vergeben und den Rest über ein Listenkreuz einer einzelnen Gruppe zukommen lassen?
So einfach es auf den ersten Blick schien, waren die Fragen nicht zu beantworten. Kratzerrecherchierte im Internet - anfangs ohne konkretes Ergebnis. Selbst Kandidaten, die der Mann zufällig am Rande eines Supermarkts in Gaustadt traf, waren sich nicht sicher, ob die Streichung der Spitzenkandidaten verbunden mit einem Listenkreuz nicht vielleicht doch dazu führen könnte, dass der Stimmzettel ungültig wird.
Die demokratische Vielfalt der Kommunalwahl hat offenkundig auch ihre Kehrseite: Nicht wenige von denen, die in diesen Tagen in rekordverdächtiger Zahl die Briefwahlunterlagen anfordern, sind mit den besonderen Spielarten, mit Häufeln, Streichen und dem so genannten Panaschieren, überfordert, zumal den Wahlunterlagen keine richtige Gebrauchsanweisung beiliegt.
Dabei meint es der Freistaat nur gut mit seinen Bürgern: "Kommunalwahlen sind klasse. Es gibt keine andere Wahl, wo der Bürger so konkret Einfluss nehmen kann, wie sich ein Gremium zusammensetzt. Für Demokraten ein Traum", sagt Christine Feldbauer, Leiterin des Bamberger Wahlamtes.
Das System zu schätzen, weiß mittlerweile auch Karl-Heinz Kratzer. Er kann sich freuen: Sowohl das Streichen einzelner vorne gesetzter Kandidaten, als auch die Kombination von Listenkreuz und Einzelstimmen sind nach dem kommunalen Wahlgesetz in Bayern erlaubt.
Doch es gibt Tücken. Wer beispielsweise zwei Listenkreuze ohne Einzelstimmen setzt, macht den Stimmzettel ungültig. Stimmen verliert möglicherweise, wer mehr als ein Listenkreuz mit Einzelstimmen kombiniert, weil Einzelstimmen Vorrang haben. Immerhin: Erstmals kann die Vielfalt der Varianten auf einem digitalen Probestimmzettel getestet werden. Und selbst am Computer ist es nicht immer ganz einfach zu erforschen, was geht und was nicht.
Listenkreuze: Wer es sich ganz einfach machen möchte, setzt nur ein Listenkreuz. Dann erhält jeder der 44 Kandidat eine Stimme. Bewerber, die mehrfach aufgeführt sind, werden entsprechend ihrer Mehrfachnennung berücksichtigt.
Kumulieren: Einzelnen Bewerbern dürfen bis zu maximal drei Stimmen gegeben werden. Die Gesamtstimmenzahl darf 44 jedoch nicht überschreiten.
Panaschieren: Die Wähler können auch Kandidaten auf verschiedenen Listen ankreuzen. In Bamberg stehen neun Listenvorschläge mit insgesamt 367 Kandidaten zur Wahl.
Kombination: Wer nicht alle Stimmen für einzelne Kandidaten verwenden will, kann zusätzlich eine Liste ankreuzen. Dort erhalten dann die aufgeführten Kandidaten, sofern sie nicht einzeln angekreuzt oder gestrichen sind, in der Reihenfolge ab Platz eins je eine Stimme und abhängig von der verbliebenen Stimmenzahl. Ein zusätzliches Listenkreuz wirkt sich nur dann aus, wenn die Höchststimmenzahl noch nicht ausgeschöpft wurde. Ein zweites Listenkreuz führt bei Einzelstimmenvergabe dazu, dass nur noch die Einzelstimmen zählen.
Streichungen: Wer einzelne Kandidaten in einer Gruppe, die er mit einem Listenkreuz belohnt, nicht mag, kann ihre Namen durchstreichen und nimmt dadurch Einfluss auf die Zusammensetzung des Stadtrats.
Ungültig: Nicht gültig sind Stimmzettel, bei denen der Wille des Wählers nicht eindeutig zu erkennen ist, etwa, wenn in Bamberg zwei oder mehr Listenkreuze ohne Einzelstimmen vergeben wurden. Nicht gewertet werden Stimmzettel, die leer abgegeben wurden oder bei denen die Gesamtstimmenzahl von 44 überschritten ist. Nicht zuletzt verzichten Wähler auf ihr Wahlrecht, wenn sie auf dem Stimmzettel zusätzliche Bemerkungen oder Kennzeichen anbringen.
Trotz dieser urdemokratischen Möglichkeiten haben bei der Kommunalwahl 2008 gerade einmal 48 Prozent von ihrem Grundrecht Gebrauch gemacht. Sind so Wahlmöglichkeiten am Ende zu viel für die Bürger? Harald Schön von der Universität Bamberg glaubt nicht, dass das Wahlverfahren die Ursache für das Desinteresse ist. Der Bamberger Soziologe erklärt sich das Phänomen dadurch, dass das Misstrauen vieler Menschen gegenüber der Politik und den Politikern nach wie vor wächst. Dies drückt sich unter anderem in Wahlzurückhaltung und im häufig zu hörenden Ruf nach direkteren Mitbestimmungsverfahren aus - Gift angesichts der Tatsache, dass die moderne Mobilität die Distanz zu lokalen Themen ohnedies erhöht.
Und auch wenn der Bürger nirgends näher dran ist als bei den Entscheidungen vor seiner Haustür, leiden die Kommunalwahlen auch darunter, dass die Wichtigkeit der Themen vor Ort immer noch als niedriger bewertet wird als beispielsweise die der Bundesebene. "Das hat auch mit der Berichterstattung der Medien zu tun", sagt Schön.
