Pilot: Was sich nach dem Germanwings-Unglück verändert hat

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Ohne gegenseitiges Vertrauen können Pilot und Copilot ein Flugzeug nicht steuern, sagt Markus Wahl. Foto: Marius Palmen/dpa
Ohne gegenseitiges Vertrauen können Pilot und Copilot ein Flugzeug nicht steuern, sagt Markus Wahl.  Foto: Marius Palmen/dpa
Markus Wahl
Markus Wahl
 

Vier Monate nach dem Absturz der Germanwings-Maschine ringt die Luftfahrt-Branche immer noch um Lehren aus der Katastrophe. Was sich schon jetzt im Cockpit geändert hat, berichtet Lufthansa-Pilot Markus Wahl.

Vier Monate sind vergangen, seit der Copilot Andreas L. eine Germanwings-Maschine gegen ein Felsmassiv in den französischen Alpen gelenkt hat. Es gilt heute als sicher, dass L. das Flugzeug in selbstmörderischer Absicht zum Absturz gebracht hat. 150 Menschen verloren am 24. März ihr Leben.
Ob dies die Wahnsinnstat eines Einzelnen gewesen ist oder eher die Folge systematischen Organisationsversagens in der Luftfahrt, ist bis heute umstritten. Diese Frage beschäftigt nicht nur viele Passagiere, sondern auch Piloten wie Markus Wahl. Wahl fliegt für die Lufthansa und engagiert sich bei der Pilotenvereinigung "Cockpit".

Wie hat das Germanwings-Unglück Ihren Beruf verändert?
Markus Wahl: Auf den Arbeitsalltag im Cockpit hat das Unglück keinen großen Einfluss gehabt, wenn ich von der Zwei-Personen-Regel einmal absehe. Ich vertraue den Kollegen, mit denen ich im Cockpit sitze, weiterhin zu 100 Prozent. Anders geht es auch gar nicht, dafür ist der Job viel zu anspruchsvoll. Es würde mich zu stark ablenken, wenn ich mir Gedanken über die Verfassung oder Motive meines Kollegen machen müsste.

Hat sich in das Verhältnis zwischen Pilot und Copilot kein Misstrauen eingeschlichen?
Nein, und dabei kann ich nicht nur für mich selbst sprechen, sondern auch für das Gros meiner Kollegen. Moderne Flugzeuge sind so gebaut, dass sie nur zu zweit geflogen werden können. Der eine steuert das Flugzeug, der andere bedient die Systeme. Das geht nur, wenn man sich vollkommen vertraut.

Gerade weil man so aufeinander angewiesen ist, wird man seinem Kollegen im Cockpit doch genauer in die Augen blicken?
Natürlich schaut man sich seinen Kollegen gründlich an. Das habe ich aber auch schon vor dem Germanwings-Unglück gemacht. Immerhin vertraue ich ihm in Teilen mein Leben an. Ich hatte allerdings in all den Jahren kein einziges Mal das Gefühl, dass ich mit einem Kollegen besser nicht fliegen sollte.

Können Sie wählen, mit wem Sie fliegen?
Nein, das geht bei großen Konzernen wie der Lufthansa schon aus logistischen Gründen gar nicht. Die Besatzung íst auf fast jedem Flug eine andere. Das hat im Übrigen auch sicherheitspolitische Hintergründe.

Welche?
Zwischen Pilot und Copilot muss Vertrauen herrschen, aber keine Vertraulichkeit. Letztere könnte dazu führen, dass sich laxe Routinen bilden und auch Fehler toleriert werden. Man könnte dazu neigen, über das eine oder andere Fehlverhalten hinwegzusehen. Wenn man sich immer wieder auf neue Kollegen einstellen muss, schärft das auch die Aufmerksamkeit.

Gehen Sie nach Einführung der Zwei-Personen-Regel während des Flugs wieder beruhigter auf die Toilette?
Ich hatte schon vorher keine Angst, nicht mehr in das Cockpit hineinzukommen. Für den Fall, dass dort einer das Bewusstsein verliert, gibt es ohnehin eine Möglichkeit, mit der sich von außen die Tür öffnen lässt. Und dass einer bewusst die Tür von innen verriegelt, war für mich jenseits der Vorstellungskraft.

