Precht empört sich über Merz-Äußerung: "Wir sind doch keine Autokratie!"

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Lanz & Precht
In der jüngsten Folge von "Lanz & Precht" befand Richard David Precht über Elon Musk und andere mächtige Tech-Oligarchen: "Diese Hightech-Giganten überlegen sich, ob sie in der nächsten Runde nochmal einen Trump brauchen."
ZDF / Christian Bruch
Lanz & Precht
In Bezug auf das Ulimatum europäischer Regierungschefs an Wladimir Putin waren sich Richard David Precht (links) und Markus Lanz uneinig.
ZDF / Christian Bruch

Geschichtsstunde mit Lanz und Precht: Anlässlich des 80. Jahrestags des Nürnberger Prozesses beleuchteten die Podcast-Hosts die wegweisende historische Marke - und deren Auswirkungen bis heute. Dabei stieß besonders Richard David Precht eine Tatsache sauer auf.

Vier Siegermächte, 21 ranghohe Vertreter des NS-Regimes vor Gericht - und ein geschichtsträchtiger Ort: Vor 80 Jahren wurde in Nürnberg führenden Köpfen des Nationalsozialismus der Prozess gemacht. Anlässlich dieses Jahrestages blickten Markus Lanz und Richard David Precht in ihrem Podcast auf das historische Ereignis und dessen Auswirkungen bis heute zurück. Es sei ein "gewaltiger Schritt" gewesen, dass die Siegermächte damals "liberaldemokratische Prinzipien auf Protagonisten eines Unrechtsstaates" angewendet hätten, setzte Precht an.

Das Gericht habe sich nicht von dem Wunsch nach Rache leiten lassen, sondern von "universalen moralischen Prinzipien, die für jede Art von Menschlichkeit gelten". Lanz ging sogar noch einen Schritt weiter und bezeichnete das Vorgehen als "eines der bedeutsamsten Zugeständnisse, das die Macht jemals der Vernunft eingeräumt hat". Dadurch sei es den angeklagten Deutschen nicht möglich gewesen, sich hinter der "Kollektivschuld eines Staates zu verstecken".

Markus Lanz attestiert Nazi-Verbrechern "ungeheure Arroganz"

Dem gegenüber standen führende Nazi-Schergen, die versucht hätten, ihre Haut zu retten - mit allen Mitteln. "Es war nichts als ein feiger Trick, das alles auf Hitler und den Obrigkeitsstaat abzuwälzen", verdeutlichte Richard David Precht mit Verweis auf die "sehr, sehr großen Handlungsvollmachten" führender Nazis. Dass diese sich vor Gericht auf Befehlstreue und Gesetzestreue beriefen, zeuge von "ungeheurer Arroganz", befand Lanz.

Doch nicht nur die Angeklagten seien im Umgang mit der eigenen Verantwortlichkeit gescheitert, betonte Precht: "Sich der eigenen Schuld zu stellen, da waren die Deutschen ganz, ganz, ganz schlecht drin." Erklärend fügte er hinzu: "Die Deutschen haben sich nach 45 ein bisschen auf die Erzählung geeinigt: Wir sind da mit Hitler einem Dämonen aufgesessen." Zusätzlich verstärkt habe dieses Verständnis die Tatsache, dass die deutsche Justiz noch Jahre nach Kriegsende vom "ganzen unteren und mittleren Apparat des Dritten Reiches" besetzt gewesen sei - laut Precht "ein dunkles Kapitel in der Geschichte der Bundesrepublik".

"Merkwürdige Situation" am Internationalen Gerichtshof irritiert Precht

Gleichzeitig bedauerte der Philosoph, dass der "Meilenstein" des Nürnberger Prozesses nicht "zu einer Landstraße gehörte, auf der dann später weitere Meilensteine stehen". Stattdessen sieht es Precht als "riesiges Problem", dass führende Länder wie die USA, Russland und China den Internationalen Gerichtshof in Den Haag nicht anerkennen. "Unter solchen Vorzeichen muss man sich fragen: Wer wird denn auf dem Internationalen Gerichtshof tatsächlich angeklagt?", verwies er darauf, dass viele der Anklagen auf Afrika konzentriert seien.

Es sei eine "merkwürdige Situation", afrikanische Kriegsverbrechen zu behandeln, während "diejenigen, die vom weißen Mann selber begangen werden, nicht verfolgt werden können in Den Haag". Daraus resultiere ein "riesiges Legitimationsproblem", folgerte Richard David Precht. Auch hierzulande sei ein Problem sichtbar geworden, als Bundeskanzler Friedrich Merz versicherte, seinen israelischen Amtskollegen Benjamin Netanjahu auf deutschem Boden nicht festnehmen zu lassen - trotz eines Haftbefehls des Internationalen Gerichtshofes.

Precht über die UNO in der Krise: "Wir sollten nicht die Flinte ins Korn werfen"

"Wir sind doch keine Autokratie, Merz entscheidet doch nicht darüber, ob Netanjahu festgenommen wird, sondern die Staatsanwaltschaft", empörte sich Precht, der noch ein anderes Problem sah: "Ich kann nicht verlangen, dass Putin vor Gericht gestellt wird, wenn ich gleichzeitig sagen würde, ich würde Netanjahu nicht festnehmen." In diesem Zusammenhang beklagte der 60-Jährige eine "Doppelmoral".

Es sei eine Lehre aus dem Nürnberger Prozess, "dass diese universelle Gerichtsbarkeit unverzichtbar ist, dieses Wissen um universal gültige Werte". Doch im Augenblick befinde sich nicht nur die UNO in der Krise, sondern auch die Legitimität des Internationalen Gerichtshofes, hat Precht beobachtet. "Aber die Tatsache, dass sie in der Krise ist, sollte nicht dazu führen, dass wir die Flinte ins Korn werfen", schloss er die Diskussion.

Quelle: teleschau – der mediendienst