Ob der Trend zur Wahlmüdigkeit in Bamberg anhält, ist dennoch fraglich. Bei der Landtagswahl 2013 stieg die Wahlbeteiligung erstmals wieder an. Und im Bamberger Rathaus mehren sich die Zeichen, dass der Negativtrend gebrochen ist. Selten wurden so viele Briefwahlunterlagen abgeholt wie 2014. "Bei uns hier ist die Hölle los ", sagt Christine Feldbauer.
Die Stadt Bamberg hat einen Probewahlzettel auf ihre Seite gestellt,
Erklärung und Link finden Sie auch hier.
kann man ja eigentlich nur seine Stimme verweigern. Die blaugefärbte Partei macht mit einem nicht genehmigten übergroßen Plakat auf sich aufmerksam, die rote oder in Bamberg eher orangene Partei wirbt mit einer Person, die überhaupt nicht zur Wahl steht, sondern an anderer Stelle zu anderer Zeit gewählt wird, die gelben und dunkelroten usw. sieht man auch nur reihenweise an irgendwelchen Laternenmasten und Bäumen hängen. Richtig ernsthaft wird sich sicherlich nichts ändern, egal wie der Stadtrat letztlich bestückt sein wird, dafür wir der OB leider schon sorgen.
Und dann kommt auch noch ein Stimmzettel, der falsche Angaben enthält.
Stadtratstätigkeit ist oft sehr komplex. Es gibt verschiedene Themenfelder, zu denen sich nur noch wenige Stadträte fundiert äußern können. Daher müssen sich auch Stadträte spezialisieren.
Diese Spezialisierung können die kleinen Fraktionen - schon auf Grund der geringen Anzahl von Stadträten - oft gar nicht mehr leisten.
Ein Stadtrat, der sein Amt ernst nimmt, muss pro Woche mindestens 10 Stunden - eher mehr - Zeit hierfür aufbringen.
Besonders in der Zeit vor den Wahlen können sich die Bürgerinnen und Bürger sehr leicht informieren. Überall in den Stadtteilen gibt es Informationsstände der verschiedenen Parteien. Es bietet sich an dort auf die Parteienvertreter zuzugehen und diesen Fragen zu stellen. Dies sorgt nicht nur für Transparenz, sondern die Bürgerinnen und Bürger können für sich entscheiden, ob sie mit den Zielvorstellungen der verschiedenen Kandidaten übereinstimmen.
Wer glaubt, daß Wahlinformationen Informationen zur Wahl bieten, ist sicherlich auch überzeugt, daß Zitronenfalter Zitronen falten. Im Wahlkampf werden weit überwiegend Parolen und hohle Phrasen, gern auch gemeingefällige Allgemeinplätze geboten. Gehaltvolles bieten da nur wenige.
Der Lackmustest erfolgt in der Zeit zwischen den Wahlen. Und auch da tauchen viele ab, sobald sie merken, daß ein fragender Bürger sich eben nicht mit leerem Geschwätz zufrieden gibt. Der Anteil der Politiker, die sich ernsthaft um vorgebrachte Anliegen kümmern, ist nach meiner Erfahrung leider sehr gering - aber es gibt sie, das will ich nicht bestreiten.
Der genannte Zeitaufwand ist sicher gering angesetzt und liegt vielfach noch höher - weshalb ich auch die finanziellen Vergütungen nicht pauschal verurteile. Aber große Fraktionen bieten leicht die Möglichkeit, sich hinter wenigen aktiven Kollegen zu verstecken - und mir erzähle niemand, das käme nicht oder nur im Einzelfall vor. Daher ist die pauschale Diskriminierung kleiner Fraktionen nicht angebracht. Die geringere Zahl an Köpfen kann zwar nicht leicht, aber durch entsprechendes Engagement durchaus kompensiert werden.
Es ist kaum anzunehmen, daß das "komplizierte" Wahlverfahren Ursache der geringen Wahlbeteiligung ist. Schließlich kann, wer sich von der Vielfalt der Möglichkeiten überfordert sieht, einfach ein Listenkreuz machen und damit zumindest die politische Grundausrichtung kundtun.
Eher findet sich der Grund in den Inhalten und Formen kommunalpolitischen Handelns. Wenig Transparenz, Schlagworte statt Argumentation, kaum erhellende Außendarstellung der Parteien und Gruppen, innere Streitigkeiten, die ohne erkennbaren Bezug zu Sachfragen öffentlich ausgetragen werden.
Richtig ist, daß der kommunale Handlungsrahmen durch rechtliche und finanzielle Fesseln stark eingeschränkt ist. Dennoch wird vor allem das finanzielle Argument oft vorgebracht, um zu verschleiern, daß verfügbare Mittel bewußt für andere Zwecke verwandt, die Prioritäten gewollt anders gesetzt werden. Die Hintergründe zu verstehen, erfordert einen Aufwand, den mit Familie gesegnete, eventuell mit ehrenamtlicher Betätigung beschäftigte und beruflichen Anforderungen ausgesetzte Menschen gar nicht leisten können.
Ehrlichkeit, Transparenz und Ernsthaftigkeit ist die leider oft unerfüllte Bringschuld der politischen Meinungsträger. Eine konstruktiv-kritische, manchmal investigative Presselandschaft könnte dem auf die Sprünge helfen.