Das heißt, die neue Regel sendet vor allem ein Signal für verängstigte Passagiere?
Sicher, man wollte nach der Katastrophe schnell ein neues Sicherheitsgefühl erzeugen. Ich finde das verständlich, allerdings halte ich die Regel für nicht zielführend.

Warum nicht?
Zum einen ist die Regel mit einem ziemlichen Aufwand verbunden, weil ich ja erst einmal ein anderes Crew-Mitglied finden muss, das für mich ins Cockpit geht. Zum anderen ist damit für etwaige Terroristen durchschaubar geworden, wie und wann die Tür aufgeht.

Wie?
Wenn Kabinenpersonal nach einem Klingelsignal in Richtung Cockpit geht, wissen Passagiere: Es dauert noch zehn Sekunden, dann geht die Tür auf. Auch ist die Türe jetzt einfach länger geöffnet, denn es muss ja nicht nur der Pilot aus dem Cockpit heraus, sondern auch das andere Besatzungsmitglied ins Cockpit rein und umgekehrt.

Sie schätzen die Gefahr eines Kidnappings wie an 9/11 damit höher ein als die Wahrscheinlichkeit, dass sich das Germanwings-Szenario wiederholen könnte?
Ich glaube, dass die Zwei-Personen-Regel die Sicherheit an Bord nicht erhöht. Sie erhöht dagegen die Gefahr, dass sich unbefugte Personen Zutritt zum Cockpit verschaffen können.

Gibt es dann überhaupt etwas, was sich aus dem Unglück lernen ließe?
Die Luftfahrt hat immer aus Unglücken gelernt. Um die Flugsicherheit weiter zu erhöhen, sollte sie das auch dieses Mal tun.

Was schlagen Sie vor?
Was ich sehr begrüße, ist der Vorschlag von Anlaufstationen, an die sich Piloten mit psychischen oder anderen Problemen wenden können. Solche Anlaufstationen machen es möglich, dass sich Betroffene nicht mehr verstecken wollen. Nur so kann bei Problemen direkt geholfen werden, noch bevor daraus Konsequenzen entstehen. Wichtig ist, dass Piloten keine Angst haben müssen, dass der Psychologe oder Mediziner die Informationen weitergibt und der Pilot seinen Job verlieren könnte.

Gibt es diese Anlaufstellen nicht heute schon?
Es gibt sie bei größeren Fluggesellschaften und auch bei der Vereinigung "Cockpit" gibt es Angebote für diejenigen, die sich mit ihren Problemen nicht an ihre Arbeitgeber wenden wollen.

Wie viele Piloten wenden sich pro Jahr an diese Stellen?
Die genauen Zahlen unterliegen der Schweigepflicht.

Wann hatten Sie Ihren letzten Gesundheitstest?
Ende Juni stand mein jährlicher Test an: Blut und Urin wurden getestet, Hör- und Sehfähigkeit kontrolliert. Und es gab ein Arztgespräch, in dem auch über psychische Angelegenheiten gesprochen wurde.
Kümmern sich eigentlich die Fluggesellschaften nach dem Unglück besser um ihre Piloten?
Ich will da nur für die Lufthansa und den Tarifkonflikt dort sprechen: Wir hatten auf ein neues Wir-Gefühl gehofft, dass uns einen Neustart bei den Tarifverhandlungen ermöglichen könnte. Diese Hoffnung hat sich leider nicht bewahrheitet. Aber immerhin haben die Piloten größerer Gesellschaften meist noch feste Anstellungsverträge.

Wer hat die nicht?
Manche Linien zwingen ihre Piloten in eine Art Scheinselbstständigkeit. Das bedeutet, dass die Piloten nur bezahlt werden, wenn sie tatsächlich im Cockpit sitzen und fliegen. Dies erhöht natürlich die Wahrscheinlichkeit, dass diese Piloten auch dann fliegen, wenn sie krank sind oder aus anderen Gründen eigentlich am Boden bleiben müssten.



Das Gespräch führte
Christoph Hägele.