Türkische "Extrawurst" oder deutsche Mehrheitsbratwurst? Die Theatergruppe "KOMPASSion" thematisierte, wie unsere multikulturelle Gesellschaft am Besten zusammenleben kann. Und hielt dabei dem Auditorium gnadenlos den Spiegel vor
Es ging - wie so oft und einmal mehr - im wahrsten Sinne des Wortes um die Wurst. Um eine türkische Extrawurst und/oder die deutsche Mehrheitsschweinebratwurst. Entlarvend provinziell, scheinheilig intellektuell und zudem hoch aktuell. Verbal heiß gebraten am Samstagabend auf der Bühne des Bad Brückenauer Pfarrsaals mit der Theatergruppe "KOMPASSion", einem Schauspieler-Ensemble aus ehemaligen Schülern des Franz-Miltenberger-Gymnasiums. Herausgekommen ist dabei unter dem Titel "Extrawurst" ein kurzweiliger Kleinkunst-Grillabend mit großartigen Laiendarstellern, die Freunden, Bekannten, Gästen sowie früheren und gegenwärtigen Pennälern - ihren "Vereinsmitgliedern eben" - auf höchstem Niveau Theater zum Fremdschämen darboten.
Ein zweiter Grill
Allzu oft bleibt einem nämlich der Bissen (Bratwurst) im Halse stecken, gefriert das Lachen im Gesicht, halten die Autoren des Boulevardstücks - Dietmar Jakobs und Moritz Nezenjakob - dem
Auditorium gnadenlos den Spiegel vor. Mit eskalierender Unlogik hauen sich die Mitglieder eines fiktiven Tennisclubs "08/15" die sprachlichen Filzbälle um die Ohren, schlagen einen Verbal-Return nach dem anderen ins Netz oder Aus, als es darum geht, für den einzigen Türken im Verein einen zweiten Grill zu beschaffen, da osmanische Muslime ja ihre Sucuk-Würste nicht auf einen teutonischen Rost mit christlich verr(a)uchtem Schweinefleisch legen dürfen.
Leitkultur und Integration
Vereinsvorsitzender Dr. Heribert Bräsemann (Stefan Jäger), nomen est omen und per definitionem sich konträr schwungvoll-schwerfällig selbst entlarvend wie altmodisch mit der Zeit gehend, kämpft gegen seine sympathisch unsympathische Stellvertreterin Marina Scholz (Kristin Wiedemann) scheinheilig und scheinbar in erster Linie um den Vereinsvorsitz, in Wahrheit jedoch um die Meinungs- und Deutungshoheit im Klub, wenn es um die deutsche Leitkultur im Allgemeinen und im Speziellen um die (mehr oder weniger gelungene) türkische Integration geht.
Melanie Pfaff (Diala Dathe), im Stück Übersetzerin, kämpft auf der Bühne ob übermäßigen Alkoholkonsums mit Artikulationsproblemen, im gemischten Doppel mit Anwalt Erol Oturan (Jörg Hilsdorf) um Spiel, Satz und Sieg, gegen Marina handgreiflich um einen zweiten Türken-Grill, Modell "XQ 3200" statt "Sailer 3010", bei ihrem Mann, Eventmanager Torsten (Niels Hönerlage) um Anerkennung und einen privaten Neuanfang, gemeinsam mit der Schwulen-, Veganer- und Frutarier-Fraktion im Verein um ein drittes Grill-Exemplar. Und Erol, ja eigentlich wie alle auf ihre eigene Art und Weise, kämpft und steht für Werte wie Toleranz, Religionsfreiheit, Minderheitenrechte und demokratisches Handeln.
Regisseur Dirk Hönerlage baut als "dramaturgische Kniffe" regionale Bezüge und Besonderheiten in den Plot ein (die Eckartser Pferdekutsche für Auswärts-Turniere, den Wernarzer Vereinsarzt Detlef Haas für Heribert Bräsemanns Ischias, weiße Tennis-Dresse aus der örtlichen Fußgängerzone, ein Brückenauer Staatsbad-Büfett oder auch die Nürnberger Clubberer-Fans), derbe Situationskomik, die lauthalse Lacher generieren und garantieren, und Autoren-Bonmots.
Gutmenschen und böse Hardliner
Doch eigentlich bleibt dem Publikum das Lachen im Halse stecken - wie bildlich auf dem Programmheft die "Extrawurst" im Tennisschläger. Denn es geht um Gutmenschen und böse Hardliner, um Atheisten und Gläubige, um Empörung und Ausgleich, um Einigkeit oder Konfrontation, um Eskalation oder Deeskalierung, um das Festhalten an Altbewährtem oder das Wagen eines Neuanfangs. Es geht schlichtweg darum, wie unsere multikulturelle Gesellschaft am Besten zusammenleben kann. Und diesbezüglich sollten Tolerante auch mal Extrawürste grillen können, Fünfe gerade sein lassen und Lachen, wo es einem eigentlich zum Heulen zumute wäre. Im Geheimen denken, "Schwein gehabt", dass diese Theatervorstellung während der Corona-Zeit nach einjähriger Verzögerung unter Einhaltung der 2 G-Vorschriften und nur drei Proben überhaupt und endlich stattfinden konnte. Und in der Öffentlichkeit laut sagen: "Wir haben ein Sau-starkes Stück gesehen - mit ebensolchen Schauspielern!"