Zur Erinnerung an die Pogromnacht im November 1938 trafen sich zahlreiche Hammelburger zu einer Gedenkveranstaltung an der ehemaligen Synagoge.
Fast hundert Einwohner Hammelburgs gedachten am Freitag der Pogromnacht von 1938 und der späteren Deportation und Ermordung ihrer jüdischen Mitbürger. Die Stadt Hammelburg sowie die beiden christlichen Kirchengemeinden hatten wie jedes Jahr zur offiziellen Gedenkstunde auf dem Seelhausplatz nahe der früheren Synagoge eingeladen. Gemeinsam gesungene Lieder wurden von den Musikerinnen Klara Schlereth (Flöte), Johanna Kamm und Susanne Hähnlein (beide Akkordeon) instrumental begleitet.
Bürgermeister Armin Warmuth (CSU) erinnerte an die in ganz Deutschland vom Nazi-Regime organisierten Pogrome gegen Juden in der Nacht vom 9. auf 10. November 1938, in der SA-Horden und etliche Mitläufer jüdische Geschäfte und Wohnhäuser zerstörten und Synagogen schändeten. Die zynische Bezeichnung der Nazis für diese Geschehnisse als "Reichskristallnacht" wegen der unzähligen zerbrochenen Fensterscheiben habe sich bis in unsere Zeit gehalten und sei erst vor wenigen Jahren durch "Pogromnacht" ersetzt worden.
Synagogen brannten
In Hammelburg begann es erst am 10. November gegen 10 Uhr, berichtete der Bürgermeister: "Türen zu jüdischen Wohnungen wurden eingetreten und das Mobiliar umgeworfen. Kleidungsstücke und Bettzeug wurden aufgeschlitzt und teilweise aus dem Fenster geworfen." Schon zuvor war die Synagoge (Dalbergstraße 57) in Brand gesteckt worden. Am Morgen des 11. November wurde deren verkohlte Inneneinrichtung von SA-Mitgliedern zertrümmert. In der Westheimer Synagoge wurden die Thorarollen aus dem Thoraschrein gerissen und mit anderen Kultgegenständen ins Feuer geworfen. "Auch in Untererthal verwüstete man Wohnungen jüdischer Mitbürger und die Inneneinrichtung der Synagoge", zählte Warmuth weiter auf.
Viele sahen einfach weg
"Auch wenn es Menschen gab, die mit Abscheu und Entsetzen reagierten oder manchmal sogar den Opfern beistanden", ergänzte der Bürgermeister, "so gab es doch viele, allzu viele, die einfach wegsahen." Gerade in Erinnerung dieser Verbrechen dürfe man heute nicht dulden, "dass Flüchtlingsunterkünfte in Brand gesteckt, wieder Fensterscheiben eingeworfen und Asylsuchende, Politiker oder Journalisten bedroht oder verfolgt werden. Wir dürfen nicht wegschauen, wir müssen uns zu Wort melden, wenn humanitäre und demokratische Werte mit Füßen getreten werden."
Die heutige Generation sei nicht verantwortlich für die Taten der Vergangenheit, schloss Bürgermeister Warmuth seine Gedenkansprache. "Aber wir müssen uns dieser Vergangenheit immer wieder stellen und Verantwortung dafür übernehmen, dass wir und uns Nachfolgende daraus Lehren ziehen."
Zur Erinnerung an die 1942 deportierten 33 jüdischen Mitbürger wurden von Teilnehmern der Gedenkfeier deren Namen mit stichwortartigen Angaben zur Person vorgelesen, während auf dem Platz 33 Lebenslichter auf einem hölzernen Davidstern entzündet wurden.
"Für unsere beiden christlichen Kirche ist es selbstverständlich, an dieser Gedenkfeier teilzunehmen", schloss sich der evangelische Stadtpfarrer Robert Augustin mit mahnenden Worten an. "Jesus war Jude. Und es waren Christen, die sich damals schuldig gemacht haben." Augustin erzählte die Geschichte von Kain und Abel und setzte diesen biblischen Brudermord als Gleichnis für die organisierte und systematische Ermordung der Juden während der Nazi-Herrschaft. Sein katholischer Amtsbruder, Pastoralreferent Markus Waite, der die Organisation der Gedenkfeier übernommen hatte, sagte abschließend, der sechs millionenfache Brudermord "ist eine Schuld, die wir nicht tragen können, aber die wir bereuen können."
Politiker, Kirchen und Presse sind der historischen Wahrheit verpflichtet.
Laut Gedenkbuch des Bundesarchivs Berlin für die Opfer des Holocaust waren es nicht 33, sondern 43 jüdische Frauen, Kinder, Jugendliche und Männer, die in Hammelburg (historische Altstadt) geboren wurden bzw. hier gewohnt haben und Opfer des Holocaust wurden:
1. Adler Bruno
2. Baumann Fanny 3. Baumann Franziska
4. Capell Albert 5. Capell Hermann 6. Capell Selma
7. Flörsheim Hilda 8. Flörsheim Selma
9. Frank Franziska
10. Frank Betty 11. Frank Siegfried 12. Frank Mali
13. Hamburger Klara
14. Kallmann Klara
15. Katz Auguste 16. Katz Feodora Dora
17. Kohls Max
18. Leven Manfred
19. Mayer Otto
20. Meier Elise
21. Neuberger Norbert 22. Neuberger Ernst Stefan (beide waren Enkel der Rosa Stern)
23. Nussbaum Hermann
24. Oppenheimer Adolf
25. Regensburger Siegfried
26. Reiß Rosa
27. Rosenberger Karl
28. Rosskopf Rosa
29. Rotschild Rosa
30. Schuster Rika
31. Steinkritzer Ella, 32. Steinkritzer Horst, 33. Steinkritzer Klaus, 34. Steinkritzer Margot
35. Stern Rosa
36. Straus Nestor
37. Strauß Gustav
38. Strauß Hannchen 39. Strauß Benno
40. Stühler Albert
41. Stühler Jette
42. Stühler Moritz
43. Ullmann Erna
Quellennachweis:
Namensverzeichnis des Gedenkbuchs des Bundesarchivs Berlin in https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/directory
.html (Stand 13. Oktober 2017);
Yad Vashem Data Base in http://yvng.yadvashem.org/
Die Gedenktafel am Seelhausplatz enthält zwei falsche Namen: Max Hamburger und Hermann Mahlermann wurden nicht Opfer des Holocaust, sondern sind beide emigriert.
12 Namen von Ermordeten fehlen. Unter den Nichtgenannten sind die deportierten Kinder und Jugendlichen:
Benno Strauß, 3 Jahre alt, Sobibor
Steinkritzer Horst, 17 Jahre alt, Auschwitz
Steinkritzer Klaus, 12 Jahre alt, Ghetto Warschau
Neuberger Norbert, 12 Jahre alt, Ghetto Belzyce
Neuberger Ernst Stefan, 16 Jahre alt, Ghetto Belzyce (beide zusammen mit der Großmutter Rosa Stern im Mai 1942 deportiert und ermordet).