"Beschissene Situation": Skandinaviens Deutschland-Wut und Söders Atompläne

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Die Preise an der Strombörse schießen in die Höhe. Aus Norwegen und Skandinavien kommen Vorwürfe Richtung Deutschland. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder will tschechischen Atomstrom. Der Blick auf die verwirrende Gemengelage am Strommarkt.

Norwegens Energieminister Terje Aasland spricht in der Financial Times von einer "absolut beschissenen Situation".  Schwedens Energieministerin Ebba Busch kritisierte auf X die Abschaltung deutscher Atomkraftwerke. In Teilen Europas ist eine neue Diskussion um die Energieproduktion entfacht. Auch Markus Söders Besuch in Prag reiht sich in diese Debatte ein. Doch um was geht es eigentlich?

Das wird klar, wenn man sich die Preise an der Epex-Strombörse ansieht. Dort wird der Strom für Deutschland, Österreich, Frankreich und die Schweiz sowie Teile Skandinaviens gehandelt. Der Handel findet mehr oder weniger live statt, die Preise schwanken im Stundentakt. Und zuletzt schwankten sie massiv - vor allem in eine Richtung: nach oben.

Norwegen und Schweden: Stromhandel nur wenn er sich lohnt

Tatsächlich stieg der Preis Netto-Durchschnittspreis am vergangenen Donnerstag, dem 12.12.2024, laut Vattenfall auf knapp 40 Cent pro Kilowattstunde: Der höchste Wert seit Juni, als ein technischer Fehler an der Börse die Preise in die Höhe trieb. 

Grund für den aktuellen Preissprung ist laut Experten eine Dunkelflaute: Der Mangel an Sonne und Wind führt dazu, dass zeitweise wenig Sonnen- oder Windenergie erzeugt werden kann. Bei gleichbleibender Nachfrage steigt der Strompreis dann an. 

Durch die integrierte Strombörse trifft dies auch Länder wie Norwegen. Das skandinavische Land produziert einen überwiegenden Teil des Stroms aus Wasserkraft - es sind fast 90 Prozent. Trotz dieser stabilen Stromquelle steigen die Strompreise durch den Anschluss an die europäische Strombörse nun auch in Norwegen. Genau deshalb sprach sich Terje Aasland eben für ein Aussteigen aus der Börse und ein neu verhandeln der Energiepartnerschaft mit Deutschland und Großbritannien aus: Zwar möchte man durchaus Strom mit anderen Ländern handeln, aber möglichst zu relativ fixen Preisen.  Der billige Strom aus Wasserkraft soll zuerst im eigenen Land verkauft werden, nur die überschüssige Energie soll an der Börse verkauft werden.

Ziel sind stabile, nicht niedrige Preise

Wenn dies, wie beispielsweise von der Bild-Zeitung, so interpretiert wird, dass die Abschaltung der Atomkraftwerke zu einem Anstieg der Strompreise geführt hat, geht das am Kern der Sache vorbei: Tatsächlich ist nicht die Höhe des Strompreises das Problem, sondern die Schwankung desselben.

Durch den in Deutschland mittlerweile über 50 Prozent liegenden Anteil von Erneuerbaren Energien am Strommix wird zeitweise mehr Strom erzeugt, als benötigt wird. Was in den vergangenen Monaten teilweise zu negativen Preisen an der Strombörse geführt hat. Man bekam an der Börse also noch Geld, wenn man Strom abnahm. In Phasen einer Dunkelflaute wie jetzt müssen jedoch andere Stromlieferanten als Wind und Sonne einspringen: Kohle-, Gas-, Wasser oder eben Atomenergie. 

Schwankende Strompreise sind vor allem für Großabnehmer aus der Industrie und Großkunden wie beispielsweise Stadtwerke ein Problem. Privatpersonen sind hingegen kaum beziehungsweise nur indirekt betroffen - außer sie setzen in Zukunft auf neue dynamische Stromtarife

Söder in Prag: Atomstrom aus Tschechien?

Diese Großkunden und die Industrie hatte auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder im Kopf, als er am Donnerstag (12. Dezember 2024) in Prag mit Tschechiens Regierungschef Petr Fiala über eine "privilegierte Energiepartnerschaft" geredet hat. "Wir wollen eine mögliche Nutzung von tschechischer Kernkraft für unseren Strommarkt ausloten, um eine bessere Versorgung zu gewährleisten und das Netz zu stabilisieren – etwa in Form einer privilegierten Stromabnahme", hatte Söder im Vorfeld angekündigt. Das große Ziel sei es, die bayerische Stromversorgung auf Dauer besser abzusichern. 

Söder stieß damit letztlich in dasselbe Horn wie Norwegens Energieminister Terje Aasland: Statt flexibler Strombörse soll es langfristige Lieferverträge zu fixen Preise geben. Energieexperte Felix Matthes vom Öko-Institut sieht das kritisch: "Preise und Mengen werden letztlich an der Strombörse ausgehandelt. Auch die grenzüberschreitenden Leitungskapazitäten werden konsequent marktlich bewirtschaftet", betonte er gegenüber der dpa. Stromlieferungen von Tschechien nach Deutschland seien somit ein Marktergebnis und nicht ein Ergebnis "irgendwelcher politischer Absprachen". 

Dies sei - so Matthes weiter - auch gut so, weil dadurch die Kosten insgesamt gering blieben. "Im Übrigen würden die europäischen Institutionen etwaige Versuche der in keiner Weise zu Ende gedachten Söder'schen Markteingriffs-Fantasien sofort verbieten", sagte er. 

Energiewirtschaft: Atomstrom rentiert sich nicht

Stattdessen sehen Experten die große Zukunfts-Herausforderung in der Speicherung von Strom: Wie gelingt es, Stromproduktion und Stromverbrauch zeitlich zu entkoppeln? Eine abschließende Lösung ist hier noch nicht gefunden, die Aufgabe in der Zukunft groß. Aus Sicht der Energiewirtschaft spielt Atomkraft dabei kaum eine Rolle. Sie sei zu teuer, zu unflexibel und letztlich auch zu gefährlich. 

"Die Deutschen sind seltsam fasziniert von der Kernenergie", stellte Jörg Jasper von der EnBW Energie Baden-Württemberg AG in einem Podiumsgespräch der Akademien der Wissenschaften Anfang Dezember fest. Atomkraft, erklärt der EnBW-Mann laut mdr immer wieder, die rechne sich für die Privatwirtschaft einfach nicht: Die Investitionssummen sind massiv, die Folgekosten kaum abschätzbar.  Als Markus Söder und Friedrich Merz zum Höhepunkt der Gaskrise einen Weiterbetrieb der Atomkraftwerke forderten, waren es ausgerechnet die Betreiber der Atomkraftwerke selbst, die diese Pläne kritisch sahen

Auch politisch haben Söders Pläne bereits viel Kritik ausgelöst – sie kam etwa von den Grünen, aber auch von Umweltverbänden. Sie alle eint die Sorge, dass im Falle eines Reaktorunfalls auch Bayern massiv betroffen und in der Folge auf unbestimmbare Zeit radioaktiv verseucht wäre. Auch eine Bamberger Politikerin hält Söders Absichten für "hochgefährlich und völlig aus der Zeit gefallen".

Vorschaubild: © Rene Ruprecht/dpa