Der Film geht tief ins Private mit Aufnahmen aus Anhans Kindheit mit seinen Eltern und Brüdern. Der Suizid seines Vaters wird thematisiert. Anhans Ehefrau berichtet vom schwierigen Familienleben mit ihm, ist oft den Tränen nahe, sagt: «Den Aykut liebe ich, den Haftbefehl nicht.»
«Der Film nimmt einen mit, und er schockt», sagt M'Barek («Fack ju Göhte»). «Es ist wahrscheinlich die schonungsloseste, direkteste Musiker-Doku, die ich kenne.» M'Barek hat sie mit Pacco-Luca Nitsche produziert und sagt rückblickend: «Wir wollten ihm ein Denkmal setzen, unsere Liebe zu ihm als Künstler zum Ausdruck bringen, aber trotzdem das Publikum nicht belügen, wirklich alles auf den Tisch packen. Das war auch Aykuts Wunsch.»
Lichtgestalt in der Finsternis
«Gefühlt haben wir einen sehr modernen Antidrogen-Film gemacht», meint Sevinç. Im Deutsch-Rap habe sich eine Entwicklung breit gemacht, dass Kokain-Konsum cool sei. Wer, wenn nicht Aykut Anhan - «die Lichtgestalt des deutschen Hip-Hops», wie Sevinç ihn nennt - könne einen Film bringen, der Jugendliche darüber nachdenken lasse.
Es brauche eine gehörige Portion Mut, sich so offen und ehrlich vor der Kamera zu zeigen, betont Sevinç. Auch er trennt zwischen dem realen Anhan und der Kunstfigur Haftbefehl, sagt: «Haftbefehl ist gefährlich, vor allem für Aykut selbst. Wenn er in diese Haftbefehl-Welt abtaucht, hat das für ihn keine Grenzen.»
In einer Szene in einem Hotelzimmer wirft Anhan das Filmteam hinaus, die Kamera läuft weiter. Er ist zu hören, spricht von Dämonen in seinem Kopf. «Auch das ist Teil von diesem Weg, den wir begleitet haben, dass es immer absurder wurde», erzählt Sevinç. «Diese Szene im Hotelzimmer war für mich der Moment, an dem klar wurde, dass es ohne Hilfe von außen nicht weitergeht.»
Radikale Ehrlichkeit
«Aykut hat den Einschlag in die Hip-Hop-Welt mit seiner Musik so hinbekommen, weil er einfach radikal ehrlich war», sagt Moreno. So ist er in der Doku auch. «Er nennt Ross und Reiter», betont Moreno. «Er sagt: Seit 25 Jahren nehme ich Drogen und deswegen ist mein Gehirn Matsch.»
Ausgangspunkt für die Doku waren Drehbücher für eine Serie, die der Rapper vor rund vier Jahren M'Barek schickte. «Er wollte sein Leben fiktional in einer Serie erzählen und ich sollte seinen Vater spielen», erinnert sich M'Barek. «Weil ich seine sehr tragische Familiengeschichte kannte, war mir klar, dass ich diese Rolle nicht übernehmen kann.»
Er habe Anhan offen gesagt, dass er die Drehbücher nicht für angemessen halte, sie seiner Geschichte und ihm als Künstler nicht gerecht würden. M'Barek empfahl stattdessen eine Dokumentation. «Er hat sofort beschlossen, dass ich die Doku produzieren soll», sagt M'Barek - und so kam es dann auch.
Gerade in der Entertainmentindustrie werde viel zu selten offen über Themen wie Sucht oder Depression gesprochen, sagt M'Barek. «Was mit Menschen passieren kann, die permanent im Rampenlicht stehen, welche Zerreißproben damit einhergehen – das wird oft ausgeblendet. Der Film zeigt, dass hinter Glanz und Glamour oft große Tragik liegt.»
Harter Rapper, sensibler Mensch
Der Film macht deutlich, dass hinter dem selbstbewussten Rapper ein sensibler Mensch steckt - einer, der zu kämpfen hat, weil sein Vater bei keinem seiner Fußballspiele für eine Jugendmannschaft von Kickers Offenbach war, einer, der überrascht, weil er Musik von Reinhard Mey mag.
Läuft die Doku Gefahr, dass Anhans Verfehlungen entschuldigt werden mit einer schwierigen Jugend und mit seiner Sucht? Auch die beiden Regisseure haben sich darüber Gedanken gemacht. Moreno sagt dazu: «Der Erste, der diese Entschuldigung nicht akzeptiert, ist Aykut selbst.»