Während Union und SPD über Erfolge der "Arbeitskoalition" sprechen, forderte Wirtschaftsweise Veronika Grimm bei "Maybrit Illner" echte Strukturreformen. Ihre harte Kritik: "Übergangsmaßnahmen" wie der Industriestrompreis oder die geplante Rentenreform könne sich Deutschland nicht leisten. Zudem fehle der "Plan für die Zeit danach".
Auf die Einführung eines staatlich subventionierten Industriestrompreises hatte sich die "Arbeitskoalition" beim jüngsten Koalitionsausschuss unter anderem geeinigt. Während Union und SPD damit Signale setzen wollten, fand die Wirtschaftsweise Veronika Grimm in Maybrit Illners Talkshow zum Thema "Kein Aufschwung, kein Vertrauen - Zerreißprobe für Schwarz-Rot?" harte Worte: "So richtig los geht es nicht, und es braucht deutlich mehr, als gerade verhandelt wird", forderte sie echten Strukturwandel statt einzelner "Übergangsmaßnahmen" wie dem Industriestrompreis.
"Wir kaufen uns gerade Zeit", verteidigte der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, Alexander Schweitzer (SPD), die Beschlüsse, "wenn wir da nichts tun, verlieren wir die Grundlage unseres Wohlstands von morgen." Doch Grimm hielt dagegen: "Wir haben keinen Plan für die Zeit danach", kritisierte die Expertin, "wir können nur Zeit kaufen, wenn wir wissen, wohin die Reise geht."
Die Latte hinge höher: "Wenn Sie sich die Finanzplanung des Bundesplans anschauen, dann sehen Sie, dass 2029 die Posten Sozialausgaben, Verteidigungsausgaben und Zinskosten die gesamten Einnahmen des Bundes aufzehren", benannte sie die Riesenherausforderung und die gebotene Dringlichkeit. "Alles, was Sie darüber hinaus machen, müssen Sie über Verschuldung machen."
Deutschland sei ein "tolles Land", aber: "Wir müssen uns eben 'zusammenraufen' und die Probleme angehen", sprach sie Klartext, "und das bedeutet, wir müssen Spielräume im Haushalt schaffen über kostensenkende Reformen. Und: Wir brauchen Wachstum."
Reiner Haseloff: "Wir verlieren unsere Leitindustrien, die für unsere Volkswirtschaft drastisch wichtig sind."
Wie beides gelingen könnte, wollte Maybrit Illner am Donnerstagabend von den geladenen "Pragmatikern und Realpolitikern" Schweitzer und dem CDU-Ministerpräsidenten Reiner Haseloff aus Sachsen-Anhalt wissen. 70 bis 80 Prozent der heimischen Strukturprobleme seien seiner Meinung nach in Brüssel gemacht. Beschlüsse wie der Green Deal oder der Zertifikatehandel werden in Deutschland noch verstärkt, wodurch man den heimischen Industrien - Automobilwirtschaft, Stahl oder Chemie - einen Wettbewerbsnachteil verpasse. Dieser müsse aufgebrochen werden, sprach sich Haseloff zusätzlich für nationale Subventionen aus.
Außerdem appellierte er an die Resilienz: "Wir müssen auch eine Selbsterhaltungskraft haben, dass wir (...) von Industrie bis hin zu Stahl, die wir auch für Verteidigungs- und Aufrüstungsaktivitäten benötigen, dass wir das nicht weggeben und den Stahl vom Russen einführen und ihn danach mit dem Panzer konfrontieren, damit er bei uns nicht einmarschiert", zeichnete er düsteres Bild und warnte: "Wir verlieren unsere Leitindustrien, die für unsere Volkswirtschaft drastisch wichtig sind."
"Halten um jeden Preis", lautete auch das Motto von Schweitzer. Man müsse "über den Schatten springen" und den Industrieunternehmen durch Subventionen die Zeit zu geben, den Umbau hinzubekommen.